Es ist ein wagnisreiches Buch, mit dem der junge Leipziger Lychatz Verlag in diesem Frühjahr an die Öffentlichkeit ging: "Röhm. Ein deutsches Leben", Aus vielen Gründen. Einige zählt der Autor Norbert Marohn im Nachspann auf, der auch eine Annäherung ist an ein sperriges Thema. Röhm, war das nicht ...?

Am 1. Juli 1934 wurde Ernst Röhm, Chef der SA, im Gefängnis von München-Stadelheim von zwei SS-Männern während der so genannten “Nach der langen Messer” erschossen. Die Presse des Landes verklärte den Vorgang – bei dem über 200 Menschen, vorwiegend aus der damaligen SA-Führung, in einer konzertierten Aktion ermordet wurden – nachträglich zum “Röhm-Putsch”. Doch die Legende ging schon 1934 nicht so recht auf – und auch nach der Niederlage des NS-Regimes taten sich die meisten Historiker schwer mit diesem Ereignis, bei dem nicht nur fast die komplette alte SA-Führung aus dem Weg geräumt wurde, sondern auch gleich noch ein paar alte Rechnungen mit ungeliebten alten Weggenossen Hitlers beglichen wurden. Aber auch mehrere KPD-Funktionäre wurden bei der Gelegenheit ermordet. Mit einem nachträglich verabschiedeten Gesetz legitimierte die Hitler-Regierung die Aktion, mit der sie sich vor allem die wichtigste und gefährlichste Konkurrenz im eigenen Lager aus dem Weg schaffte.

Trotzdem ist es erstaunlich, dass es mittlerweile zwar mehrere große Arbeiten zum so genannten “Röhm-Putsch” gibt, aber keine große Monographie über den 1887 geborenen Weltkriegs-Hauptmann Ernst Röhm, ohne dessen Sturmabteilungen (SA) die NSDAP keineswegs die einschüchternde Gewalt entwickelt hätte, mit der sie sich in der Krisenzeit der Weimarer Republik zur zweitstärksten Partei hinaufprügelte.

In jenem vierten Kapitel “La Paz. Übergang”, schildert Marohn seine Annäherung an Röhm, der auch schon beim Ludendorff-Hitler-Putsch 1923 eine tragende Rolle spielte. Hintergrund ist eine Reis nach Bolivien mitten im Südhalbkugel-Winter, der dem suchenden Autor gewaltig in die Knochen geht – die Ausbeute der Reise aber ist praktisch Null. Im Nationalarchiv sind die Akten, die über Röhms Zeit im Stab der bolivianischen Armee in den 1930er Jahren Auskunft geben könnten, schlicht nicht vorhanden.

Marohn bleibt auf deutsche – vor allem bayerische – Archive angewiesen, auf diverse Arbeiten, die sich mit Dingen wie dem Putsch von 1923, den Freikorps und dann jener Mordnacht von 1934 beschäftigen. Er nutzt Zeitungsarchive der Zeit, und er versucht die Frage für sich zu klären, warum gerade über diesen NS-Führer die große Biographie bis heute fehlt. Alle anderen – auch die beiden Hauptaktiven der Mordaktion von 1934, Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler – wurden inzwischen auch von Historikern internationalen Formats mehrfach gewürdigt. Über Hitler gibt es schon ganze Regale mit Monographien, die irgendwie zu entschlüsseln versuchen, warum gerade dieser verkrachte Kunstmaler zur Gallionsfigur eines mörderischen Regimes werden konnte (und warum selbst große Magazine von dieser Figur bis heute in ihren Bann geschlagen sind).

Röhm scheint niemandem so recht ins Konzept zu passen. Nicht als Chef eines bis auf 3 Millionen Mann angewachsenen Heeres uniformierter Männer, von dem sich die alte Führung der Reichswehr bedroht fühlte, nicht als Homosexueller im Führungskreis der NSDAP. Er passt auch nicht in die scheinbar so geradlinige Geschichte des Hitlerreiches – genausowenig übrigens wie Gregor Strasser, der die NSDAP zu jener Kaderpartei aufbaute, mit der Hitler bei den Wahlen Erfolge einfuhr. Strasser wurden einen Tag vor Röhm ermordet.

Auf einem Foto des “Illustrierten Beobachters” von 1932 sind Röhm und Strasser noch gemeinsam mit Hitler und Göring als Vierer-Führung der NSDAP abgebildet. Göring sollte sich 1934 als einer der Hauptakteure bei der Organisation de “Nacht der langen Messer” erweisen.

Und einfacher als bei all den anderen Akteuren des NS-Regimes ist es bei Röhm natürlich nicht, die Person zu begreifen. Marohn versucht, in die kargen Daten seines Lebens hineinzuschlüpfen wie in einen Handschuh, ihn als mehrfach schwer verwundeten Weltkriegssoldaten zu erfassen und daraus seinen Weg zum Eppschen Freikorps und später zu seinem Kampfverband “Reichskriegsflagge” nachzuzeichnen. Marohn versucht ihn in das Bild der frühen Hitlerbewegung und ihrer Akteure einzuordnen und das Spannungsfeld auszuleuchten zwischen einem Offizier der alten, kaiserlichen Schule und der homosexuellen Veranlagung, die Röhm nicht wirklich verbergen konnte. Später, in seiner Zeit als SA-Chef, waren auch mehrere der von ihm eingesetzten SA-Führer Homosexuelle. Was den Parteichef Hitler nicht hinderte, Röhm zu verteidigen: Er brauchte den Mann.

1934 braucht er ihn nicht mehr. Da wird Röhm, der anders als Himmler, Heydrich und Göring, keinerlei Lust verspürt, sich in der Regierungsspitze festzusetzen, zur Gefahr. Er wird auch zur Gefahr für Hitlers wichtigsten Plan: baldmöglichst mit einer schlagkräftigen Armee den größten Krieg aller Zeiten vom Zaun zu brechen.

Marohn versucht sich dem Mann sprungweise zu nähern, schreibt keine zeitlich sortierte Biografie – die Kinder und Jugendzeit spart er ganz aus, versucht die Jahre 1932 bis 1934 über Röhms Verhalten in der Zeit von 1918 bis 1923 zu begreifen. Manches etwa über seine Rolle beim Ludendorff-Hitler-Putsch von 1923 hat sich in den Archiven erhalten. Marohn lässt Röhms Mitstreiter in fiktiven Dialogen zu Wort kommen, die eher noch friedliche Verhöre sind durch die beiden Schattengestalten von 1934, Heydrich und Himmler: Das kameradschaftliche Du täuscht nicht darüber hinweg, dass es fast alles Gespräche sind, die über Leben und Tod der Befragten entscheiden könnten.

Mal ist Röhms Veranlagung Thema, mal ist es seine mutmaßliche Putsch-Vorbereitung. Den Umgang der Nationalsozialisten mit Homosexualität schildert Marohn durchaus vielschichtig – denn bis zur Kampagne nach dem 30. Juni 1934 spielte das auch in der NS-Propaganda eine eher untergeordnete Rolle. Während die SPD-Zeitung “Münchner Post” Anfang der 1930er Jahre die Informationen über die Homosexualität Röhms durchaus nutzt, um eine große Kampagne zu starten, die Marohn an eine andere, legendäre Kampagne erinnert, gestartet 1906 von einem der bekanntesten konservativen Journalisten des Deutschen Reiches, Maximilian Harden. Der hatte in seiner Wochenzeitschrift “Die Zukunft” eine Enthüllungskampagne gegen den (homosexuellen) Berater des Kaisers, Philipp Friedrich Alexander Fürst zu Eulenburg gestartet. Dabei ging es ihm eigentlich um den politischen Einfluss Eulenburgs, die sexuelle Veranlagung war Harden nur Vorwand für seine Polemik. Ein Vorwand, den einer der klügsten Journalisten der Zeit, Karl Krauss, schon 1907 für anmaßend erklärte. Ähnlich äußerte sich später auch Tucholsky zur Medienkampagne gegen Röhm.

All das ist Stoff genug, ein durchaus komplexes Bild der  Zeit und des Buchhelden zu zeichnen. Marohn macht es dem Leser nicht unbedingt leicht, wenn er die zeitlichen Abläufe aufsplittet und die Dokumente der Zeit in seine Lebenserzählung einfließen lässt oder in die fiktiven Dialoge einbaut. Im schon erwähnten vierten Kapitel erklärt er, welche Schwierigkeiten damit auch etliche Verleger hatten, denen er das Manuskript schon angeboten hat. – Ist er zu sehr in die Lebens- und Denkwelt seines Buchhelden hineingekrochen? Hat er zu viel Verständnis für den sturen Bayern, der auch nach dem 30. Januar 1933 nicht bereit ist, von seinem schnurgeraden Marschweg abzuweichen?

Das muss jeder Leser für sich entscheiden. Der Vorteil dieser Herangehensweise ist auf jeden Fall: Er nagelt das Monster nicht einfach an die Wand und beweist dann mit hunderten Archiv-Belegen, dass das Monster schon immer ein Monster war. Er versucht Röhms Handlungsweise zu verstehen. Was auch lehrreich ist. Denn die meisten, die heutzutage über die finsteren Galionsfiguren der NS-Zeit schreiben, tun gern so, als seien die zwölf Jahre tatsächlich nur ein Betriebsunfall der Geschichte und die handelnden Personen seien außergewöhnlich einmalige Figuren. Aber so recht kann und will Marohn das nicht glauben. Und gerade der SA-Chef Röhm scheint ihm das beste Beispiel dafür, dass es die saubere Schwarz-Weiß-Scheidung auch in der deutschen Geschichte nicht gibt.

 

Norbert Marohn “Röhm. Ein deutsches Leben”, Lychatz Verlag, Leipzig 2011, 19,95 Euro

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