Es ist schon erstaunlich, welch großer Teil der täglichen Erlebnisse der mitteleuropäischen Großstädter sich nur in ihrer Phantasie abspielen. Zumindest hat man den Eindruck, wenn man sich so in die Welten deutscher Romanschreiber vertieft. Mit Johannes Wierz hat sich ein Bonner Schriftsteller ins Programm des Einbuch-Verlages in Leipzig verirrt. Wobei verirrt wohl eher das falsche Wort ist.

Man findet zueinander in diesen seltsamen Zeiten, in denen nicht nur so genannte “Social Media”-Plattformen anfangen, die Welt nach eigenem Gutdünken zu filtern, sondern auch ein großer Versandbuchhändler manche nicht wirklich nachvollziehbaren Filter eingebaut hat, die die angezeigten Suchergebnisse für die Online-Leseratten aufbereiten, ohne dass sie wirklich merken, nach welchen Kriterien das geschieht.

Wer Autorenname und Buchtitel nicht eindeutig weiß, wird nicht immer fündig. Und wenn er sie nur halb weiß, bekommt er Berge von Artikeln angezeigt, die mit dem Gesuchten nur andeutungsweise etwas zu tun haben. Die Sache mit einer wirklich logischen und (be)sucherfreundlichen Bücherplattform ist noch lange nicht geklärt.Noch vor Weihnachten verkündete der Einbuch-Verlag deshalb, dass er seine Bücher nicht mehr im Online-Versandladen einstellen werde. Es ist ein weiteres Puzzle-Stück hin zu einer Landschaft, in der die Verlage und Autoren sich enger zusammenschließen und eigene Vertriebsnetzwerke aufbauen. Was gerade da Sinn macht, wo beide noch gern experimentieren. Was der Einbuch-Verlag gern tut. Was dann auch einige eher ungewöhnliche Buchprojekte in sein Portfolio spült.

Wie dieses hier, in dem Wierz eine Idee ausprobiert – eine richtige Kopf-Idee. Sein Held ist Musiker und Komponist. Noch nicht allzu weit zurück liegt seine schönste und erfolgreichste Zeit als Komponist für einen erfolgreichen Pop-Song für eine schwedische Sängerin, den er ihr augenscheinlich nach einer schönen Nacht im Hotel einfach geschenkt hat. Ganz abgesehen von einem ganzen Song-Album, das dann auch noch in den Charts Erfolg hatte. Ein richtiger Geschäftsmann ist der Bursche also nicht – was verständlich macht, dass er ziemlich glücklich war, als ein cleverer Ungar eine Zeit lang dafür sorgte, dass er Aufträge für gut bezahlte Werbeclips bekam. Er wurde nicht einmal misstrauisch, als ihn der clevere Ungar dafür mit Barschecks bezahlte.

Man ahnt so ein wenig, warum es die Leipziger Stadtverwaltung deshalb für so wichtig erachtet, die Leipziger Kreativszene in Kurse nach dem Motto “Wie manage ich mich selbst” zu stecken. Was natürlich wieder Blödsinn ist. Manager sind nicht kreativ. Das beißt sich. Und führt bestenfalls zu genau dem, womit der deutsche Kunst- und Musikmarkt sowieso schon überschwemmt ist: professionellem Müll, an dem ein paar Leute sich goldene Nasen verdienen.

Natürlich kann in so einem Roman nicht geklärt werden, wie wirklich kreative Leute aus der Misere herauskommen. Mittlerweile sind ja hunderte Romane zu diesem Thema entstanden. Das Drama beginnt in der Regel kurz nach dem Platzen der Blase – wenn der clevere Geschäftsmann sich ins Ausland verdrückt und das Finanzamt beim Künstler anruft und ihm andeutet, dass die Sache mit der Steuer für die zurückliegenden Jahre überhaupt noch nicht geklärt sei. Finanzämter behandeln Kreative wie Manager. Politiker mittlerweile auch. Das Problem wird sich also weiter verschärfen.Und natürlich weiß der Held nicht wirklich, wie er aus der Misere herauskommen soll. Die Geschäftsbeziehungen sind perdu. Woher soll er das Geld nehmen? Als dann noch ein Schreiben vom Gericht kommt, nimmt er sich noch eine Galgenfrist, geht in sein Lieblings-Café und beschließt, dort zu bleiben, bis der Tag herum ist. Was er dann auch tut an seinem Tisch, im zunehmend phantasievollen Zwiegespräch mit Aschenbecher und Zuckerstreuer. Dabei flackern ein paar Erinnerungen an seine so ruhmlos gescheiterte Karriere vorbei, vermischt mit ein paar echten und vielen fiktiven Gesprächen mit dem Personal des Lokals und einigen Gästen. Und mit Filmsequenzen, die sich immer wieder in seine Gedanken schieben – etliche davon Klassiker der Filmgeschichte.

Ein durchaus eigenes Feld, das durchaus Potenzial zu einer literarischen Aufarbeitung hat. Denn Filme wie “Pretty Woman”, “E.T.”, “Casablanca” oder “Der Rosarote Panther” sind ja nicht nur Allgemeinwissen und Kulturgut – einige Szenen und Figuren daraus sind längst so präsent, dass sie Teil unseres Lebens zu sein scheinen. Manchmal muss es gar nicht der große Hollywood-Film sein – selbst uralte Vorabendserien wie “Flipper” oder “Die Leute von der Shiloh Ranch” flackern dem beharrlich im Café Sitzenden durch den Kopf, während er sich immer wieder ein neues Getränk bestellt, zwischendurch mal kurz nach Hause eilt, um sich umzuziehen und dabei einen Stromschlag im Bad zu erhalten. Wobei man nie so recht weiß: Tut er’s wirklich? Oder kommt hier schon wieder die nächste Filmsequenz, in der sich der Held gedanklich in Dr. Mabuse oder Gary Cooper verwandelt?

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Filmriss
Johannes Wierz, Einbuch Buch- und Literaturverlag 2012, 13,40 Euro

Auch die Begegnungen mit seinen ehemaligen Band-Kumpanen Charly (der in einer Klapsmühle einsitzt) und Heini (der Taxi fährt) gehören in diese Grauzone, auch wenn sich diese Begegnungen am Ende des Romans auf einmal selbst zu einer filmreifen Handlung verdichten, bei der sich der Leser ein bisschen wie in einer “James Bond”-Verfilmung fühlen darf – mit einem dramatischen Überfall auf das nun von einer Werbeagentur besetzte Café, einer rasanten Flucht und einer Nebelszene auf dem Flughafen, wo alles endet wie weiland in “Casablanca”.

Was in jenem amtlichen Schreiben stand, dessenwegen der Erzähler den Gang in sein Café antrat, erfährt der Lese dann nicht mehr. Es ist irgendwie wie in so vielen Filmen: Irgendwas bleibt unerzählt. Und noch während die Polizisten das Rollfeld betreten, beginnt der Abspann. Der steht bei Wierz freilich gleich vorn im Buch: als kleine Auswahl seiner Filmhelden in den diversen Nebenrollen des Buches.

www.einbuch-verlag.de

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