Vieles, was im Lehmstedt Verlag erscheint, ist echte Fleißarbeit. Anders macht man keine Entdeckungen. Inge Stuhr hat bei Lehmstedt nicht nur die große Auswahl von Briefen Max Schwimmers veröffentlicht, auch die reich illustrierte Max-Schwimmer-Biografie von ihr ist dort erschienen. Und jetzt legt sie mit diesem Band auch die Texte des Kritikers Max Schwimmer vor. Denn das war der Grafiker und Maler, der es so schwer mit Leipzig hatte, auch noch. Für eine gewisse Zeit.

Dass es ausgerechnet die Zeit der Weimarer Republik war, verwundert hingegen nicht. Es war die goldene Zeit des Feuilletons in Leipzig, nachzulesen in all den Sammelbänden zu Natonek, Reimann, Kästner, Edner und Wiegand im Lehmstedt Verlag, zu ergänzen um die Lene-Voigt-Ausgabe aus der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Das Dreigestirn der damaligen Leipziger Tageszeitungen – Neue Leipziger Zeitung, Leipziger Neueste Nachrichten und Leipziger Volkszeitung – bot nicht nur eine tägliche nachlesbare journalistische Konkurrenz, sie bot auch unterschiedlichsten Stimmen und Meinungen Platz. Mediale Pluralität war für die Leipziger am Kiosk erlebbar. Auch wenn die Meisten dann wohl doch ihrer Zeitung treu waren. Die Konservativen den LNN, die Liberalen der NLZ und der Großteil der Arbeiterschaft der LVZ, die damals tatsächlich noch ein Sprachrohr der SPD war.

Was nicht ausschloss, dass sie ein hochkarätiges Feuilleton bot, in dem die Autoren zwar durchaus klassenkämpferische Töne anschlagen konnten, sich aber keinem populären Erwartungsniveau anpassten, wie es in heutigen Printmedien meist üblich ist. Das ist auch bei Max Schwimmer spürbar, der 1926 bei der LVZ als Kunstkritiker andockte, der für sieben Jahre zu einem der drei maßgeblichen Leipziger “Kunstpäpste” wurde – neben Hans Nachod, der für die NLZ schrieb, und Egbert Delpy, der für die LNN unterwegs war.Einige seiner Essays erschienen auch schon 1920 in “Der Drache”, der von Hans Reimann herausgegebenen Satirezeitschrift, für die Schwimmer auch den sich windenden Drachen im Signet gezeichnet hatte. Bevor Schwimmer 1926 zur LVZ stieß, hatte er schon einige Versuche hinter sich, sich als Künstler zu etablieren und sich von der Arbeit als Volkslehrer zu lösen. Der Versuch, in Berlin Fuß zu fassen, ging erst recht in die Hose. Dabei galt Schwimmer längst als eines der wichtigsten Leipziger Talente. Doch es ging ihm ganz ähnlich wie seinen Künstlerfreunden Berlit und Behringer: Der herrschende Leipziger Kunstgeschmack war konservativ und so ungefähr ein, zwei Generationen hinter der Zeit. Große Mäzene, die der Entwicklung Aufschwung hätten geben können, gab es nicht, und die Ankaufpolitik des Bildermuseums war eher chaotisch als professionell. Die Ausstellungspolitik muss nicht viel besser gewesen sein. Oder war es nur der Blick des frustrierten Künstlers, der sich hier austobte?

Jedenfalls waren Schwimmers Beiträge für die LVZ von Anfang an kritisch, kämpferisch und kompromisslos. Und er erklärte den Lesern auch, welche Maßstäbe er setzte und warum für ihn Künstler wie Munch, Liebermann, van Gogh, Daumier, Manet das Maß der Dinge waren. Was nicht ganz einfach ist, wenn man die Arbeiten der Künstler nicht mit abbilden kann. Wie erklärt man Kunst? Und wie beschreibt man Kunstwerke? Und wie erklärt man den Leuten, dass ein meisterlich gemaltes Bild ohne künstlerische Idee eben doch nur Kitsch ist? Und dass Max Klinger, der einzige große Leipziger Künstler der jüngeren Vergangenheit, den er überhaupt noch gelten lässt, seine künstlerischen Arbeiten oft verdarb, weil er auch noch andere Ideen mit ins Bild stopfen wollte? Kann man Kunst-Sehen lernen? Oder lehren?

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Schwimmer versuchte es zumindest und begann auch eine kleine Reihe von Bildbeschreibungen, die er freilich nach Teil 3 abbrach. Da hatte er sich augenscheinlich ein bisschen zu viel vorgenommen, obwohl gerade das seine Profession war, denn er war ja nicht nur Lehrer von Beruf, er war auch ein begabter Lehrer, was auch seine Vorgesetzten an der Kunstgewerbeschule, an der er dann eine Halbtagsstelle bekam, zu schätzen wussten.

Wäre dieser kleine Mann nur nicht so ein verflixt bissiger Geist gewesen. Mächtige vergessen nie, wer sie in die Hacken gebissen hat. Und Schwimmer ließ keine Ausstellung aus, um die kleinkarierte Kunst- und Personalpolitik in Leipzig zu kritisieren. Und als es um die Neubesetzung der Direktorenposten für das Museum der bildenden Künste und des Museums für Kunsthandwerk ging, bezog er klar und mehrfach Position – gegen die Absicht von OBM Rothe, einen nicht ganz billigen Generaldirektor aus Hamburg zu berufen.

Auch in die Stadtbaupolitik mischte er sich mehrfach ein und übte gedruckte Kritik nicht nur an Stadtbaurat Hubert Ritter, sondern auch am Geschmack der Leipziger Stadtplaner und Architekten. Besonders gern kritisierte er das aus seiner Sicht architektonisch völlig missratene Krochhochhaus.Auf manche seiner Grundthesen kam Schwimmer immer wieder zurück. Mit so offenem Visier kämpft heute kein Kunstkritiker mehr gegen ausgestellten Kitsch und ideenlosen Akademismus. Was Schwimmers kämpferische Stellungnahmen durchaus wieder spannend macht, auch wenn einem oft genug die dazu gehörenden Bilder und Ausstellungseindrücke fehlen. Man würde schon gern mal selbst die wilden Hängungen im damaligen Bildermuseum sehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob er Recht hat. Mit seiner Einschätzung der zeitgenössischen Kunstszene scheint er zumindest sehr genau zu liegen in seiner Wertung. Und auch mit seinem Urteil: dass es einen professionellen Blick für echte künstlerische Begabung und Umsetzung braucht, um sentimentale Nachahmungen des immer Gleichen von eindrucksvollen und bestandskräftigen Kunstwerken zu unterscheiden.

Und um es dem Lesepublikum immer wieder auch bildhaft zu machen, schrieb er auch immer wieder über die wichtigen Künstler der Zeit und der jüngeren Vergangenheit – über Wilhelm Busch und Adolph Menzel, Käthe Kollwitz und Lovis Corinth, Frans Masereel und Heinrich Zille. Jeder Text ein neuer Anlauf, den Lesern den Unterschied zwischen Kunst und Dilettantismus deutlich zu machen. Da kamen denn auch einige der heute noch hochgelobten und teuer gehandelten Künstler nicht gut weg – Franz Stuck etwa oder Lyonel Feininger. Zwischendurch gab’s dann auch immer wieder gern auch Verrisse zu “verspießerter Kunst” oder dem von ihm verachteten Akademismus.

Und von der Deklaration einer proletarischen Kunst, die “zu den Arbeitern” ging, hielt er genauso wenig. Das bekam dann auch die Leipziger ASSO zu spüren, zu der seinerzeit auch ein Kurt Maßloff gehörte, der Schwimmer dann 1951 mit einer Kampagne von der Leipziger HGB vertreiben sollte. Gültig war für ihn nur künstlerische Meisterschaft. Man könnte sich beinah vorstellen, wie ein Max Schwimmer heutzutage vom Leder ziehen würde, wenn er sich noch traute. Aber von derlei Zuspitzungen ist die moderne Kunstkritik – nicht nur in Leipzig – um Lichtjahre entfernt. Man goutiert lieber schöne Phrasen und gedrechselte Wortmalerei, die alles, was irgendwie in einen Rahmen zu hängen ist, irgendwie als ganz wesentliche Kunsterzeugung preist.

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Schriften zur Kunst
Max Schwimmer; Inge Stuhr, Lehmstedt Verlag 2013, 24,90 Euro

Was mit dem Ur-Problem jeder Kunstkritik zu tun hat: dem so schwer fassbaren Maßstab. Und während die Mehrzahl der Kritiker ins nebulöse Orakeln auswich und damit quasi die Weiße Fahne hob, beharrte Schwimmer auf klaren Trennlinien und Maßstäben. Und trat damit reihenweise durchaus nicht ganz machtlosen Zeitgenossen herzhaft gegen das Schienbein. Und so stimmte denn OBM Carl Goerdeler 1933 höchstpersönlich der Entlassung Schwimmers aus seiner Dozententätigkeit zu, da ja doch nicht zu erwarten sei, dass er sich dem nunmehr regierenden Hardboiled-Spießertum und seinem kleinkarierten Kunstverständnis andienen würde.

Was Schwimmer dann bekanntlich dazu zwang, sich als Buchillustrator über Wasser zu halten. Die LVZ war übrigens schon drei Monate vor der Entlassung Schwimmers verboten worden.

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