Am Sonntag, zur Feier von 475 Jahre Reformation in Leipzig, wird dieses neue Heft aus der Reihe "Orte der Reformation" auf dem Thomaskirchhof ganz offiziell vorgestellt. So etwas nennt man eine Punktlandung. Immerhin 14 Hefte aus dieser Reihe sind schon erschienen, die jeweils auf 80 Seiten jene Städte vorstellen, die in der Reformation eine besondere Rolle gespielt haben. Leipzig kam spät dazu. Aber eindrucksvoll.

Denn so sehr Luther in einigen Briefen an seine Freunde schimpfte über diese Stadt (und ihr sogar den Untergang für das Jahr 1552) voraussagte – er war immer wieder da. Nicht nur zur Disputation 1519 und zur Einführung der Reformation 1539. Am Ende musste sich selbst seine Wahlheimatstadt Wittenberg ähnliche Vorwürfe gefallen lassen: Händlergeist und mondänes Stadtleben mochte der Theologieprofessor mit seiner mönchischen Vergangenheit eindeutig nicht. Und wenn er in 96 Thesen belegte, dass der Ablasshandel auch aus theologischer Sicht abgeschafft gehört, dann meinte er jeden Ablass damit, nicht nur den päpstlichen. Was in diesem Heft Heiko Jadatz in einem eigenen Beitrag schön kurz und farbig erklärt. Denn dass Luther gegen den päpstlichen Ablass wetterte, gefiel zwar dem durchaus reformgesinnten sächsischen Herzog Georg, doch was war mit seinem eigenen Ablass, mit dem er die schöne Annenkirche in Annaberg finanzieren wollte?

Als Luther dann gar betonte, dass jenes Konzilium, das knapp 100 Jahre zuvor über Jan Hus urteilte, in einigen Punkten geirrt haben muss, da war der dünne Faden durchgeschnitten, da wurde der bärtige Georg zum Feind Luthers und der Reformation – und die Leipziger mussten 20 Jahre warten, bis Luther wieder predigen durfte. Die Predigt zur Vesper in der Thomaskirche am 25. Mai 1539 ist legendär.

Legendär ist auch die erste Blüte des Leipziger Buchdrucks bis ungefähr 1521, bis der erzürnte Georg das Drucken protestantischer Schriften in seinen Landen vollends untersagte und den Druckern drakonische Strafen androhte. Das versaute den Leipziger Druckern auf Jahrzehnte das Geschäft, denn mit katholischen Schriften erzielten sie keine Auflage und keine Umsätze. Es waren die Schriften Luthers, die den Buchhandel in Sachsen zur ersten Blüte getrieben hatten. Sein Leipziger Lieblingsdrucker war zugleich einer seiner besten Freunde in Leipzig: Melchior Lotter.

Den Ort, wo einst seine Druckerei stand, findet man in der kleinen Stadtführung im Heft natürlich genauso wie Auerbachs Keller, der in der direkten Tradition von Auerbachs Hof steht, den der Medizinprofessor Heinrich Stromer aus Auerbach 1525 erst einmal auch zu jener später so berühmten Studentenkneipe machte. Bei Stromer kehrte Luther auch 1521 ein, als er in der Tarnung als “Junker Jörg” auf einem Wittenberger Kurzbesuch auch in Leipzig übernachtete. Und erkannt wurde.
Der kleine Lutherrundgang benennt nicht nur die Luther Wohlgesonnenen. Ein Relief im Hof des Fregehauses erinnert daran, dass Luther in Leipzig auch seine Gegner hatte. An der Universität sowieso, die um 1519 auch deshalb an Zuspruch eingebüßt hatte, weil die modernere Universität mit den gefragten Themen der Zeit seit 1502 in Wittenberg stand.

Wer Leipzig und Reformation nennt, kommt natürlich an der Kirchenmusik nicht vorbei, die mit Luther erst so recht zu einem lebendigen Teil des Gottesdienstes wurde. Was einer Traditionseinrichtung Leipzigs in den Folgejahrhunderten erst recht zum Aufschwung verhalf: dem Thomanerchor und seinen vielen begnadeten Thomaskantoren. Vorsichtig deutet auch Doris Mundus an, dass die “Musikstadt von Weltgeltung” ihren Ursprung in diesem anderen, neuen Verhältnis des Protestantismus zur Musik haben könnte. Die Stadt wurde weltoffener, die “Pfeffersäcke” wurden kulturvoller und begannen dann in der Bachzeit, Musik auf höchstem Niveau zu sponsern und zu pflegen. Mit der Rückbesinnung Mendelssohn Bartholdys auf Bach schloss sich der Kreis im 19. Jahrhundert. Also kommt der Besucher der “Lutherstadt” Leipzig an der Musikstadt genauso wenig vorbei wie an der Buchstadt. Und an der Wasserstadt? – Das Kapitel dazu hat Peter Matzke beigesteuert. Irgendwie sollte wohl die Kulturkirche Vineta noch ins Heft. So nebenbei schafft es auch Admiral “Brommy”. Es ist einer der Punkte, in der sich die lange Geschichte der Reformation mit der der Revolution verknüpft. Carl Rudolph Bromme war ja bekanntlich 1849 der erste Admiral einer deutschen Flotte.

Dass protestantische Kirche und gesellschaftlicher Protest in Leipzig eng zusammengehören, das wird spätestens bei der Rolle von St. Nikolai in der Friedlichen Revolution Thema.

Geschichte machte die “Neue Lehre” ja jede Menge – und dabei wurde auch Leipzig mehrfach in Mitleidenschaft gezogen: 1547 im Schmalkaldischen Krieg genauso wie dann im Dreißigjährigen Krieg. Das ergibt natürlich eigene Kapitel, die dem Leser anschaulich machen, wie viele – nicht immer friedliche – Facetten so eine Geschichte hat. Natürlich darf auch ein Teil mit den Porträts Leipziger Kirchen nicht fehlen. Die katholische St. Trinitatis-Kirche nicht ausgelassen, denn die Heftreihe betont auch den sehr modernen (und zu Luthers Zeiten nicht üblichen) Gedanken der Ökumene. Nicht ausgelassen wird auch die Sprengung der Paulinerkirche 1968, die von Luther selbst 1545 zur Universitätskirche geweiht worden war.

Irgendwie kam er dann eben doch ganz gern und oft nach Leipzig, mischte sich auch gern ein, als ab 1539 das ganze Kirchensystem umgebaut werden sollte und alle Welt einen guten Superintendenten suchte. Am Ende wurde es ja bekanntlich Pfeffinger. Jeder Ort, der in der auf rund 30 Bände konzipierten Reihe “Orte der Reformation” vorgestellt wird, zeigt ein eigenes Gesicht. Wer alle Bände sammelt oder gar alle Orte besucht, bekommt ein sehr komplexes Bild von der Veränderung, die Dr. Martin Luther auslöste, als er 1517 seine 95 Thesen veröffentlichte. Ob er sie an eine der Wittenberger Kirchentüren nagelte, ist dabei völlig egal. Denn schon im Dezember 1517 lagen sie in gedruckter Form vor – gedruckt von Jacob Thanner in Leipzig. Von vornherein nutzte Luther diesen Umschlagplatz Leipzig, auf dem er binnen Tagen 1.000 Schriften unter die Leute bringen konnte, wo es Wittenberger Drucker nur auf 100 brachten.

Die Symbiose zwischen Luther und Leipzig, diesem “bösen Wurm”, war schon sehr innig und kompliziert. Und wie heute alle wissen: sehr fruchtbar.

“Orte der Reformation: Leipzig”, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2014, 9,90 Euro

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