Manchmal wünscht man sich Bücher einfach ein bisschen anders. Zum Beispiel mit festem Einband und im Pocketformat, damit man sie einfach auch mal mitnehmen kann auf die grüne Wiese oder ins Café. So wird es bestimmt auch vielen Studienanfängern gehen, die sich mit dieser "EAGLE-Starthilfe" in die Grundlagen der Mathematik stürzen wollen.

Für eine ganze Reihe von mathematisch-technischen Studienfächern hat die Edition am Gutenberplatz Leipzig (EAGLE) jetzt schon solche Starthilfen vorgelegt, die in kompakter Form die Grundbegriffe eines Faches erläutern. In diesem Fall also ungefähr das “Mathe-Buch, 1. Stufe” für die mathematischen Erstsemester. Auch wenn es für alle anderen Leuten, die ihrem Grips mal wieder etwas Gutes tun wollen, auch ein hübsches Nachschlagewerk ist. Mathematik ist ja nichts Abgehobenes, Weltfremdes. Ohne die revolutionären Veränderungen, die die Mathematik gerade in den vergangenen 300 Jahren durchlaufen hat, wäre die moderne technische Entwicklung gar nicht denkbar. Es sind ja eher Mathematiker, die gern mal darüber frotzeln, das Alles wäre ja auch nur ausgedacht.

Und bei vielen Ableitungen, Weiterentwicklungen, Spezifizierungen und Beweisen steigt der mathematische Laie natürlich aus. Das braucht natürlich ein geschultes (und oft auch sehr spezielles) mathematisches Denkvermögen. Wesentlich mehr, als es an logischer Konsequenz im Alltag bedarf. Da kommt man auch mit jeder Menge Fuzzy-Logik durch und weiter und auch zu erstaunlichen Ergebnissen.

Aber frage mal einer einen Mathematiker nach Fuzzy-Logik …

Das wirklich Faszinierende an der Mathematik ist ja, dass sie gerade wegen ihrer konsequenten Abstraktion und einer gnadenlosen (Beweis-)Logik wohl die sauberste und eindeutigste Beschreibung mengenmäßiger Zusammenhänge und Verhältnisse in unserer Welt ist. Über eine andere Welt mit anderen Regeln und (physikalischen) Grundkonstanten können wir uns zwar den Kopf zerbrechen, aber diese eine, in der wir leben und in der auch die von Mathematikern in den letzten 3.000 Jahren herausgearbeiteten Regeln gelten, reicht ja völlig. Und ist, für ein mathematisch nicht ganz so begabtes (oder sollte man eher sagen: trainiertes?) Gehirn mehr als genug.

War es vielleicht sogar schon in Schulzeiten, als es um Mengen, Relationen, Funktionen und Zahlbegriffe ging. Wie in diesem Buch, das 2014 in 1. Auflage erschien. Und wie sehr der EAGLE-Verlag mit seiner Starthilfe-Reihe einen akuten Bedarf traf, zeigt die schlichte Tatsache, dass Martin Huber und Claudia Alberti gleich wieder ran durften, weil die 1. Auflage ruckzuck ausverkauft war.

Das hier ist die zweite. Und die beiden Mathematiker aus der Schweiz haben sogar – wie sie im Vorwort verraten – eine ganze Reihe Fehler ausgemerzt. Die unsereins beim Durchblättern gar nicht aufgefallen waren. Dazu braucht es wohl wieder einen scharfen mathematischen Verstand, um so etwas zu finden. Den die Käufer der Starthilfe wohl in der Regel haben.

Und es war auch noch Gelegenheit, ein kleines Extra-Kapitel einzuschieben in den Abschnitt “Mengen”: “Die symmetrische Differenz”. Soll ja vorkommen, dass Dinge sowohl zur Menge A als auch zur Menge B gehören.

Auf dem Cover sind wieder die Herren Cantor, Peano und Dedekind abgebildet, die alle drei aussehen wie pfiffige Professoren aus dem 19. Jahrhundert. Was auch stimmt: Das war nun einmal das Jahrhundert, in dem die strengsten Mathematiker (und der ein oder auch andere auch Sprachwissenschaftler im Zweitberuf) daran gingen, die ganze mathematische Nomenklatur aufzuräumen, als schwärmerische Definitionen über Bord zu schmeißen und für all die verwendeten mathematischen Begriffe klar mathematisch formulierte Definitionen zu finden. Das wird in den einschlägigen Kapiteln zumindest kurz angerissen, damit die Studierenden (weiblichen, männlichen und sonstigen Geschlechts) auch wissen, woher das alles kommt. Der unbedarfte Leser hat wieder dieses schöne Gefühl aus der Schule, als man solche Definitionen noch richtig lernen musste und die zugehörigen Formeln, die den Satz auch in Ziffern und Zeichen abbilden, zu entschlüsseln lernte.

Manches taucht beim Wiederlesen aus der Versenkung wieder auf. Da und dort zuckt die Hand, will nach dem so lange entbehrten Mathematik-Buch greifen und die damals fett markierte Stelle wieder aufschlagen, die so viel Spaß gemacht hat, als man’s endlich begriffen hatte. Aber das Buch ist längst den Weg aller Schulbücher gegangen. Und so ist die Starthilfe natürlich auch wieder eine Einladung an alle, die sich von den Narreteien der Gegenwart so völlig unterfordert fühlen, sich doch wieder einmal in diese schönen abstrakten Welten zu begeben, die sich mit einem “Muss man doch mal sagen dürfen” eben nicht zufrieden geben. Sagen darf man viel – nur in der Mathematik (und einigen anderen echten Wissenschaften) muss man es auch beweisen können. Wenn man es nicht kann, war entweder der Lösungsweg falsch oder die Grundannahmen haben nicht gestimmt. Achja, nicht vergessen: den Gegenbeweis. Mathematiker sind ernsthafte Leute, die sich lieber zwei Mal absichern, bevor sie ein Ergebnis als richtig anerkennen. Mit Durchschlumpern, wie es einige öffentliche Herrschaften mit Doktortitel immer wieder versuchen, ist hier nichts zu machen.

Die beiden Autoren verwenden auch ein hübsches Wort, das heute manchmal geradezu das Gegenteil dessen ist, was manche Leute als effizient bezeichnen: präzise.

Was auch die Grundlage des Buches ist: eine präzise (Mengen-)Sprache, die dem aufmerksamen Leser auf knappem, sauber sortiertem Raum zeigt, wo es langgeht in der Mathematik und wie genau man sprechen muss, wenn man eindeutig oder gar eineindeutig werden möchte. Drunter geht es nicht in der Mathematik. Wissenschaft kann so herrlich streng sein.

Martin Huber, Claudia Albertini: EAGLE-Starthilfe “Grundbegriffe der Mathematik”, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, 2. Auflage, Leipzig 2015, 14,50 Euro

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar