Die groƟen, brƤsigen Alt-Historiker streiten sich noch immer: Haben sich die Deutschen den Nationalsozialismus einfach gefallen lassen? Waren das alles MitlƤufer und MittƤter? Haben sie sich nicht gewehrt gegen die NS-Diktatur? Sind die AttentƤter vom 20. Juli und die WeiƟe Rose nur eine Randerscheinung? - Wahrscheinlich irren sie. Sogar katastrophal. Denn so lƤsst sich die Funktionsweise von Diktaturen nicht verstehen.

Denn das sind – das vergisst man so leicht als BĆ¼rger einer halbwegs funktionierenden BĆ¼rokratie – keine Wahlveranstaltungen. Auch das NS-Reich war keine, obwohl die Deutschen am 5. MƤrz 1933 ein letztes Mal wƤhlen gehen durften. Oder mussten. Denn die SA-SchlƤger standen da schon vor den Wahllokalen. Die KPD war verboten, die SPD-Zeitungen auch. Und selbst wer am 5. MƤrz SPD oder KPD seine Stimme gab, musste bald erleben, wie die GewƤhlten aus den Parlamenten verschwanden und oft genug in ZuchthƤusern und KZs landeten.

Diktaturen machen sehr schnell deutlich, welche Macht sogar eine Minderheit bekommt, wenn sie sich den Zugriff auf alle staatlichen Machtorgane sichern kann.

Und die wehrten sich 1933 so gut wie gar nicht gegen die Ɯbernahme. Im Gegenteil: Es gab genug Staatsdiener, die nur zu bereit waren, auch Diener der neuen Herren zu sein. Nicht SA und SS waren es, die den Widerstand gegen das Nazi-System aufrollten und erstickten, sondern Geheime Staatspolizei (Gestapo) und eine zumeist willfƤhrige Justiz. Wer auch nur wagte, die neuen finsteren Herren zu kritisieren, musste nicht nur damit rechnen, ins GefƤngnis zu wandern. Widerstand – erst recht dann, wenn er ƶffentliche Wirkung entfaltete – wurde mit gnadenlosen Todesurteilen geahndet. Das System konnte nur mit maximaler Kontrolle, Denunziation und brutaler EinschĆ¼chterung funktionieren.

Und Sascha Lange zeigt nun auch in dieser Publikation, wie stark der Protest gegen dieses System tatsƤchlich war – und wie machtlos.

Dabei ist das Schlagwort der EdelweiƟpiraten in der einschlƤgigen Geschichtsschreibung schon seit langem prƤsent, teilweise verklƤrt, Ć¼berhƶht – aber auch kleingeredet. Mit seinem 2012 vorgelegten Buch “Leipziger Meuten” hatte der Leipziger Historiker Sascha Lange schon mit einem erstaunlich umfangreichen Quellenmaterial belegt, dass es auch in Leipzig ein vergleichbares PhƤnomen gab, das 1938 und 1939 genauso ins Fadenkreuz der Gestapo geriet und Dutzende junge Leipziger ins Zuchthaus brachte, die ihren Willen nach einem eigenen, frei bestimmten Leben in den verschiedenen StraƟencliquen auslebten, die zuerst von den Verfolgern als “Meuten” bezeichnet wurden. Und die jungen Leute kamen nicht nur aus dem linken, proletarischen Milieu. Auch Jugendliche aus bĆ¼rgerlichen ElternhƤusern strƤubten sich gegen den Versuch der Einvernahme und Gleichschaltung in der Hitlerjugend, legten sich ein eigenes, extravagantes Outfit zu, das sie deutlich von der uniformierten HJ unterschied, und trafen sich weit ab der vorgegebenen Rituale, um ihren Protest gegen die Bevormundung einer als stupide, dumm und brutal erlebten Gleichschaltung auszuleben.

Dabei gab es auch in Leipzig Gruppen, die den vor allem in Hamburg und Berlin aktiven Swing-Kids nƤher standen und vor allem in der anglo-amerikanischen Musik und Kultur ihre Ausdrucksform des gelebten Protestes fanden. Aber auch – so betont es einer der Hamburger GesprƤchspartner von Sascha Lange – ihren Widerspruch gegen den reaktionƤren Aufstand der Nazis gegen die Moderne. Gerade weil Sascha Lange sich in diesem neuen Buch nun vorgenommen hat, die gesamte Protestkultur der jungen Leute in Deutschland zwischen 1933 und 1945 zu erfassen, wird noch viel deutlicher als nur am Leipziger Beispiel, dass das NS-Reich eben kein modernes Land war, keine moderne Gesellschaft, wie sie heute von einigen Historikern gern erfasst wird. Die MachtĆ¼bernahme der Hitler-AnhƤnger war im simpelsten Sinne eine echte Konterrevolution, die nicht nur die Errungenschaften der Weimarer Republik aufrollte, sondern bis in die Kultur, die Arbeitswelt und die Familie hinein stockreaktionƤre Vorstellungen verwirklichte, die gerade bei vielen lebenslustigen jungen Leuten auf erbitterten Widerstand stieƟen. Dazu war das Vorbild der echten Moderne zu prƤsent. Bis 1939 gab es amerikanische Filme in deutschen Kinos zu sehen, in den MusiklƤden wurden auch die neuesten Titel der internationalen Jazz- und Swing-Szene gehandelt. Tanzorchester hatten die StĆ¼cke fest im Repertoire – auch als sie von den neuen Machthabern schon lƤngst aus dem Radio verbannt waren. Und der Schweizer Teddy Stauffer war mit seiner Band ein Idol der GroƟstadtjugend.

Sascha Lange hat fĆ¼r sein Buch nun so ungefƤhr alles zusammengetragen, was in der jĆ¼ngeren Forschung zu all den Jugend-Protestkulturen in den deutschen StƤdten mittlerweile vorliegt. Es ist echte bodenstƤndige Arbeit, die er hier leistet, denn so wie in der Leipziger Geschichtsschreibung 60 Jahre lang kein Wort zu vernehmen war zu den jungen Leuten, die sich auch mit FƤusten gegen die HJ-Streifen wehrten, so waren diese Jugendlichen auch in der gesamtdeutschen Geschichtsschreibung zur NS-Zeit immer nur eine FuƟnote. Sie wurden wie unscheinbare Alibis behandelt, die durch ihre Seltenheit noch deutlicher machen sollten, wie wenig Widerstand es in Deutschland gegen die NS-Diktatur gegeben haben soll.

Nur haben sich leider viel zu viele Historiker immer nur auf das offiziƶse Quellenmaterial der NS-Propaganda selbst gestĆ¼tzt, wo natĆ¼rlich Pimpfe, HJ und stramme Soldaten in unzƤhligen Posen und Einstellungen gezeigt wurden, wo auch die Selbstdarstellungen eines 100-Prozent-Regimes die Wirklichkeit verzerrten.

Aber lernen manche Forscher Ć¼berhaupt etwas daraus, wenn sie die Wirkungen und Selbstdarstellungen von Diktaturen untersuchen? Wollen sie Ć¼berhaupt etwas daraus lernen?

Die Akten, in denen Sascha Lange fĆ¼ndig wird, sind vor allem die Protokolle und Verhƶraufzeichnungen der Gestapo, die im Lauf der Zeit deutschlandweit einige tausend junge Menschen verhƶrte, die in einer der vielen Razzien in den GroƟstƤdten eingefangen wurden. Hier werden die Motive der jungen Menschen sichtbar – gleich neben dem miefigen Vokabular der HƤscher, das erst in seiner Plumpheit deutlich macht, mit welchem Hass die Nazis jede Spur von freier Lebensart, WeltlƤufigkeit, Lebenslust verfolgten. Oft genug diente das verwendete Vokabular dazu, die jungen Menschen zu kriminalisieren. Und es war oft genug der Situation und der Zeit geschuldet, ob der gelebte Protest fĆ¼r die jungen Leute mit dem Galgen endete oder “nur” mit sechs Monaten Zuchthaus.

Besonders gut belegt sind mittlerweile die Kapitel zu den EdelweiƟpiraten aus dem Ruhrpott, den Swing-Kids aus Hamburg und Berlin und den Leipziger Meuten. Sascha Lange zeigt, wie eng verzahnt diese von Lebenshunger geprƤgten Milieus oft mit jenen Gruppen waren, um die dann die Geschichtsschreibung einfach nicht umhin kam, weil sie schon in ihrer Zeit fĆ¼r Aufsehen sorgten – wie die “WeiƟe Rose” in MĆ¼nchen oder die Herbert-Baum-Gruppe in Berlin. Manchmal Ć¼berschnitten sich die Anliegen einiger Gruppen mit dem politischen Widerstand insbesondere aus dem linken Lager. Aber das war nicht die Regel. Und ist auch fĆ¼r Diktaturen nicht die Regel, auch wenn Historiker sich oft genauso gern in das Muster Links/Rechts flĆ¼chten, weil es so schƶn eingƤngig ist.

Das bildet die Lebendigkeit einer Gesellschaft nie wirklich ab. Und indem sich Sascha Lange auf die jugendlichen Protestformen konzentriert, zeigt er auch, dass es selbst in einer gleichgeschalteten Gesellschaft, wie es die NS-Dikatur war, einen dauerhaften Widerstand gibt, der sich mit der Uniformierung und dem Kadavergehorsam nicht abfindet und FreirƤume und Abgrenzungen sucht. Ein PhƤnomen, das dann in erstaunlich Ƥhnlicher Form auch in der DDR wieder auftauchte.

NatĆ¼rlich ist es nie “die ganze Jugend”, die rebelliert. Oft genug brauchte das auch in der NS-Zeit das richtige soziale Milieu, die mƶglichen materiellen Ressourcen und oft genug auch die gewisse AnonymitƤt der GroƟstadt, auch wenn die Gestapo auch aus kleineren StƤdten die Bildung solcher Gruppen meldete. Sofern sie nicht im ƶffentlichen Raum aktiv wurden, wurden sie da und dort sogar geduldet, oft vielleicht auch in der amtlichen Erwartung, dass man die jungen Leute mit Arbeitsdienst und Gestellungsbefehl zur Wehrmacht doch noch kleinkriegen wĆ¼rde.

Das wird nƤmlich auch sichtbar, wenn Lange aus den Akten zitiert: Dass HJ, NS-Apparat und Gestapo zwar hin und wieder im Dunkeln tappten und nicht wussten, womit sie es zu tun hatten. Wenn es ihnen aber gelang, Spitzel und Denunzianten einzuschleusen, konnte das schnell zu Massenverhaftungen und Massenurteilen fĆ¼hren.

Oft genug wird an den jungen Protest ja auch von auƟen der MaƟstab angelegt, wie wirkungsvoll dieser Widerstand war. War er Ć¼berhaupt so angelegt?

Aber das Ć¼berfordert nicht nur die Bewegung. Das versucht auch Helden zu machen, wo junge Menschen einfach in aller Ehrlichkeit versuchen, sich nicht gleichschalten und unterordnen zu lassen. Dass selbst der menschliche Wille frei zu sein in dieser Zeit, die BegrĆ¼ndung fĆ¼r eine staatliche Hinrichtung sein konnte, zeigt im Grunde auch, wie grĆ¼ndlich ein solches System sƤmtliche mennschlichen Werte Ć¼ber den Haufen wirft, wenn es seine Staatsdiener einfach dazu befehlen kann. Nach 1945 hat das gerade im Westen der Republik dazu gefĆ¼hrt, dass der jugendliche Protest gegen das Nazi-System Ć¼ber Jahrzehnte tabu war. Zu viele MitlƤufer und TƤter hatten sich wieder entscheidende Positionen im Staatsapparat gesichert, einige waren auch als Historiker emsig bemĆ¼ht, das gescheiterte Nazi-Reich zu teilen in lauter bedauerliche MitlƤufer und ein paar wenige TƤter an der Spitze. So ist bis heute nicht wirklich aufgearbeitet, wie wichtig die komplette Ɯbernahme des Staatsapparates fĆ¼r die NS-Clique war. Oder im Grunde fĆ¼r jede machtbewusste Gruppierung ist, die Angst und Terror zur Staatsgewalt machen will.

Sascha Lange zeigt zum ersten Mal ein sehr breit gefasstes Bild der jungen Leute, die unter solchen Bedingungen ihren selbstbewussten Anspruch auf ein selbstgestaltetes Leben anmeldeten. Opposition fƤngt eben nicht mit Bombenbasteln an, auch wenn das brave, angepasste BĆ¼rger gern glauben. Sie beginnt mit der Verweigerung. Und genau das ist der Punkt, an dem sich alle MƤchtigen herausgefordert fĆ¼hlen: Wenn ihnen ausgerechnet die Jugend die Liebe verweigert, die sie verlangen. Und so reagierten denn die Goebbels & Co. auch – wie Leute, die die Verweigerung von Liebe und GlƤubigkeit in wilde Rage versetzt. Das verstanden sie einfach nicht. Und ihre Nachfolger verstehen es bis heute nicht.

Mal so gesagt: Das Buch ist topaktuell. Denn nicht nur die Jugendlichen sind, wie sie immer waren. Auch die MitlƤufer sind es und werden es augenscheinlich nie begreifen.

Sascha Lange “Meuten, Swings & EdelweiƟpiraten“, Ventil Verlag, Mainz 2015, 17 Euro

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