Städte verändern sich, wenn man sie in andere Sprachen übersetzt. Das hat der Lehmstedt Verlag für die zuckersüße Sahnehäubchenstadt Dresden nun schon in mehreren Sprachen bewiesen. Die ganze barocke Pracht entfaltet sich ja erst in Französisch so richtig. Aber was passiert, wenn man die Holländer nach Elbflorenz schickt, nach "Florence aan de Elbe"?

Man braucht an dieser Stelle eigentlich nicht wirklich weiter zu machen: Aus dem Sahnebaiser wird ein Tulpenbeet. Die Holländer besitzen augenscheinlich eine herrlich irdische Sprache, auch wenn sie beim Niederschreiben eher wie ein Blumenbouquet aussieht. Aber eines aus Feldblumen, nicht aus dem Krimskrams, den man für gewöhnlich mit Tüll umwickelt. Beim Lesen hat man regelrecht das Gefühl, mit zwei properen echten Holländern mit Shorts und Sonnenhut durch die Stadt an der Elbe zu flanieren. August wird zum reinen Muskelprotz: Augustus de Sterke, als hätte er auch gleich im Zirkus auftreten können, so als keurvorst und koning, auch wenn die leise Skepsis ursprünglich von Doris Mundus stammt: “Hij was vermoedelojk de kleurrijkste figuur uit de baroktijd …” Dieses “vermutlich” macht ihn richtig menschlich.

Könnte ja sein, dass ein paar andere Figuren aus der Zeit doch schillernder waren. Selbst die Prunkbauten des schillernden Augusts werden im Niederländischen zu sehr praktischen Einrichtungen. Aus der Sicht des kleinen, erfolgreichen Händlervolkes macht Prunk und Schnickschnack ja nicht viel Sinn, egal, ob es der viel gepriesene Fürstenzug ist (Vorstenoptocht), das Residenzschloss, das zu einem simplen Kasteel wird, oder die Kreuzkirche, die zur Kruiskerk wird. Nur der Palais voor Cultur scheint eine Etage edler zu werden und nun mit den ganzen anderen Palais auf selber Wasserhöhe zu schwimmen.

Hingegen das Spazieren auf den alten und neu gemachten Straßen bekommt etwas Gravitätisches, als hätte hier ein holländischer Kaufmann wohlwollend genickt beim Vorüberschreiten: “In de Gewandhausstraße trekt een prachtig, barokke gebouw de aandacht.” So kann man Baumeisterkunst auch bewundern: andächtig. Und da ein ordentlicher holländischer Tuchhändler nicht ganz schlank ist, steht dem gravitätischen Stadtumzug (stadswandeling) auch sprachlich die Mühe gegenüber, wenn’s mal rauf gehen soll auf den 100-Meter-Turm des Nieuwe Raadhuis: Torenbeklimming.

Man hat alles vor Augen bei diesem Wort. Auch wenn die Aussichtsplattform schon auf 68 Meter ist – eine Turmerklimmung bleibt es ja doch. Und selbst die ganze Dresdner Vergülderei (Gouden Ruiter) hört sich aus berufenem Munde gleich ganz anders an, wie ein ordentliches Handwerk eben – in diesem Fall beim vergoldeten Bacchus. Vergulde klingt so schön kaufmännisch doppelsinnig.

Und auch die alte Festung Dresden, die schon Friedrich der Große und Napoleon nicht allzu ernst genommen haben, entpuppt sich im Niederländischen als Geldverschwendung in Stein: es wird eine Vesting draus. Kann man dann mit Schwesting und Freunding mal reinschnorcheln und die so wachsame Jonkvrouwebastion von innen begucken, das “bleef als enige van de Dresdense stadspoorten bewaard, net als het wachthuisje an de vier grote schietgaten voor geschut.”

Womit dann alles gesagt ist über die Schießerei im Krieg.

Natürlich liegen auch alle die üblichen Verdächtigen wieder am Wegesrand, nicht tot zu kriegen die Gräfin Cosel, Baumeister George Bähr, Bildhauer Balthasar Permoser, Gottfried Semper und Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, der sich soviel Mühe mit der barocken Stadtsilhouette gegeben hat. 2008, als der deutschsprachige Stadtführer erschien, ist Dresden gerade seinen Weltkulturerbetitel losgeworden. Jetzt versuchen es die Elbflorenzer wieder und wollen den Titel jetzt für Hellerau (Concerrt-theatergebouw) besorgen. So richtig ernst nehmen sie die UNESCO augenscheinlich nicht. Vielleicht wird man so, wenn man zu lange im Elbtal gewohnt hat, in “het landschap van het liefelijke dal van de Elbe”.

Alles wirkt gar sehr vergüldet und verprächtigt. Aber im Innern steckt ein einfacher Bau. So wie in dieser von der Bierwerbung her bekannten Oper, benamst nach Gottfried Semper: auf schlicht Holländisch eben ein Operagebouw. Und so einen unfassbaren Namen wie Zwinger scheint es im holländischen Flachland gar nicht zu geben, das wird extra erklärt und klingt so schön: “ruimte tussen binnen- en buitenmuur van een burcht”. Früher hielt man da Bären, heute fühlen sich dort Touristen wohl, die von Oude Meesters und Wiskunde genug haben. Und wo geht man dann hin, so als Holländer auf Zeit? – Natürlich in die prächtige Zuivenwinkel van Pfund, da bekommt man, was das Gemüt verlangt: kaas- en melkspecialiteiten, aber auch was zum Schnasseln und – das ist wichtig – “alles voor de schoonheid”.

Da möchte man sich wirklich in einen pfundigen Holländer verwandeln und in Badelatschen durch diese hochvergüldete Stadt spazieren und alles mal von der herrlichen praktischen Seite betrachten.

Doris Mundus “Dresden in een dag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 4,95 Euro

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