Achgottchen, was wir alles merken müssten, wenn es nach einigen unserer Leser ginge: Wir wären Pythia, Sphinx und der Supercomputer Golem XIV in einem. Aber natürlich sind wir immer dankbar für Hinweise. Auch wenn sie mit streng erhobenem Finger gesendet werden. Wie der Hinweis auf "einen Vertreter der Neuen Rechten", der für das Buch "... wenn Gott Geschichte macht!" verantwortlich zeichnet.

Den Namen hat unser eifriger Leserbriefmahner nicht genannt. Aber bestimmt hat er Mitherausgeber und Autor Ulrich Schacht gemeint, den Wissenschaftler spätestens seit 1996 der Neuen Rechten zurechnen, der aber auch immer wieder mit diversen Literaturpreisen und Einladungen geehrt wird.

Im Band hat er zwei Essays beigetragen, die im Wesentlichen die Frage zu umschreiben versuchen, warum die Friedliche Revolution von 1989 die blutige Revolution von 1789 konterkariert hat. Im Unterschied zu den eigentlichen Redebeiträgen der “Erfurter Gespräche” von 2009 sind diese Texte nicht wirklich bissfest. Deswegen kamen sie in der Buchbesprechung auch eher nur am Rande vor. Hier sind auch die Stellen zu finden, die sich dezidiert gegen die europäische Aufklärung wenden und vor allem die großen Denker der französischen Aufklärung für die blutige Radikalisierung von 1792 bis 1794 verantwortlich machen.

Natürlich kann und sollte man das Buch auch weiterdenken: Blieben die Revolutionen von 1989 nur deshalb friedlich, weil viele Akteure sich auf christliche Werte rückbesannen und das Moment der Versöhnung und der Friedfertigkeit ins Zentrum ihres Handelns stellten?

Eine Frage, die man natürlich nicht beantworten kann, wenn man nur die Revolutionen von 1789, 1917, 1933 und 1989 wahrnimmt.

Auch nicht, wenn man nur die Revolutionäre allein in den Blick nimmt.

Das ist tatsächlich die Blindheit der meisten Interpretationen dessen, was 1989 geschah. Denn ganz beiläufig werden nicht nur zwei deutsche Revolutionen unterschlagen – die von 1848 und die von 1918, es werden auch keine Lehren aus der jüngsten Revolutionskette, dem Arabischen Frühling, gezogen. Denn nicht nur die Revolutionäre allein entscheiden ja, ob zur Gewalt gegriffen wird, sondern auch die Gegenseite.

Und auch die Französische Revolution war eben nicht nur durch das blutige Werk der Guillotine bekannt. Denn bevor es zum blutigen Terror kam, passierte etwas anderes: Die alten Feudalmächte Europas verbündeten sich zum Krieg gegen das revolutionäre Frankreich. “Der Verlauf des Krieges beeinflusste die innenpolitische Lage Frankreichs unmittelbar”, heißt es dazu auf Wikipedia. “Auch unter dem Eindruck des Koblenzer Manifestes kam es am 10. August zum Tuileriensturm und zur Verhaftung der königlichen Familie. Am 21. September wurde die Republik proklamiert, am 21. Januar 1793 Ludwig XVI. hingerichtet. Die französischen Niederlagen im Frühjahr 1793 waren ein wichtiger Faktor, der zum Sturz der Girondisten und zum Großen Terror der Jakobiner führte.”

Revolutionen sind immer ein Wechselspiel zwischen alten und neuen Mächten. Und in der Regel mischen sich auch noch allerlei äußere Mächte ein. In Russland 1917 übrigens auch. Auch da marschierten lauter Alliierte ein, die das Land erst einmal in einen jahrelangen Bürgerkrieg stürzten, darunter auch die Deutschen.

Das ist zwar 1989 in Osteuropa nicht passiert. Aber gerade weil es nicht passierte, lenkt es natürlich den Blick auf die eigentliche Ursache dafür, warum es friedlich blieb: Die alleinherrschenden Parteien hatten keine alliierten Verbündeten im Ausland. Und sie hatten auch keine Schutzmacht mehr. Denn dass die Sowjetunion in keinem der Länder mehr militärisch eingreifen würde, hatte Michail Gorbatschow den Funktionären ja schon 1988 erklärt (auch wenn es die meisten wohl gar nicht begriffen): Er hat die alte Breschnew-Doktrin aufgehoben.

Doch wie bewahrt man die Macht in nun souveränen Ländern, wenn man selbst nicht souverän ist? Das war ja das Dilemma der osteuropäischen Funktionärsparteien, die immer nur eine Macht aus zweiter Hand innehatten.

Was ja wohl heißt, dass mehrere günstige Faktoren zusammen kommen müssen: Die Ohnmacht der Allmächtigen (übrigens der Titel eines der besten SF-Bücher aus der DDR von Heiner Rank) und der Wille der Revolutionäre zum Dialog und zur friedlichen Lösung. Was 1989 im Ostblock die Regel war. Und wohl ein einmaliger historischer Moment: die alten Machteliten resignierten und die neuen Veränderer wollten keine Guillotine aufstellen.

Das wirkt gerade aus kirchlicher Perspektive wie ein Wunder, war aber wohl keines. Auch wenn die Situation – man schaue nach Nordafrika, Iran, Syrien, in die Ukraine – wohl wirklich historisch einmalig war. Die Regel ist wohl doch eher, dass die alten Kräfte dazu neigen, ihre Macht mit Klauen und Zähnen (Terror, Folter, Bürgerkrieg) zu verteidigen, während die friedlichen Revolutionäre wohl doch zumeist niederkartätscht werden, was man 1989 ja bildhaft “die chinesische Lösung” nannte. Und mit der rechneten am 9. Oktober 1989 ja bekanntlich beide Seiten.

Aber es fand sich – das ist wohl eher das Erstaunliche – anders als 1848 kein “Kartätschenprinz”, der bereit war, das Signal zum Schießen zu geben. Die wahrscheinlichste Interpretation dieser Tatsache ist wohl: Die in diesem Moment Verantwortlichen rechneten sich keine Chance aus, dabei irgendeine Art von Sieg einzufahren. Da gingen sie lieber gar nicht ans Telefon und überließen die Gewissensentscheidungen den subalternen Befehlshabern vor Ort. Und die hatten gelernt, dass man ohne Befehl von oben lieber gar nichts tut und der Sache ihren Gang lässt.

Hätten Assad und Gaddafi so freiwillig von der Macht gelassen, wäre sicher auch in Nordafrika und dem Nahen Osten einiges friedlicher verlaufen. Richtig blutig – und das ist dann wohl die belegbare Gegenthese zum Buch – werden Revolutionen immer dann, wenn die alten Tyrannen ihre Macht mit allen verfügbaren Mitteln verteidigen und bereit sind, das ganze Land mit in den Untergang zu reißen, nur um nicht abdanken zu müssen. So gesehen, war auch 1945 das Ende einer blutigen Revolution.

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