Als die Bürger der DDR im Herbst auf die Straße gingen, da hatten sie nicht nur die Nase voll von Bevormundung, Überwachung, fehlender Reise- und Pressefreiheit, da ging es auch um eine völlig auf Verschleiß gefahrene Wirtschaft und eine Umweltverschmutzung, die auf keine Kuhhaut mehr ging - aber trotzdem Verschlusssache war. Und wer das thematisieren wollte, bekam es sofort mit der Staatsmacht zu tun.

Dieser Aspekt kommt in vielen Darstellungen zur Geschichte der Friedlichen Revolution zu kurz. Der Fokus wird meist verengt auf die im Schutzraum Kirche agierenden Friedens- und Menschenrechtsaktivisten. Auch weil gerade das Thema der Menschenrechte seit der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 allgegenwärtig war: Fortan musste sich auch die Honecker-Regierung an der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsstandards messen lassen. Daran gehalten hat sie sich nicht. Geändert hat sich nur der Umgang mit den Menschen, die der staatliche Überwachungsapparat kurzerhand zu Staatsfeinden erklärt hatte. Die Ausbürgerung von Wolf Biermann war ja nur der Beginn einer fast systematischen Abschiebung aller kritischen Köpfe in den Westen – aber auch einer wachsenden Zahl von Ausreiseanträgen. Michael Beleites spricht zu Recht von einem Aderlass, der der eh schon schwachen Oppositionsbewegung in der DDR viele wichtige Köpfe kostete.

Auch das Wort Opposition findet er in diesem Zusammenhang nicht so gut, denn in die komfortable Lage, überhaupt zu einer von der alleinherrschenden SED als politischer Gesprächspartner akzeptierten Opposition zu werden, kamen ja die vielen Initiativen und Gruppierungen nie, die in der DDR versuchten, Widersprüche und Fehlstellen zu thematisieren. Im Gegenteil: Wer das tat, wurde ziemlich automatisch zum Überwachungsvorgang für die Stasi und am Ende ein „Operativer Vorgang“, bei dem nur noch die Frage war, mit welchen Sanktionen die Wächter des allein seligmachenden Sozialismus reagierten.

Und das erlebten auch all jene, die ab Ende der 1970er Jahre begannen, die zunehmenden Umweltprobleme in der DDR zu thematisieren. Mit Michael Beleites schreibt einer über das Thema, der es selbst erlebt hat, der einer der wichtigsten Akteure in der Umweltbewegung der DDR war und nach 1990 in seiner Stasi-Akte nachlesen konnte, wie die Staatsmacht gegen ihn und andere vorging. Er geht dabei auch auf eine Fehlstelle in der heutigen Wahrnehmung – auch der Entschädigungsleistungen für Opfer des SED-Regimes – ein. Denn entschädigt werden vor allem Menschen, die tatsächlich zu anerkannten Justizopfern wurden, nicht aber jene, die erleben musste, dass auch schon die operative Arbeit des MfS dafür sorgen konnte, Menschen mit allen Mitteln zu bestrafen.

Es war Teil der „Zersetzungs“-Strategie, die inzwischen auch mit vielen Originaldokumenten aus den Stasi-Archiven belegt werden kann. Wer Ziel einer solchen Vorgehensweise wurde, verlor in der Regel seine Arbeit, erlebte einen beruflichen Abstieg – oft bis hin zum Versuch, ihn von jedem Einkommen völlig abzuschneiden, ihm wurden selbst die wenigen Reiserechte genommen, die DDR-Bürger bis 1989 noch hatten. Und im engeren Umfeld wurde massiv mit Gerüchten und Rufschädigungen gearbeitet. Was dann 1990 meist zur Folge hatte, dass viele der Betroffenen auch in der neuen Gesellschaft chancenlos waren, wenn sie nicht das Glück hatten, über die neuen Parteien und gesellschaftlichen Entwicklungen den Einstieg in die Politik zu finden.

Noch Anfang der 1970er Jahre war selbst die SED-Führung bereit, das Thema Umweltschutz recht offen anzugehen. Es wurde ein richtiges Umweltministerium installiert und es erschienen tatsächlich statistisch belastbare Umweltberichte. Aber damit war nach Honeckers Machtübernahme Schluss. Alle relevanten Umweltdaten wurden nach und nach zu Verschlusssachen erklärt. Wer sich später anschickte, diese Daten zu bekommen oder gar zu veröffentlichen, der sah sich bald all den schwammigen Paragraphen ausgesetzt, die die DDR-Gesetzgebung für Menschen bereithielt, die das Bestehende auch nur ansatzweise infrage stellten.

Dass dem so war, erfuhren die Betroffenen in der Regel tatsächlich erst, wenn sie nach 1990 ihre Akten lasen. Michael Beleites – von 2000 bis 2010 Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen – erzählt in diesem handlichen Buch auch die notwendige Vorgeschichte, was dringend notwendig ist. Sonst versteht man nicht, warum es so schwer war, Umweltthemen überhaupt zu benennen. In offiziellen Medien der DDR ging das sowieso nicht. Und auch die Naturschutzgruppen im Kulturbund waren dafür eigentlich nicht die Basis, auch wenn sie von der Staatsmacht durchaus als Sammelort für die Naturfreunde im Land gedacht waren. Bücher und Zeitschriften über Natur und Heimat durften durchaus erscheinen. Nur eins war komplett tabu: Die zunehmende Zerstörung der Umwelt durch die auf Verschleiß gefahrene Wirtschaft auch nur zu erwähnen – egal, ob es die ungeklärte Einspeisung von Chemieabwässern in Flüsse und Seen war, die ungefilterten Abgase der riesigen Kohlefabriken, die Zerstörung der Landschaft durch den Uranbergbau bei der Wismut oder die flächendeckende Landschaftszerstörung durch die industrialisierte Landwirtschaft und die Massentierhaltung. Es stank zum Himmel. Und zwar in vielen Regionen des Landes.

Dass die entscheidenden Demonstrationen im Herbst 1989 ausgerechnet in Leipzig stattfanden, hat genau damit zu tun, denn die schlimmsten Umweltsünder rauchten, stanken und schwelten im mitteldeutschen Industriedreieck rund um Leipzig. Die Namen waren landläufig: Bitterfeld, Leuna, Buna, Wolfen, Deuben, Espenhain … Die ungefilterten Schwefeldämpfe der Kohleschlote zogen mit dem Wind regelmäßig gegen Südwesten und sorgten im Erzgebirge im Verein mit den Luftbelastungen aus Böhmen zum flächendeckenden Waldsterben. Kein Gebiet der DDR war so dicht von massiven Orten der Umweltzerstörung besetzt wie das spätere Sachsen, schreibt Beleites.

Aber es waren nicht die Arbeiter aus den rußenden und rauchenden Fabriken, die die Probleme auf den Tisch brachten, sondern zumeist junge Menschen, die diese Zerstörung ihrer Heimat nicht mehr aushielten und begannen, Daten, Fakten und Nachrichten zu sammeln, die das Ausmaß der Umweltzerstörung in der DDR zeigen konnten. Manche waren dabei richtig mutig, nutzten ihre halboffizielle Stellung im Kulturbund aus, um an die nicht-offiziellen Daten zu kommen. Andere zogen mit Fotoapparat und Video-Kamera los, um die Zerstörungen im Bild festzuhalten und – gerade zu Ende der 1980er Jahre hin – möglichst in den Westen zu schmuggeln. Denn wie schlimm es in den oft zum Sperrgebiet erklärten wüsten Landschaften aussah, das erfuhren die meisten DDR-Bürger erst, wenn darüber im Westfernsehen berichtet wurde.

Doch auch die Umweltbewegung der DDR hatte ihre Phasen der Entwicklung. Spätestens ab 1986/1987 ging sie auch mit mutigen Aktionen verstärkt in die Öffentlichkeit – wenn auch stets möglichst in den vagen Schutzräumen der Kirche. Und 1986 ist auch für einen Aspekt der Bewegung wichtig, der zuvor kaum wahrgenommen wurde: Der Reaktorunfall in Tschernobyl machte auch die Umweltgruppen in der DDR aufmerksam darauf, dass in der DDR nicht nur ebenfalls sowjetische Atomreaktoren standen und gebaut wurden und noch weitere Atomkraftwerke in Planung waren – jetzt rückte auch die gewaltige Umweltverwüstung durch den Uranbergbau bei der Wismut in den Vordergrund.

Das war eine Menge Arbeit für vergleichsweise wenige Menschen, die sich in den übers Land verteilten Initiativgruppen zusammenfanden, die sich aber auch zunehmend vernetzten und – man war ja unterm Dach der Kirche sowieso schon zusammengerückt – auch vielfach verflochten mit den Inititiativen für Frieden und Menschenrechte. Was dann 1989 zur Folge hatte, dass viele Aktive aus der Umweltbewegung nun auch als Gründer der neuen Parteien in Erscheinung traten. Und zwar nicht nur der Grünen Partei, die unter den Gründungen der „Wende“-Zeit ein echter Spätling war.

Und ein Glücksfall war es, dass sie sowohl in der zweiten Regierung Modrow als auch in der Regierung de Maizière kurzzeitig auch wichtige Entscheidungen beeinflussen konnten. Unter der Modrow-Regierung war es zum Beispiel die sofortige Beendigung des Atomprogramms der DDR, in der letzten DDR-Volkskammer dann noch der Beschluss, Nationalparks einzurichten. Die Nationalparks, die es heute im Osten gibt, beruhen auf einer der letzten Entscheidungen der Volkskammer. In diesem Fall der im März 1990 erstmals frei gewählten Volkskammer.

Beleites stellt etliche der Persönlichkeiten vor, die seinerzeit wichtige Rollen in der ostdeutschen Umweltbewegung spielten, benennt auch einige der wichtigen Aktionen, mit denen über echte Umweltthemen die Veränderungen im Osten in Gang gesetzt wurden und – trotz staatlicher Repressalien – das öffentliche Bewusstsein beeinflussten. Für Leipzig legendär sind ja der Pleißegedenkumzug und der Pleißepilgerweg – letzterer im Jahr 1989 einer der vielen Vorboten dessen, was im Herbst dann alles ins Laufen kommen sollte.

Das Wort „Revolte“ im Titel klingt zwar nach einer Menge Remmidemmi – aber auch die Umweltgruppen hatten früh gelernt, dass man mehr erreichte, wenn man der Staatsmacht die Gründe zu einem harten Eingreifen nicht frei Haus lieferte. Das ist auch das eigentliche Erfolgsrezept der Friedlichen Revolution – und eben kein Wunder, wie es gern mit kleinem religiösen Anklang versucht wird zu erklären: Über zehn Jahre haben die Initiativgruppen gelernt, ihre Anliegen auf friedliche Weise in die Öffentlichkeit zu tragen, grundsätzlich auf Gewalt zu verzichten und die Ordnungskräfte gerade dadurch in Verlegenheit zu bringen, dass man phantasievolle, aber friedliche Formen der Artikulation fand.

Was die Ordnungsmacht trotzdem nicht davon abhielt, die Aktiven zu schikanieren und mit Zersetzungsmaßnahmen zu überziehen. So, interpretiert es Beleites, hat der Staat selbst dafür gesorgt, die Umweltgruppen in die Opposition zu treiben und vor allem immer mehr Menschen, die sich berechtigte Sorgen um die Zukunft des Landes machten, zu „Staatsfeinden“ zu machen. Und als die SED dann endlich bereit war, Opposition zuzulassen, war es zu spät. Da waren alle Messen gesungen. Da war aber auch die Chance für einen Dritten Weg vertan, nämlich eine Gesellschaftsordnung zu bauen, die ihren Wohlstand nicht auf die Plünderung der Welt aufbaut.

Denn gelöst sind die Probleme von damals überhaupt nicht, stellt Beleites zu Recht fest, nur passieren die Umweltschweinereien jetzt nicht mehr vor unserer Haustür, sondern wurden einfach in andere, ärmere Länder exportiert – nach China, Afrika, Südamerika. Die Frage steht noch immer: Wie müssen wir selbst uns ändern, damit unsere Lebensweise nicht unsere Lebensgrundlagen zerstört?

Michael Beleites Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016, 9,90 Euro.

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