Das können nicht viele Unternehmen in Leipzig auf ihre Website schreiben: „Pommer Spezialbetonbau GmbH. Seit 1898.“ Und nur wenige haben auch so einen berühmten Gründer: Max Pommer. 2015 jährte sich sein Todestag zum 100. Mal. Der ideale Zeitpunkt, den Architekten und Betonpionier mal mit einem eigenen Buch zu würdigen. In vier großen Kapiteln, denn Max Pommer war ein Ruheloser.

Dabei fing alles recht überschaubar an, lernte klein Max aus Chemnitz erst mal Zimmermann, besuchte die Baugewerkeschule und ging 18-jährig zur Ausbildung in ein Architekturbüro in Hannover. Er hätte also einer von vielen rührigen Architekten werden können, die ab 1871 vom Wirtschaftsboom nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg profitierten. Denn wenn heute so oft von Gründerzeit die Rede ist, dann ist es immer dieser künstlich angefachte Boom, als die französischen Kriegstribute in Deutschland eine regelrechte Gründerwelle (oder wie wär’s mit Gründerflut? Gründertsunami?) auslösten. Davon profitierten auch zahlreiche Leipziger Unternehmer. Und wer es zu Wohlstand brachte, der baute sich ein prächtiges Heim.

Ab 1879 konnte auch Max Pommer an diesem Aufschwung teilnehmen und machte sich als Architekt eindrucksvoller Villen vor allem im Bachstraßenviertel und im Musikviertel einen Namen. Stefan W. Krieg versucht die architektonischen Leistungen Pommers zwar irgendwie zu fassen und sieht sie im Vergleich mit anderen Architekten durchaus kritisch, gerade weil Max Pommer augenscheinlich immer wieder vom strengen Kanon und klassischen Proportionen abwich. Aber auch bei Villen zählen am Ende die Käufer. Und seine prachtvollen Entwürfe kamen beim Leipziger Großbürgertum augenscheinlich gut an. Vielleicht auch, weil ihm eine gut nutzbare Innenraumaufteilung meist wichtiger war, als die Einhaltung äußerlicher Symmetrien. Und am Ende fällt das auch heute nur Fachleuten auf, die ihr Lehrbuch im Kopf haben. Der einfache Spaziergänger sieht eher eine auch für die Gründerzeit beeindruckende Pracht, die auch heute wieder verrät, was für Nutzer in den Villen zu finden sind. Das sind zwar in der Regel keine gut betuchten Leipziger Familien mehr, dafür allerlei Immobilienvermarkter, Notare, Rechtsanwaltskanzleien, Insolvenzverwalter, Versicherungen und andere jener Firmen, die in Leipzig das große Geld umwälzen.

Der Buchleser erfährt aber auch bald, dass dieser Pommer früh schon mit einem anderen berühmten Leipziger in enge Beziehung trat: Herrmann Julius Meyer, dem Inhaber des Bibliografischen Instituts, der mit seinem Lexikon, Brehms Tierleben und dem Duden nach der Verlegung seines Verlagssitzes 1874 von Hildburghausen nach Leipzig beste Geschäfte machte und damit so gut verdiente, dass er sich von Max Pommer gleich mehrere Villen bauen lassen konnte. Und dabei blieb es nicht, denn er fand an diesem Architekten so viel Gefallen, dass er ihn ab 1887 auch mit dem Entwurf für die von ihm geplanten Wohnanlagen einsetzte. Alle vier großen Anlagen der Meyerschen Häuser in Leipzig gehen auf Pommer zurück.

Diese langjährige Beziehung, die auch mit Meyers Tod 1909 nicht endete, denn die Meyerschen Häuser in Kleinzschocher betreute Pommer bis zu seinem eigenen Tod 1915, schildert Thomas Adam in einem Extra-Kapitel. Lesenswert für jeden, der wissen möchte, wie sich damals kluges Unternehmertum, sozialreformerisches Denken und durchdachte architektonische Lösungen zu einem sozialen Wohnungsprogramm verbanden, das tausenden Leipziger Arbeitern tatsächlich eine bezahlbare und zumutbare Wohnung verschaffte. Das Modell funktionierte selbst dann noch, als zwei Weltkriege, mehrere Wirtschaftskrisen und gesellschaftliche Umbrüche sämtliche Rahmendaten veränderten. Und auch wenn das einstige Stiftungskapital verschwunden ist, erleben die Meyerschen Häuser seit 1990 ein neues Comeback.

Und das blieb nicht das einzige städtische Engagement, bei dem Max Pommer sich einbrachte. Denn Pommer ließ sich auch noch zum Stadtverordneten und zum unbesoldeten Stadtrat wählen und bestimmte als solcher zwei Jahrzehnte lang die Stadtpolitik mit, in einer Zeit, in der Leipzig zur Halbmillionenstadt heranwuchs. Wie das mit besoldeten und unbesoldeten Stadträten um 1900 war, das erzählt Anett Müller in ihrem Beitrag über Pommers Zeit als Stadtverordneter. Man lernt dabei so Einiges darüber, warum sich heutige Stadtpolitik von der damaligen so deutlich unterscheidet. Unter anderem auch im Punkt der unbesoldeten Stadträte, die praktisch ihr Wissen und ihre Erfahrungen der Stadt unentgeltlich zur Verfügung stellten und damit auch dafür sorgten, dass wichtige Entscheidungen kompetent und schnell gefällt wurden. Kaum vorstellbar, dass heute wieder 14 gut verdienende Unternehmer bereit wären, sich über Jahre derart in die Stadtverwaltung einzubringen und dabei auf jede Art von Vergütung zu verzichten.

Dass Pommer dafür einen Großteil seiner Freizeit opferte, kann man nur vermuten. Er war zwar – wie auch Müller einschätzt – ein strenger Konservativer und Nationalliberaler – aber das verband sich damals auch noch mit einem hohen Verantwortungsethos für das Gemeinwesen. Und so war Pommer auch in mehreren Ausschüssen verantwortlich – unter anderem für das Verkehrswesen, die Feuerwehr, die Stadtplanung oder die Elektrizitätswerke. Auf dem riesigen Gemälde von Eugen Urban im Ratsplenarsaal im Neuen Rathaus ist Pommer unter den versammelten Ratsmitgliedern zu sehen.

Aber auch darin erschöpft sich das Leben dieses Umtriebigen nicht. Denn er war auch genau das, was im Buchtitel steht: Betonpionier. Er war der Erste, der das französische Système Hennebique, den modernen Betonbau, in Sachsen und Leipzig marktfähig machte. Dem Leser fallen dabei die riesigen Werbeflächen am Rohbau des Leipziger Hauptbahnhofs auf alten Schwarz-Weiß-Fotografien ein, denn auch da baute die Firma Max Pommer mit – auch wenn zu dem Zeitpunkt schon der Sohn von Max Pommer dort das Sagen hatte.

Es ist nicht das einzige präsentative Gebäude in Leipzig, bei dem Max Pommer als Betonbauunternehmer tätig wurde und das noch heute steht und nicht nur Krieg und Brand und Vernachlässigung überstanden hat. Dutzende Betonbauwerke in Leipzig und in ganz Sachsen sind im Anhang aufgelistet. Und die ganze Geschichte, wie Max Pommer zum Lizenznehmer und Betonbauer wurde, erzählt in diesem Buch Dieter Pommer selbst, Enkel von Max Pommer und – nach der zeitweiligen Enteignung in der DDR – 1991 Neugründer der Firma, die heute zumindest die Tradition des Betonbaus fortführt. Das mit dem Architekturbüro hatte seinerzeit ja sogar Max Pommer wieder aufgegeben, weil er glaubte, bei den neueren Architekturstilen nicht mehr mithalten zu können.

Aber der Anhang enthält auch alle wichtigen Bauprojekte Max Pommers – sowohl aus seiner Zeit als Architekt als auch aus der Zeit als Betonbauer. Einige sind auch verschwunden – darunter viele repräsentative Villen im Musikviertel. Aber wer sich die erste Umschlagkarte im Buch anschaut, der kann sich sogar einen richtigen Architekturspaziergang zusammenstellen und hat damit durchaus mehr als einen Tag zu tun, wenn er alles besichtigen will, was heute noch (oder wieder) von Pommers Bauten in Leipzig besichtigt werden kann. Am besten macht man mehrere Touren – eine zu den Villen im Bachviertel und im Musikviertel, eine zu den vier Anlagen der Meyerschen Häuser in Lindenau, Eutritzsch, Reudnitz und Kleinzschocher. Da wäre der zweite Tag eigentlich schon voll belegt, auch wenn thematisch eigentlich auch noch die Gebäudeensemble in Alt-Lößnig dazugehören. Und den dritten Tag kann man dann den Gewerbebauten in der Innenstadt und im Grafischen Viertel widmen, wo Pommer gezeigt hat, dass Beton auch für hohe Beanspruchungen der richtige Baustoff ist. Nicht vergessen – das wäre dann etwas für die Straßenbahnfreunde – darf man natürlich Pommers Bauten für die Straßenbahn. Der Straßenbahnhof Reudnitz ist zwar regelrecht verschwunden im Neubau des dortigen Einkaufszentrums, aber in Dölitz und an der Angerbrücke sind Pommers Betonbauten noch heute zu sehen und werden bei guter Pflege auch noch Jahrhunderte halten.

Am Ende hat man ein Buch, das einen doch verblüfft. So komplett las man zum Unternehmer, Architekten, Stadtverordneten und Stiftungsvorsitzenden Max Pommer bislang noch nichts. Und man versteht ihn nur allzu gut, dass er sich im Alter, als das Unternehmen endlich ordentlich Rendite erwirtschaftete, immer leistungsfähigere Autos kaufte, um damit das weite Land zu bereisen.

Mit dem Buch zeigt nun auch der Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., was man alles erzählen kann, wenn man sich mit einigen der großen Unternehmerpersönlichkeiten aus der Leipziger Geschichte einmal eingehend beschäftigt.

Thomas Adam, Stefan W. Krieg, Anett Müller, Dieter Pommer Max Pommer. Architekt und Betonpionier, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2015, 29,80 Euro.

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