Nicht nur Ökonomen, ehemalige Bankmitarbeiter und Journalisten haben da 2009 so einen Aha-Moment gehabt, als sich die Regierungen der westlichen Welt in Feuerwehrtrupps verwandelten und mit dem Geld der Steuerzahler riesige Bankimperien vor dem Kollaps retteten. Da lief etwas schief in der Bankenwelt. Und das schien eine Menge mit moralischen Standards zu tun zu haben. Auch christliche Unternehmer kamen da ins Grübeln.

Wie viele es davon gibt, weiß natürlich niemand. Auch die drei Herausgeber dieses Buches konnten nur eine Auswahl treffen und knüpften vor allem über die bestehenden Arbeitskreise protestantischer Unternehmer Kontakt. Die gibt es. Die gibt es selbst bei verschiedenen Parteien – sogar bei Grünen und Linken. Auch wenn hier etliche vor allem CDU-nahe Unternehmer zu Wort kommen. Was schon aufhorchen lässt, was aber nicht Absicht der Publikation war. Noch viel stärker rückt der vor 50 Jahren gegründete Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer (AEU) in den Mittelpunkt, der schon 1966 die Notwendigkeit sah, Brücken zu schlagen zwischen Kirche und Unternehmertum.

Sogar heute noch sehen viele Unternehmer sich in der Kirche in die letzte Reihe gesetzt, als Wohltäter und Geldspender gern zu sehen, aber wenn es um die Seelsorge der Kirche geht, scheint die Kassiererin an der Supermarktkasse im Vordergrund zu stehen. Das muss nicht der Wirklichkeit entsprechen. Aber man merkt schnell beim Hineinlesen in diese 35 Porträts, Interviews und Selbstaussagen, dass auch Menschen in Führungspositionen nicht aufhören, Menschen mit Kummer und Sorgen zu sein.

Das sagt zwar keiner der 35 so explizit: Aber wer da an der Spitzte steht und den Laden zusammenhalten muss, der ist oft ziemlich einsam – und oft richtig froh, wenn er eine Familie im Rücken hat, die ihn versteht, aber auch Freunde, auf die man sich verlassen kann (und nicht nur potenzielle Geschäftspartner). Und eine Gemeinschaft findet, wo man mit seinen Fragen Gehör findet. Wo man nicht wieder glänzen und alle mit einer Show beeindrucken muss, wie auf Aktionärsversammlungen oder Führungskräftebesprechungen. Da hilft auch der beste Lions Club oder der schönste Golfclub nichts.

Diese Männer und Frauen erzählen zwar viel über die Kraft, die ihnen nicht nur der Glaube gegeben hat, sondern auch über das Leben nach den christlichen Geboten. Aber es wird auch deutlich, dass Führungskräfte es schwer haben, gesellschaftliche Räume zu finden, in denen sie einmal herunterschalten dürfen auf das ganz normale Menschsein, wo sie bei anderen Rat holen dürfen oder über all die Fragen des Lebens reden können. Die ja nicht verschwinden, wenn man ein Unternehmen erfolgreich führt.

Natürlich ist das hier keine soziologische Aufarbeitung

Das wäre mal was: Ein soziologisches Institut, das mal wirklich eine umfassende Felderkundung zum Denken, Handeln und der Motivation von Unternehmern in Deutschland startet. Und zwar mit Fragen zum Kern ihres Tuns, nicht wieder so larifari um den heißen Brei, so dass sich jede Bundesregierung ihren eigenen Paps draus rühren kann. Denn auch wenn einige der Befragten eher zögern, ihrem täglichen Handeln in großen und kleinen Betrieben, Banken, Universitäten und Verbänden eine besondere christliche Grundierung zuzuschreiben, wird doch deutlich, dass sie fast alle für ein anderes Wirtschaften nach moralischen Maßstäben stehen und vor allem nachhaltiges Wirtschaften.

Da ist es wieder, das Wort, das einige unserer Leser gern als inflationäre Worthülse sehen. Aber wenn dieses Wirtschaften, das auch die Lebensgrundlagen der Kinder, Enkel und Urenkel mit im Blick hat, um sich greift, kann es gar nicht inflationär genug sein. Eigentlich müsste es sogar die normale Art des Wirtschaftens sein. Denn nur sie sorgt sich darum, dass einerseits das Unternehmen erfolgreich wirtschaftet und nicht pleite geht, andererseits aber auch darum, dass Mitarbeiter, Kunden und Region nicht ausgeplündert werden. Man achtet auf mehr Dinge, wenn man seinem Handeln moralische Wertmaßstäbe zugrunde legt. Da ist es sogar egal, ob man es ganz offensiv tut oder eher zurückhaltend.

Und es wird so beiläufig deutlich, dass gerade christlich motivierte Unternehmer die Soziale Marktwirtschaft als eine wichtige Errungenschaft begreifen und als eigentlichen Kern des deutschen Wirtschaftserfolgs. Denn sie ist eben nicht der normale Raubtierkapitalismus, wie er sich mit dem Neoliberalismus in alle westlichen Gesellschaften hineinfrisst, sondern bindet immer auch Belegschaft und Gesellschaft mit ein.

Was das moralische Dilemma nicht auflöst, in dem Unternehmer leben. Aber das ist vielleicht gar nicht so sehr ein Kirchen-Dilemma, sondern eins einer Gesamtgesellschaft, in der viele Leute über Wirtschaft reden, die nicht mal wissen, wie Wirtschaft funktioniert.

Fast wie ein Mantra taucht in allen Texten die Beschwörung auf, dass Gewinne machen doch nichts Schlimmes ist, sondern notwendig, sonst überlebt das Unternehmen nicht. Aus Gewinnen werden Innovationen und Neuanschaffungen bezahlt, neue Produkte entwickelt und neue Geschäftsfelder erschlossen. Und verantwortliche Unternehmer wissen ganz genau, wo die Grenze ist, wann Gewinne unverschämt werden und wann man als Unternehmen beginnt, die Gesellschaft, die einen trägt, auszuplündern und zu zerstören.

Was die hier porträtierten Unternehmer deutlich von den ewigen Vorzeige-Stars aus den USA unterscheidet, diesen Zampanos der hohen Kunst, Steuern zu minimieren, Gewinne in Steuerparadiesen zu bunkern und dann den Leuten noch einzureden, sie seien soziale Wohltäter.

Auch wenn das die Befragten so nicht formulieren

Es sollte ja ein positives Buch werden, das zeigt, wie sehr auch ein christliches Verständnis von Unternehmertum zu erfolgreichem Wirtschaften führt, dass es diese von Gier besessene Ich-nehme-alles-mit-Mentalität nicht braucht, um eine erfolgreiche Wirtschaft am Laufen zu halten. Tatsächlich macht das Buch sogar deutlich, dass heute zwei völlig verschiedene Arten von Wirtschaft im öffentlichen Konflikt miteinander stehen – die rücksichtslose und zu großen Teilen verantwortungslose Art des zügellosen Neoliberalismus, der auch in Deutschland schon genug Flurschaden angerichtet hat, und eine von ethischen Prinzipien getragene Wirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft war – erzwungenermaßen – eine.

Und wenn man einigen Wirtschaftsinstituten (gern auch „arbeitgebernah“) zuhört, sind sämtliche moralischen Regeln und Einschränkungen reines Gift für die Wettbewerbsfähigkeit.

Sind sie auch in einem Markt, der sich der reinen neoliberalen Zügellosigkeit unterwirft. Dort gewinnt nur noch der Skrupellose, der Unverschämteste, der Gierigste. Das stimmt. Deshalb wollen die USA ja mit TTIP diese Regeln auch in den europäischen Markt drücken. Deshalb werden auch Unternehmer mitmachen, wenn am 17. September gegen TTIP und CETA demonstriert wird. Was natürlich verblüfft, weil auch die vom Geldrausch besessene deutsche Politik lieber über Steuersenkungen debattiert als über die ethischen Normen für die hiesige und die europäische Wirtschaft.

Denn darum geht es längst: Dass der Wirtschaftsraum Europa sich nicht mehr als Spielwiese für einen völlig unmoralischen EU-Präsidenten anbietet, sondern Regeln schafft (oder sichert), die Wirtschaften und Arbeiten in Europa wieder nachhaltig und attraktiv machen. Dazu ist das, was man sich – auch in bitteren Krisenerfahrungen – angeeignet hat, viel zu wertvoll, um es jetzt einem völlig entfesselten „globalisierten“ Markt zu opfern. Ohne gemeinsame und vor allem menschliche Regeln funktioniert Wirtschaft nicht – weder dauerhaft noch für alle.

Auch das benennen etliche der Befragten direkt oder indirekt: Wirtschaft ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern für die Gesellschaft. Sie schafft – na hoppla, das hat wirklich lange keiner gesagt – gesellschaftliche Werte: von Arbeitsplätzen über Steuern bis hin zu sozialen Engagements. In einigen Regionen (Sachsen-Anhalt wird hier explizit genannt) sind die überlebenden Unternehmen die eigentlichen Sinnstifter für eine ganze Region geworden, noch viel stärker als die Kirche, die vielen Unternehmen viel zu defensiv daherkommt, viel zu wenig als Sprecher für die moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft.

Denn das gehört alles zusammen. Und das Wichtigste, was deutlich wird, ist die Tatsache, dass es für die befragten Unternehmer eine Einheit bildet. Sie können weder ihr Leben noch ihre Arbeit loslösen aus der empfundenen Verantwortung für ihre Gesellschaft. Und gerade die Befragten aus dem Bankensektor gehen sehr deutlich auf die moralischen Fragen ihres Tuns ein. Weil sie sehr genau wissen, dass die Finanzkatastrophe von 2008 nur möglich war, weil einige ihrer Kollegen jedes Maß und alle Skrupel verloren und hinter den computergenerierten Zahlen nicht mehr die betroffenen Menschen gesehen haben.

Die Politiker übrigens auch nicht

Das ist eigentlich das Schäbigste an der ganzen Geschichte: Mit riesigen Schnupftüchern haben sie um die armen Banken geheult. Die ausgeplünderten Menschen waren ihnen keine Träne wert. Und den Mumm, die Unmoralischen vom Markt zu verbannen, hatten sie auch nicht. Weil es schlicht so gut wie keine Wirtschaftskompetenz mehr gibt auf politischer Ebene. Lobbypolitik jede Menge. Aber keinen Wirtschaftminister, kein Staatsoberhaupt, keinen Finanzminister, denen überhaupt noch bewusst ist, wie sehr skrupelloses Wirtschaften nicht nur „den Markt“, sondern die ganze Gesellschaft zerstört.

Das ganze Buch ist ein Plädoyer für ein anderes, ein Wirtschaften nach christlichen Prinzipien – und wer in Bibel oder Kirche zu Hause ist, bekommt jede Menge Zitate und Hinweise auf Bibelstellen, in denen das moralische Handeln von Unternehmern thematisiert wird. Ob es nun um das Pfund geht, mit dem zu wuchern ist, oder die Arbeit im Weinberg, den Umgang mit Wucherern (Christus im Tempel) oder die elementare Frage, was dem eigenen Herzen am nächsten ist: Gott oder Mammon? Genau die Frage stellt Jesus. Und bringt in der Bibel den reichen Jüngling so richtig moralisch in Bedrängnis.

Und die befragten Unternehmer haben alle solche Lieblingsstellen aus der Bibel und sehen es eigentlich als Selbstverständnis, dass die Frage heute noch genauso steht. Und wenn sich nicht viele Unternehmer für das Geld als ihren Gott entschieden hätten, sähe die Welt natürlich anders aus. Dann stünde längst ein anderes Projekt im Mittelpunkt politischen Handelns, in dem sich die 35 befragten Unternehmer mit der evangelischen Kirche einig sind: Dass wir heute ein nachhaltiges Wirtschaften und wirklich faire Handelsbeziehungen mit der Welt brauchen, damit überhaupt die Zukunft dieser Welt gesichert werden kann.

Ein Wachstum, das nicht die Rendite zum Maßstab macht, sondern die Sicherung unserer Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen. Das kann man als christlich bezeichnen, aber die Mehrzahl der Befragten sieht es als echte unternehmerische Verantwortung. Es kommen auch zwei sächsische Hochschulen ins Bild, wo es die ersten Ansätze gibt, neben der blanken Betriebswirtschaft auch ethische Maßstäbe schon in der Ausbildung künftiger Manager zu vermitteln.

So gesehen ist das Buch auch eine Mahnung, ganz freundlich, mit erstaunlichem Fleiß zusammengetragen: Jetzt ist es Zeit für einen Zeitenwechsel, für eine wirklich moralische Wende – im Gegensatz zu dem Mumpitz, den einst Lambsdorff und Kohl als „moralische Wende“ verkündet haben. Jetzt muss über die richtige Art des Wirtschaftens nachgedacht werden und darüber, wie wir unseren Nachkommen eine lebenswerte Welt und vor allem auch noch funktionierende Gesellschaften hinterlassen.

Und wenn das Gefühl nicht trügt, gibt es auch Unternehmer, die gar nicht in der Kirche sind und die sich ganz ähnliche Gedanken machen wie diese 35, die sich natürlich auch zu Recht wünschen, dass die Evangelische Kirche ein verantwortungsvolles Unternehmertum endlich zu würdigen lernt. Denn nur so wird sie auch moralisch zur Stimme einer nachhaltigen Welt und gegen die Zocker, die sie gerade mit immer mehr Zugeständnissen ausplündern.

Wolfgang Huber, Peter Barrenstein, Friedhelm Wachs Evangelisch. Erfolgreich. Wirtschaften, Edition Chrismon, Leipzig 2016, 24,90 Euro.

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