Europa diskutiert über TTIP und CETA, mit riesigen Kanonen schießen die Verteidiger dieser Investorenschutzverträge auf den breit gestreuten Protest, als gelte es, sich zwischen „Rette sich wer kann!“ und Niedergang zu entscheiden. Doch das Spiel, das da läuft, ist ein völlig anderes. Aber um das zu sehen, darf man die Welt nicht mit der üblichen Brille betrachten. Da muss man einen Schritt zur Seite gehen und genau die Frage stellen, die Noam Chomsky stellt.

Nicht zum ersten Mal. Man kennt den Sprachwissenschaftler und Philosophen seit Jahrzehnten als veritablen Kritiker der us-amerikanischen Regierungspolitik. Eigentlich müsste auch noch der Begriff Politikwissenschaftler da stehen, denn Chomsky macht das, was Journalisten eigentlich tun sollten und Politikwissenschaftler sowieso: Er liest die zugänglichen Originaldokumente der amerikanischen Regierungspolitik, auch wenn Vieles davon erst nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit kommt. Aber auch so werden Motive sichtbar, gelingen Einblicke in die internen Entscheidungsfindungen amerikanischer Präsidenten. Dazu gibt es dann Berge von politischen Biographien und Büchern zu den „Heldentaten“ der jüngeren Geschichte, aus denen Chomsky genauso reichlich zitiert wie aus den verfügbaren Fachzeitschriften und Analysen der großen Zeitungen.

Es ist keine Überraschung, dass er im Resultat zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt wie Oliver Stone in „Amerikas ungeschriebene Geschichte“.

Aber: Geht uns das etwas an, die wir den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf aus der Ferne wie einen faszinierend ausgetickten Zirkus betrachten?

Leider: Ja. Denn wer die ganze Sache mit dem analytischen Blick eines Noam Chomsky betrachtet, der kann nicht mehr übersehen, wie sehr die USA seit dem Ende des 2. Weltkrieges die Weltpolitik dominieren und wie sehr Wirtschafts- und Kriegspolitik aufs Engste miteinander verzahnt sind. Das sieht man nicht, wenn man die täglichen Nachrichten konsumiert. Da setzen sich die Amerikaner, wie es aussieht, überall für den Frieden, die Demokratie, den Sturz wilder Diktatoren und die Unterstützung tapferer Befreiungsbewegungen ein. Aber: Das Bild täuscht.

Und es verstellt den Blick darauf, wie sehr die USA die Entstehung einer friedlicheren Welt verhindern. Und zwar mit aller Macht. Nicht unbedingt, weil sie besonders verliebt sind in eine Welt voller Bürgerkriege und Diktatoren – wobei: Das mit den Diktatoren ist so eine Sache. Dutzende Putsche wurden in den vergangenen 60 Jahren von den USA und ihrem allgegenwärtigen Geheimdienst inszeniert, um unliebsame „linke“ Regierungen zu stürzen und zumeist ziemlich finstere Gestalten an die Macht zu bringen. Typen wie Pinochet in Chile oder die finsteren Generäle in Honduras, Argentinien, Brasilien …

Von Demokratie blieb da stets wenig bis gar nichts übrig. Aber was treibt die USA dazu? Dass es um Macht geht, ist klar. Aber die wirklichen Antworten findet man erst, wenn man weiß, wie die beiden großen amerikanischen Parteien funktionieren, die mittlerweile milliardenschwere Wahlkämpfe führen, bei denen kleinere Parteien wie Grüne oder Liberale nicht mithalten können. Chancen auf einen Einzug in Senat, Kongress oder gar ins Weiße Haus kann sich nur ausrechnen, wem es gelingt, die Superreichen als Wahlkampfspender zu gewinnen. Was natürlich nicht ohne Folgen bleibt, denn die finanzieren Kandidaten nur, wenn sie von ihnen auch ein Entgegenkommen erwarten dürfen, eine Politik ganz im Sinn der Superreichen.

Dazu gehören nicht nur diese Verträge, die auch die EU-Kommission den Europäern versucht als „Freihandelsabkommen“ anzudrehen. Es sind Investorenschutzverträge, schreibt Chomsky, Verträge, die dafür sorgen, dass die großen Konzerne keine Hindernisse vorfinden, wenn sie auf andere Märkte vordringen wollen. Und dass jetzt die EU dran ist, hat einen Grund: Die Spielwiesen in Südamerika, Afrika und Asien sind verteilt. Oder schon regelrecht zerstört. Denn dort haben die Abkommen oft genug schon Wüsten hinterlassen, entkernte Staaten, die zum Opfer korrupter Eliten oder / und blutiger Banden und Bürgerkriegsparteien geworden sind. Es brennt nicht nur in Nahost.

Zerstörte Staatenwelt

Eine Welt, in der sich die Superreichen in Amerika den vollen Zugriff auf Ressourcen sichern, Staaten aber tief in Schulden stürzen und in einer zerstörerischen Abhängigkeit überteuerter Kredite des Westens, kann nicht mehr funktionieren. Sie verwandelt sich zusehends in eine Welt voller zerstörter Länder. Dass Europa nun auf einmal seit zwei Jahren mit den Flüchtlingstrecks aus Afrika und Nahost zu tun bekommt, hat genau damit zu tun: mit einer zerstörten Staatenwelt. Und praktisch überall, wo sich auch nur halbwegs funktionierende Länder in den letzen Jahren in Bürgerkriegsschauplätze verwandelt haben, hatte ursprünglich eine von ihrem Sendungsbewusstsein überzeugte US-Regierung ihre Hand im Spiel.

Die Liste der Länder, in die die USA seit 1945 militärisch eingegriffen haben, ist lang – angefangen mit Korea setzt sich die Reihe praktisch ohne Unterbrechung fort über Vietnam, Laos, Afghanistan, Grenada, Panama, den Irak bis nach Syrien. Kuba nicht zu vergessen, das gern vergessen wird, weil auch europäische Nachrichtenagenturen die Sicht der US-Agenturen nachplappern und in hiesigen Lehrbüchern selten bis nie steht, dass es die USA waren, die 1898 die Befreiung der Kubaner von der spanischen Kolonialherrschaft abwürgten, die Insel besetzten und ein Marionettenregime einsetzten, das dann frecherweise von der Truppe um Fidel Castro gestürzt wurde – was dann nicht nur die Invasion in der Schweinebucht nach sich zog, sondern ein jahrzehntelanges (und teures) Destabilisierungsprogramm der CIA. Von der Tatsache ganz abgesehen, dass die USA die ganze Zeit über ein rigides Wirtschaftsembargo gegen Kuba aufrecht erhielten und damit verhinderten, dass die Insel wirtschaftlich auf die Beine kam. Immer mit der Begründung, man wolle Süd- und Mittelamerika vor dem „kommunistischen Virus“ bewahren.

Tatsächlich ging es immer um Macht – in diesem Fall die komplette Kontrolle der USA über ihren „Hinterhof“, als den sie Süd- und Mittelamerika ansahen und ansehen. Bis heute. Auch unter Obama haben die Geheimdienst- und Militärinterventionen in diesem „Hinterhof“ nicht aufgehört. Wer nicht bereit ist, sich den amerikanischen Wirtschaftsinteressen unterzuordnen, erlebt, was Chile erlebt hat – oder eben die kubanische Variante, wovon Nikaragua, Peru und Kolumbien ein Lied singen können, alles Länder, in denen – dummerweise – die indigene Bevölkerungsmehrheit Wahlen gewonnen hat und die Frechheit besaß, wichtige Schlüsselindustrien zu verstaatlichen.

Man erinnert sich: Das ist ein „No go!“ der sogenannten neoliberalen Wirtschaftstheorie, explizit vertreten von der Chicagoer Schule und den Chicago Boys, die 1973 zum ersten Mal ausrückten, um ein gerade geputschtes Land – nämlich Chile – auf den gefälligen Kurs einer nordamerikanischen Wirtschaftshegemonie zu bringen. Und natürlich den staatlichen Sektor einzudampfen.

Es ist erstaunlich, wie es Chomsky gelingt, diese Handlungsweise in allen außenpolitischen und militärischen Aktivitäten der USA sichtbar zu machen. Dabei zitiert er mehrfach Bill Clinton, der deutlich betonte, dass sich die USA explizit das Recht vorbehalten, militärisch tätig zu werden, wenn sie glauben, ihre Wirtschaftsinteressen werden berührt. Bill Clinton? War das nicht einer von den Guten?

Gute Frage. Da machen wir in wenigen Augenblicken weiter mit Teil 2 der Besprechung.

Noam Chomsky Wer beherrscht die Welt?, Ullstein, Berlin 2016, 24 Euro.

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