Es ist nicht die Regel, dass es zu den Ausstellungen im Stadtgeschichtlichen Museum auch einen Katalog gibt. Der kostet nun einmal Geld. Da ist es schon eine hübsche Ausnahme, wenn es zur am Dienstag, 22. November, eröffneten Ausstellung „Duckomenta. Entenhausen in Leipzig“ gleich zwei Kataloge gibt: einen großen Dicken für die, die alles über die Kulturgeschichte der Enten wissen wollen. Und einen handlichen, wie den hier.

Der natürlich mehr ist als nur ein Katalog. Genauso, wie die Ausstellung mehr ist als nur die Schau alter Meister. Was ja sogar die jüngsten Besucher schon merken, denn seit wann hat Mona Lisa einen Schnabel?

In der Ausstellung wird diese Begegnung mit den etwas anderen Alten Meistern nicht nur ein Heidenspaß für Kinder und Erwachsene, egal, ob sie nun mit den Comic-Figuren von Walt Disney aufgewachsen sind oder nicht oder ob sie den blassesten Schimmer von 500 Jahren Kunstgeschichte haben oder auch nur den mindesten Hauch Ahnung von menschlicher Kulturgeschichte. Die Persönlichkeiten in den opulenten Rahmen schauen auch so befremdlich genug drein, haben zwar dieselbe Würde wie die großen Vorbilder, aber nicht ohne Grund ist ja ausgerechnet die Ente zum Wappenvogel Disneys geworden. Der Schnabel macht selbst dann Eindruck, wenn die Person nicht in wild flatternde Aktionen verfällt. Er hat so etwas herrlich Fatalistisches.

So, wie man ja selbst gern gucken möchte, wenn man den ganzen Peinlichkeiten, Narreteien und Eitelkeiten der realen Welt begegnet. Oder sich positionieren soll: Wie findet man das?

Was die Sache natürlich verändert. Als die Künstlergruppe 1986 begann, mit ihrer Duckomenta auf Ausstellungsreise zu gehen, stand noch die künstlerische Kritik an der Disneysierung der westlichen Welt im Mittelpunkt. Die ein Aspekt der Amerikanisierung der Welt ist, der Überstülpung einer ganzen Marken-Kultur über die einstige Vielfalt der Kulturen der Welt. Was eben nicht nur Marken und Filialen betraf, sondern auch die komplette mediale Kultur – vom zunehmend trashigen Fernsehen bis hin zu den Comics, die das Kinderzimmer dominierten. Donald und Mickey Mouse waren allgegenwärtig. Aber die Kritik zeigte eine völlig andere Wirkung: Die Duckomenta wurde zur medialen Sensation und löste mitnichten eine profunde Kritik an der Uniformisierung der westlichen Kulturen aus. Im Gegenteil. Sie wurde irgendwie einvernahmt. Die Besucher der Ausstellung sahen zwar, wie hier ein bestimmtes Markenbild aufs Korn genommen wurde – aber sie fanden es eher witzig, eine faszinierende Auseinandersetzung zwischen moderner Pop-Kultur und dem ernsthaften Anspruch vergangener Kunstepochen.

Die Ausstellung mit ihrem wachsenden Bestand immer neuer Kunstwerke hatte längst den Keim in sich für das, was dann 1999 daraus wurde: eine kluge, eindrucksvolle und trotzdem spielerische Auseinandersetzung mit menschlicher Kultur- und Kunstgeschichte.

Und das zeigt auch der kleine, handliche Katalog, in dem 100 Kunstwerke aus dem mittlerweile riesigen Bestand von 500 Arbeiten der interDuck-Künstlergruppe zu finden sind. Samt notwendiger Einleitung in das Thema, das den fünf Künstlern, die 1982 mit der ganzen Sache angefangen haben, bis heute Spaß macht. Immer wieder beziehen sie neue Ikonen der Gegenwart und der Alten Kunst ein in den Kosmos, schaffen neue Werke, die das bekannte Motiv verfremden und hinübertragen in den Kosmos der Enten, die auf diese Weise wie eine andere Spezies erscheinen, die irgendwie neben dem langen Weg der Menschen bis zur heutigen Gipfelgläubigkeit ihre eigene Kultur erschuf. Die dann wieder erstaunlich der der Menschen ähnelt.

Zu den ganzseitigen Abbildungen findet der Leser freilich dann auch all die kleinen Erklärungstexte, die den Besuch der Ausstellung zu einem echten Besuch in einer fremden Kultur machen – mit Malernamen, die einem irgendwie vertraut vorkommen, Anekdoten, die man schon einmal gehört zu haben glaubt, und einer Menge versteckter Späße, die dann wieder auf die reale menschliche Geschichte abzielen mit ihren ganzen Idealisierungen und Maskeraden. Da sind dann Freiheitsdenkmäler auf Abwegen, müssen berühmte Maler ihre Bilder korrigieren, stolpern menschliche Mondfahrer über unerwartete Spuren im Mondstaub und selbst die Höhlenmalerei offenbart erstaunliche Einblicke.

Man merkt schon, wie viel Spaß die Künstler haben, wenn sie immer neue Artefakte, die sonst in den Museen der Hochkulturen mit Bierernst gezeigt werden, mit freundlichem Humor der Geschichte der Enten einverleiben. Man blättert sich also mit Freude durch eine Parallelwelt. Und wie das mit Parallelwelten so ist: Sie regen geradezu an dazu, das eigene Weltoriginal nicht mehr ganz so starr und unverrückbar zu sehen, als festgetackerte einzige Möglichkeit, die Dinge zu sehen. Hätte ja auch anders sein können. Mal ganz davon zu schweigen, dass Enten niemals diese menschliche Arroganz ausstrahlen, wie sie die üblichen Helden der Geschichte ausstrahlen. Die großen Napoleone, Maos oder Hornduckers.

Der Katalog ist zwar als Begleiter auch für die künftigen Ausstellungsstationen der Duckomenta gedacht, ist in Leipzig aber erstmals mit dabei, bevor die Enten weiterreisen nach Wernigerode, Hamburg und Oldenburg. Oder in Form dieses Katalogs halt ins heimische Getümmel, wo man sich dann immer wieder in die so befremdend vertraute Welt der Enten stürzen kann. Ein gutes Mittel gegen das dumme Gefühl, einer eitlichen und ignoranten Spezies anzugehören, die sich als Gipfel aller Entwicklung betrachtet.

interDuck „100 Werke der Duckomenta“, interDuck GmbH, Berlin 2016, 19,90 Euro

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