Sie gärtnert gern im Kräutergarten, bäckt gern besondere Kuchen und im Winter hat Carola Ruff wahrscheinlich alle Fensterbänke vollgestellt mit lauter Kräuterschalen, Sprossenköpfen und kleinen grünen Kraftwerken. Denn das sind Sprösslinge und junge Gräser ja: vollgepackt mit Vitaminen.

Und es gehört nicht viel dazu, aus allerlei Samen diese kleinen Wunder des Wachstums sprießen zu lassen. Ein geeignetes Gefäß samt geeigneter Unterlage, ein bisschen Wasser, Wärme und Geduld. Wenige Stunden reichen, und aus schüchternen Samen sprießen lauter kecke Keimlinge, entfalten ihre Blättchen, strotzen nur so vor Kraft. Was kostet die Welt? Wo ist der nächste Riss im Boden, durch den man Wurzeln strecken und dann wachsen kann? Asphalt zerbrechend? Zum Himmel strebend?

Das Wunder der Natur ist überall zugange. Und nicht nur Weizen, Soja oder Kresse kann so das Fensterbrett zu einem echten Winterzauber machen. Wer sich mit der Materie noch nicht beschäftigt hat, staunt nur, welche Vielfalt man eigentlich auf diese Art zum Keimen bringen kann.

Nachdem Carola Ruff erläutert hat, wie man es macht – und es scheint wirklich ganz einfach zu sein, nur Geduld und Aufmerksamkeit braucht man, was natürlich das Schwierigste ist in heutigen Zeiten, wo die Welt voller Ablenkung und quietschend schriller Dauerberieselung ist. Aber es ist ja nicht das erste Büchlein, das fast nebenbei erzählt: Leute, schaltet die schrillen Maschinen ab. Kümmert euch wieder um das Eigentliche, das Wesentliche: das Leben um euch herum und euch selbst.

Schaut auf diese Petrischale!

Vorher: Wandelt in den Bioladen eures Vertrauens, denn in die Schalen gehört nicht irgendein Samen aus irgendeinem anonymen Supermarkt, nichts mit Pestiziden Behandeltes oder auf seltsamen Transportwegen Geliefertes. Denn da man die Keimlinge meist roh verzehrt, sollten sie auch unbelastet sein. Da braucht es also einen wirklich verlässlichen Laden, wo man sich auf die Qualität der Samen verlassen kann. Also doch mal zum Bio-Markt gehen. Lernt man Leute kennen. Achjemine, schrecklich! Leute kennenlernen?

Jawoll.

Andere Leute als die übertünchten Nasen von der Mattscheibe. Rausgehen, fragen, reden. Und eins ist sicher: Wenn man erst mal mit der eigenen Samenzucht angefangen hat, hat man Stoff zum Reden. Über eine ganze Menge Dinge. Erst mal: über diese erstaunliche Vielfalt von Samen, mit denen man das machen kann. Das beginnt bei Carola Ruff mit Alfalfasprossen, den wandernden Inländern auch als Luzerne bekannt, geht mit Amaranth und Bockshornklee weiter, man stolpert über Buchweizen, Dinkel, Gerste, Kürbiskerne und Leinsamen, Rucola, Senf (ja, das ist eigentlich eine Pflanze) und Sesam. Und weil Carola Ruff auch auflistet, was die einzelnen Keimlinge alles an Inhaltsstoffen haben, kann man auch einordnen, welche gesundheitlichen Wirkungen dieses gesunde Grün eigentlich hat. Bis hin zur grünen Vitaminbombe Weizen- und Gerstengrassaft, den man nicht aus den Keimlingen herstellt, sondern aus dem gesprossenen frischen Gras. Das packt man dann in den entsprechenden Saftbereiter und macht einen Smoothie draus. Der wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig schmeckt – aber man kann ja mixen mit Beeren und Früchten.

Es steht zu vermuten, dass dieser Grassaft auch hilft bei Krebserkrankungen. Die Autorin schreibt dazu ein ganzes Kapitel. Die Forschung tut sich noch schwer.

Aber es ist wie mit allen anderen Gemüse- und Obstsorten: Am besten tut man was für seine Gesundheit, wenn man die gesunden Zutaten einfach frühzeitig und fest in seine Ernährungsgewohnheiten einbaut. Was dann zum Rezeptteil überleitet, in dem Carola Ruff einige Beispiele auflistet, wo die gesunden, frischen und knackigen Keimlinge in unserem Alltag alles auftauchen könnten – in Salaten diverser Art, in Essener Brot, in Brotaufstrich, Frischkäse, Quark, in Suppen, gefüllten Tomaten, Couscous und Risotto. Und natürlich in Smoothies diverser Art, die ja bekannt dafür sind, dass die Zutaten nicht mit Zucker aufgepeppt werden oder gar erwärmt: Hier wird die blanke Natur zerkleinert und verflüssigt. Die Vitamine bleiben erhalten. Darauf kommt es ja an. Und wenn man mixt, bekommt man ja auch seinen Lieblingsgeschmack. Oder überhaupt erst mal wieder einen Geschmack jenseits der üblichen künstlichen Aromen, die sonst unsere falsche Ernährung bestimmen.

Büchlein um Büchlein lernt man so mit dem Buchverlag für die Frau, dass man nicht gezwungen ist, sich von der Nahrungsmittelindustrie alles gefallen lassen zu müssen. Es kostet ein bisschen mehr Mühe, ein bisschen Zeit, viel Aufmerksamkeit und Neugier. Aber ehrlich: Wenn nicht dafür (und seine Lieben), wofür sonst sollte man seine Neugier eigentlich opfern? Das ist doch das Leben. Und nichts ist so faszinierend wie das Leben und seine uns heute noch gegebene Vielfalt.

Man wird ja den quälenden Gedanken nicht los, dass die großen Massenproduzenten gerade eifrig dabei sind, diese Vielfalt für immer zu zerstören. Man denkt anders an das Bewahren dieser Vielfalt, wenn man sich täglich mit ihr beschäftigt. Und mit diesen kleinen, unermüdlichen Keimen in der Schale sieht man das Wunder des Lebens ja direkt beim Sich-Strecken.

Man muss ja nicht gleich alle Samen auf einmal ausprobieren. Die Anleitung im Büchlein zeigt, wie man einfach mal anfangen kann – mit der viel geliebten Kresse zum Beispiel. Und wenn man dann bei Sonnenblumenkernen und Zwiebelsprossen angekommen ist, fängt man wieder von vorn an. Dann muss man sich auch das Frischgesprossene nicht mehr aus dem Supermarkt holen, wo man nie erfährt, woher das Grün kommt, welche Wege es hinter sich hat und was sonst noch vielleicht drinsteckt.

Selbst ist der Mensch. Wer sich und die Seinen liebt, der lernt wieder, was den eigentlichen Reichtum unserer Welt und unserer Ernährung ausmacht. Und lässt es knacken auf seinem Frühstücksbrot.

Carola Ruff Gesund mit Weizengras, Sprossen & Co., Buchverlag für die Frau, Leipzig 2016, 5 Euro.

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