Zusammen sind sie 1.780 Seiten dick, die drei Bände „Das tausendjährige Leipzig“, die der Markkleeberger Peter Schwarz in einer jahrelangen Fleißarbeit geschrieben hat– und die dann auch noch pünktlich alle da waren zum Jubiläum der 1.000-jährigen Ersterwähnung Leipzigs. Vollgestopft mit Namen, Daten und Ereignissen. Was interessierte Leser schon einmal zur Verzweiflung bringen kann.

Denn man kann zwar alle drei Bände lesen wie ein flott geschriebenes Geschichtsbuch oder auch einfach eintauchen in einzelne Abschnitte oder Geschichten. Es ist so eine richtige Lektüre für Leute, die sich einfach mal wieder gemütlich in die Vergangenheit versenken wollen. Aber wenn man mal etwas sucht, dann wird’s schwierig. Das geht einem mit dicken Sachbüchern meistens so. Man liest sie eben doch eher nicht wie einen Roman oder auch nur einmal wie das Fastfood aus manchen Publikumsverlagen. Man schaut immer wieder mal rein. Mal ist es ein Thema, das einen besonders interessiert, mal will man eine Frage geklärt haben, ist über einen Namen gestolpert oder ein Ereignis, und will es jetzt ganz schnell mal erkunden.

Dann hat man ein Problem.

Was in diesem Fall natürlich ein einfaches Arbeitsproblem war.

Schon das Sammeln all der in diesen Bänden versammelten Daten hat ja Jahre gebraucht. Peter Schwarz hat die Daten aus hunderten Büchern und Zeitschriftenbeiträgen zusammengesammelt und auf seinem heimischen PC gespeichert, genug, um irgendwann geduldig anzufangen, das alles in chronologischer Reihenfolge zu erzählen. Abschreiben war nicht gut möglich.

Es gab ja nichts!

Zumindest nicht in dieser Form. Vor 100 Jahren hatte der legendäre Stadthistoriker Gustav Wustmann mal angefangen, eine komplette Leipziger Stadtgeschichte zu schreiben – über den ersten Band ist er nicht hinausgekommen. Hätte er schon einen PC gehabt, wäre er sicher weiter gekommen. Denn Wustmann fasziniert ja nicht nur deshalb, weil er sich als Erster mit einer gewissen wissenschaftlichen Akribie mit der Leipziger Geschichte beschäftigte und auch als Erster umfassend mit Ratsakten als Quellen arbeitete, auch seine Veröffentlichungen beeindrucken und zeigen den enormen Fleiß dieses Mannes. Auch bei Wustmann war es alles ehrenamtliche Arbeit über seine Bestallung als Leiter des Stadtarchivs hinaus.

So ist das mit der Stadthistorie eigentlich bis heute geblieben. Das Publikationsprogramm von Pro Leipzig zeigt es ja eindrucksvoll und bis in die Ortsteilgeschichte hinein. Wer sich bemüht, bekommt – so wie Peter Schwarz – schon eine ordentliche Bibliothek mit vielen Büchern zusammen, die lauter Facetten der Stadtgeschichte beleuchten. Schmalere Bücher mit eher skizzenhaften Stadtgeschichten gibt es mittlerweile auch ein paar.

Aber wer sich wirklich für Leipzigs Geschichte interessiert, der weiß, dass man diese 1.000 Jahre schon längst nicht mehr auf nur einen Band eindampfen kann, auch wenn es manchem Autor zu gelingen scheint. Zu viele Aspekte fallen dabei weg. Die Komplexität verschwindet. Leider, muss man sagen. Denn es sind die scheinbar stringenten, scheinbar einfachen Legenden, die dann nicht nur das Stadtmarketing so einfallslos und platt machen, sondern auch die Selbstwahrnehmung der heutigen Stadtgesellschaft. Man reduziert seine Erinnerungen auf wenige, scheinbar logische Entwicklungslinien – und schafft damit auch neue Blindheiten für die Gegenwart. Denn nichts an dieser Leipziger Geschichte war einfach und zwangsläufig. Nicht die Geschichte der Messestadt, nicht die der Musikstadt, nicht die der Buchstadt usw. Es stecken viele Städte in dieser Stadt, viele Kulturen, Kontroversen und Häutungen.

Was dann übrigens auch die offizielle vierbändige Stadtgeschichte zeigt, von der erst zwei Bände vorliegen. Aber das war zu erwarten. Das Projekt ist ja noch viel ehrgeiziger und geht auch über das, was Peter Schwarz in Eigenregie leisten konnte, weit hinaus. Auch vom Umfang her. Aber die dort versammelten Autoren haben alle mit derselben Komplexität zu tun und der Frage: Wie organisiert man das in vier Bänden? Wie schafft man eine Art Ordnung, mit der auch die Leser umgehen können, ohne dass die Stränge zerfallen? Und – gerade im dortigen Band 2 ist sichtbar geworden: Wie macht man deutlich, dass unterschiedlichste Entwicklungen immer gleichzeitig passierten?

Vor der Frage stand Peter Schwarz nicht mehr. Er hat seine Geschichte erzählt und mit seiner Fleißarbeit so ungefähr alles auf den Punkt gebracht, was bis 2014 greifbar war. Die Quellenverzeichnisse passten auch noch hinein in die drei Bände, die beim Publikum großen Anklang fanden, weil damit wirklich zum ersten Mal auch so eine Art Leipziger Komplettgeschichte vorlag. 2015 bekam Peter Schwarz dafür auch den „Ur-Krostitzer Jahresring“, mit dem markante Arbeiten von regionalen Hobbyhistorikern gewürdigt werden, Arbeiten, die abseits der finanzierten universitären Forschungsvorhaben passieren. Die aber oft genug dasselbe wissenschaftliche Niveau haben, was ja 2015 auch der Pro-Leipzig-Autor Michael Liebmann mit seinem „Connewitz“-Buch bewies.

Nur: Was macht man, wenn ein ordentliches Register nicht mehr reingepasst hat in die drei Leipzig-Bände?

Man liefert es nach. Das ist zwar ungewöhnlich, in diesem Fall aber sehr hilfreich, denn mit Hilfe des nun selbst 90 Seiten umfassenden Registers hat man nun auch den Handapparat, mit dem man die rund 2.500 von Schwarz erwähnten Persönlichkeiten finden kann, vom Chemiker Aarland bis zum Schweizer Reformator Zwingli. Die beiden Namen zeigen schon, dass auch Schwarz immer wieder den Fokus öffnen und über den Leipziger Tellerrand hinausgucken musste. Mal waren es kriegerische Ereignisse, die sich bis in die Stadt hinein auswirkten, mal die Reformation und die nachfolgenden theologischen Diskussionen, aber mit der Universität war auch immer der internationale Gelehrten- und Forschungsaspekt ein Thema. Oft kam Bewegung in die Stadt erst durch die gut vernetzten klugen Leute, die die Welt durch ihre weltumspannende Korrespondenz nach Leipzig holten.

Zum Personenregister gibt es dann ein ebenso umfassendes Sachregister. Und Peter Schwarz hat auch die Gelegenheit genutzt, ein paar Korrekturen zu notieren – die meisten eher rechtschreiblicher Art, einige aber auch als Erkenntnisgewinn. Man merkt schon, dass der eine oder andere Experte munter wurde und den Autor auf einige Dinge hinwies, die er so noch nicht wusste. Oder die er in seinen Quellen nur in Verknappungen gefunden hatte, die so nicht ganz stimmten.

So macht dann auch sein kleines Korrekturwerk deutlich, dass die Leipziger Heimatforschung nicht stehen bleibt, dass da draußen immer noch einige hoch engagierte Zeitgenossen daran sind, neue Themenfelder zu erschließen, alte mit besserer Quellenerkundung zu untersetzen, Mythen zu hinterfragen und spannende Einzelereignisse auf ihren belegbaren Faktengehalt hin abzuklopfen.

Daran wird auch die vierbändige Stadtgeschichte nichts ändern, wenn sie fertig ist. Aber sie wird einen Markstein setzen und den Maßstab für die nächsten 100 Jahre, in denen garantiert noch viel mehr über Leipzigs zurückliegende Geschichte ans Tageslicht geholt wird. Denn oft muss man nur die richtigen Fragen stellen, um völlig neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Wer also die dreibändige Leipzig-Geschichte von Peter Schwarz hat, kann sich jetzt auch noch das Register besorgen und hat damit einen Kompass zur Orientierung, der das Ganze hilfreich ergänzt.

Peter Schwarz „Das tausendjährige Leipzig. Register Bände 1 bis 3“, Pro Leipzig, Leipzig 2016, 9 Euro

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