Auf den ersten Blick ist das wieder so ein komisches Buch. Mit Körnern drin. Schrecklich gesund. Auch noch so exotischen wie Amaranth, Quinoa, Hirse-, Leinsamen- und Buchweizenmehl. Aber all diese Exoten tauchen nicht ganz ohne Grund wieder in unseren Läden auf. Denn wir haben da ein kleines Problem, das immer mehr Menschen zu schaffen macht. Und es hat mit unserer industrialisierten Landwirtschaft zu tun.

Immer mehr Menschen entwickeln nämlich eine Gluten-Unverträglichkeit. Obwohl die Getreidearten, die Gluten enthalten, seit Jahrtausenden zur menschlichen Ernährung gehören. Weizen zum Beispiel. Oder vielleicht doch besser: Weizen 4.0 oder 5.0. Denn mit den Getreidesorten, die unsere Vorfahren vor 4.000 oder auch noch vor 400 Jahren geerntet haben, haben unsere hochgezüchteten Getreidesorten heute nicht mehr viel zu tun.

Und das ist im Grunde der wichtigste Teil in Carola Ruffs Büchlein, in dem sie erzählt, warum viele von uns Weizen nicht mehr vertragen und Produkte aus heutigem Weizen bei Vielen nicht nur Blähungen und Verstopfungen auslösen, sondern sogar allergischen Schnupfen, Anämie, Neurodermitis, Herzstörungen, Bluthochdruck …  im Grunde das ganze Konzert. Was einen daran erinnert, wie sehr sich die landwirtschaftlichen Produkte in den letzten 50 Jahren verändert haben und welche Folgen die Hochleistungszüchtung der Pflanzen mit sich bringt –  mit denen wahrscheinlich keiner der Züchter damals gerechnet hat. Aber eigentlich rechnen musste. Nur scheint bei landwirtschaftlichen Züchtungen und Genveränderungen jeder wissenschaftliche Verstand auszusetzen. Denn eigentlich wissen es die Züchter, dass man Pflanzen nicht immer größer, stabiler, resistenter und ertragreicher machen kann. Es verändern sich auch alle anderen Parameter, und manche davon machen dann aus einem Hochleistungsprodukt etwas, was viele  Menschen nicht mehr vertragen. Fünf Prozent der Bevölkerung haben heute schon eine Gluten-Unverträglichkeit. Und die ist in der Regel nicht angeboren. Viele entwickeln sie erst im Erwachsenenalter.

Dann ist guter Rat teuer.

Oder in solchen kleinen Büchlein zu finden. Und wie so oft liegt die Lösung just in dem, was die moderne Landwirtschaft gerade überall verdrängt hat: Im Anbau ursprünglicher Getreidesorten oder eben von Pseudogetreide, eben all jenen Körnerpflanzen, die Carola Ruff in diesem Büchlein kurz beschreibt – samt Anwendung der Körner und Mehle in der Küche. Es ist schon erstaunlich: Erst macht es uns die Nahrungsmittelindustrie ganz bequem, produziert leistungsstarke Agrarfrüchte – und dann macht uns die bequeme Ware aus dem Laden krank und wir werden gezwungen, uns wieder mit dem zu beschäftigen, was uns am Leben erhält.

Auf einmal merken wir, dass all die Effizienz-Märchen, die jeden Tag in der Zeitung stehen, eine Kehrseite haben: Es gibt sie nur, weil immer nur ein paar wenige Parameter verändert und Pflanzen zu Hochleistungsmaschinen gemacht wurden. Und auf einmal erweisen sich die Hochleistungsprodukte als nicht mehr genießbar.

Schöner Fortschritt, nicht wahr?

Und der simple Blick in die selben Zeitungen zeigt, dass die Verfechter dieser Art Landwirtschaft nicht daran denken, ihr Verhalten zu ändern. Und auch die Zeichen am Horizont nicht wahrnehmen wollen, die alle besagen, dass da die nächste Katastrophe heranwächst.

Aber die Alternativen gibt es, auch wenn man dazu wieder ein bisschen was lernen muss übers Mahlen und Mischen von Mehlen, den Ersatz der üblichen Zutaten durch welche, die eben nicht die Überdosis Gluten enthalten und nicht krank machen. Die Autorin erzählt, wie man damit umgeht und welche Auswahl es gibt. Und weil man dann erst mal Mehl und Körner hat, gibt es natürlich auch noch einen Schwung Rezepte, mit denen man erfährt, dass dieser Verzicht aufs aufgeblähte Bäckerbrot eben nicht unbedingt karge Kost bedeutet, sondern eher Freude am Experiment. Manches klingt schon ein bisschen Paleo. Darüber hat Carola Ruff ja auch schon ein Büchlein verfasst. Und die gern scheel angeschauten Freunde der Paleo-Ernährung haben trotzdem recht – denn je näher wir bei unserer Nahrung dem sind, was unsere Vorfahren vor 5.000 Jahren oder so zur Verfügung hatten, umso gesünder ist es, weil es sich schlicht um Zutaten handelt, mit denen unser Körper umgehen kann.

Mit etlichen modernen Über-Züchtungen kann er nicht mehr umgehen.

Aber warum nicht mal ein Apfelbrot mit Nüssen drin backen, einen knusprigen Avocado-Salat mit Amaranth und Quinoa zubereiten oder ein Amaranth-Pilz-Risotto? Hier taucht zum Beispiel der Wildreis auf, der deutlich mehr gesunde Inhaltsstoffe hat als der blankgeputzte weiße Reis aus dem Supermarkt. Und selbst Gugelhupfe, Puffer und Pfannkuchen lassen sich mit anderen als den üblichen normierten Zutaten zaubern – schmecken natürlich auch wieder anders. Aber das hatten wir ja auch schon – wie sehr die industrielle Geschmacksnormierung uns daran hindert, die eigentliche aromatische Vielfalt der Dinge zu erleben.

Also wieder so ein Büchlein, das den einen hilft, ein Problem zu lösen, und andere bestimmt dazu animiert, sich noch ein Stück weit aus der Fertigwaren-Bequemlichkeit der Supermärkte zu verabschieden. Das Abenteuer – auch das geschmackliche – lauert meistens nur ein paar wenige Schritte weiter. Und sagen Sie jetzt nicht, dass ein Backabend in der Küche nicht so aufregend ist wie ein Sauf-und-Fress-Abend vor der Glotze. So etwas sagen nur Leute, die wirklich keine Geschmacksnerven mehr haben.

Carola Ruff Amaranth & andere Vitalkörner, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2017, 5 Euro.

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