Für FreikäuferLuther war da. Das ist zwar schon 506 Jahre her und im Vatikan würde man das wohl nicht gerade an die große Glocke hängen. Aber er war da, neugierig, wissensdurstig, von seinem Orden auf die 1.500 Kilometer lange Reise geschickt. Er kannte also die Stadt der Päpste, als er später seine harten Urteile fällte über das „gotteslästerliche Rom“, das er auch gern als Babylon beschrieb. Man kann auch wegen Luther nach Rom reisen.

Aber der studierte Theologe Georg Röwekamp zeigt in diesem neuen „Biblischen Reiseführer“, dass es noch mehr Gründe gibt, nach Rom zu fahren. Selbst für Protestanten. Was nur auf den ersten Blick verblüfft. Aber Röwekamp hat nicht nur einen Reiseführer geschrieben, der einfach aufzählt, was es zu sehen gibt. Er hat im Grunde ein kleines Handbuch geschrieben, das auch dem Laien erklärt, warum der Papst ausgerechnet in Rom sitzt und wie viel das mit jenem Römischen Reich zu tun hat, dessen Statthalter Pontius Pilatus einst Jesus zur Kreuzigung verurteilt hat. Denn zur Staatsreligion wurde das Christentum nicht an seinem Ursprungsort, auch wenn Millionen Christen nach Jerusalem pilgern, um dort die Originalschauplätze des Neuen Testaments zu suchen. Ob sie sie zu sehen bekommen, ist eine andere Frage. Eine, bei der auch Archäologen lächeln. Was einem als Original gezeigt wird, ist nicht immer das, was es sein soll.

Manchmal geht es einem in Rom auch so. Was Röwekamp recht anschaulich erklärt. Denn die Anfänge von allem liegen – wie so oft – im Dunklen. Als die ersten judenchristlichen Gemeinden in Rom entstanden und Paulus und Petrus nach Rom reisten, erwartete niemand, dass aus dieser „jüdischen Sekte“ einmal eine Weltreligion werden würde. In Rom wurde ein ganzer Reigen von Göttern angebetet – nebst Kaisern, die selbst für sich die Göttlichkeit beanspruchten. Rom war Millionenstadt. Und die „Neuen“ wurden durchaus scheel angeschaut. Obwohl sie wahrscheinlich die meiste Zeit geduldet wurden und ihren Kult ungestört ausüben durften. Auch den Märtyrer-Erzählungen darf man misstrauen. Auch sie entstanden meist erst viel später, als sie zeitlich eigentlich einzuordnen sind. Da geht es ihnen wie den Erzählungen der Bibel.

Und schon die ältesten christlichen Spuren in Rom sind oft genug der Versuch einer Rekonstruktion. Und in Rom liegen viele Schichten übereinander. Das ist das Spannendste an dieser Reise. Eine Stadt mit über 2.000 Jahren Geschichte ist wie ein Sandwich. Unter der dominierenden Kunst von Barock und Renaissance sind immer wieder auch die Architekturepochen des Hochmittelalters, des Frühmittelalters und auch des kaiserlichen Rom zu finden.

Tatsächlich nimmt Röwekamp seine Leser mit in jene Geschichte, die erzählt, wie aus den ganz und gar nicht mächtigen Bischöfen der römischen Gemeinden nach dem Ende des römischen Kaisertums erst die Herren der Stadt Rom wurden, die sich neue Beschützer suchten, nachdem die Kaiser diese Funktion nicht mehr erfüllen konnten, und damit ein neues (Römisches) Reich schufen, und wie dann spätere Päpste auch die Machtprobe mit den von ihnen gesalbten Kaisern suchten. Und wenn Macht und Religion sich vermengen, dann kommt meistens etwas Seltsames dabei heraus. Und so erfährt der Leser auch, wie früh schon die Entwicklung in Rom Kritik erfuhr – auch und gerade von berühmten Theologen. Was Luther 1517 als Kritik vorbrachte, gärte auch 300 Jahre vorher schon. Und wer genau hinschaut, kann in vielen Bildern, Fresken und Statuen in den mehr als sieben Kirchen Roms den Kampf um Deutungshoheit und weltliche Macht wiedererkennen. Natürlich immer aus römischer, heißt: päpstlicher Sicht.

Bis in die Zeit der Reformation hinein, die so überraschend nicht kam. Alle Kritik, die Luther vorbrachte, war so auch schon im Vatikan geäußert worden.

Aber es war wie heute: Wer die Macht von Politikern infrage stellt, muss genau mit solchen Reaktionen rechnen, wie sie Luther erlebte, vor ihm schon Jan Hus, nach ihm Giordano Bruno. Aber man sieht nicht nur diesen Machtanspruch, der sich ja letztlich auch in riesigen Kunstwerken äußerte, die den Anspruch des Nachfolgers Petri auch in ganze Bildgeschichten packte, gemalt von den berühmtesten Künstlern der Zeit. Man lernt also auch, wie eng verbunden das Aufblühen der Renaissance mit dem Machtanspruch der Päpste war. Sie formten Rom zur barocken Kapitale, betätigten sich aber auch als Kunstsammler, so dass in ihren Museen viele Schätze der Antike überdauerten. Einer Antike, die sie auch ganz bewusst in Anspruch nahmen. In den Ritualen des Vatikan spiegeln sich die alten, römischen Kaiserrituale – denn der Kaiser der Römer war auch immer der oberste Religionsherr, der Pontifex maximus. Ein Titel, den die Päpste genauso übernahmen wie das Latein der Römer.

Röwekamp zeigt seinen Lesern Rom wie eine Schichtentorte. Und während er erzählt, wie das „Rom der Bibel“ wahrscheinlich ausgesehen hat, nimmt er die Leser mit an die Orte, die heute zumindest noch ahnen lassen, wie es gewesen sein könnte. Das sind oft genug Orte des Übergangs, wo die Baustrukturen des kaiserlichen Roms noch sichtbar sind, umgenutzt oder überbaut von späteren, christlichen Gräbern und Kirchen. Natürlich geht es auch in die Katakomben. Aber Röwekamp nutzt jede Gelegenheit, auch alte Mythen aufzulösen, so wie an dieser Stelle die alte Legende, die Katakomben hätten zum heimlichen Praktizieren des Christentums gedient. Das war wohl selbst in den ersten drei Jahrhunderten nicht nötig. Im Gegenteil: Gerade die gefundenen frühesten christlichen Inschriften und Symbole erzählen davon, wie lebendig die Religion auch schon vor der Zeit des Konstantin war und wie alte Kulte (etwa der Mithraskult) fast fließend übergingen in die neuen, christlichen Riten.

Und dann steigt Röwekamp scheinbar die Jahrhunderte hinauf, findet Spuren des mittelalterlichen Roms, der Renaissance und des Barock. Und immer wieder lenkt er den Blick auf die tieferen Schichten. Manchmal kann man direkt Geschoss um Geschoss in die Tiefe steigen und landet im Rom der Kaiserzeit. Am Ende hat man zumindest eine Vorstellung davon, wie es den Bischöfen von Rom gelingen konnte, sich zu den geistigen Oberhäuptern der westlichen Welt und der ganzen Christenheit aufzuschwingen und warum sie damit nicht nur diesen Luther aus dem winzigen Wittenberg derart verärgerten. Kirchengeschichte wird zu europäischer Geschichte.

Die große Stadt, in die manche Leute vor allem wegen des Kolosseums, der Brunnen und des Papstes fahren, wird zu einer erlebbaren Landschaft von 2000 Jahren Geschichte – in der man nicht alles glauben darf, was man sieht. Aber was man sehen kann, wird zum großen Puzzle. Und der Band wird zur lebendigen Ergänzung der anderen Bände, die in dieser Reihe schon erschienen und die die Leser einladen zur Reise in die Frühzeit des Christentums – nach Griechenland, Israel, an die kleinasiatische Küste, die heute zur Türkei gehört. Na gut, dieser Band wird sich jetzt vielleicht etwas schlechter verkaufen.

Also auf nach Rom, vielleicht mit ein bisschen Zeit im Gepäck, denn allein die mit Geschichte vollgepackten Kirchen werden etliche Tage brauchen, wenn man sie alle besuchen und entziffern will. Und natürlich gibt es immer wieder auch die Verweise auf Petersdom und Sixtinische Kapelle, die man bei Führungen ebenfalls besichtigen kann. Und auch die Neuzeit spart Röwekamp nicht aus, denn was sich die Päpste einst als weltumspannendes neues Reich dachten, war spätestens mit Napoleon passé, mit dem Aufkommen des italienischen Nationalstaates sowieso. Und so erfährt man am Ende auch noch, wie der Papst in „Gefangenschaft“ geriet und zuletzt froh sein konnte, Oberhaupt des kleinsten Staates auf Erden werden zu dürfen.

Georg Röwekamp Rom, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017, 20 Euro.

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