Fast möchte man sagen: So müssen Studien aussehen - 350 Seiten dick, mit ausgiebiger Datenerfassung, Problem- und Fehlerdiskussion. Und erst am Ende, wenn das Material geordnet ist, gibt es auf knapp 20 Seiten so etwas wie ein Fazit. Der NABU hat jetzt so eine Studie vorgelegt, die einmal versucht, das Kollisionsrisiko von Greifvögeln mit Windkraftanlagen zu ermitteln - und daraus Empfehlungen abzuleiten.

Ein hochaktuelles Thema, das in der Diskussion um neue Windparks meist keine Rolle spielt. Da wird meist nur der Abstand zur menschlichen Wohnbebauung thematisiert. Dabei gehören Greifvögel weltweit zu den häufigsten Opfern von Windkraftanlagen. In Deutschland sind es unter anderem Rotmilane, Wiesenweihen und Seeadler, die in den Rotoren verunglücken.

Und das hat auch Folgen für die Baugenehmigung: Vorkommen dieser Arten in der Umgebung von Windkraftstandorten führen zu Ablehnungen der Planungen und verursachen regelmäßig gerichtliche Auseinandersetzungen. Die vom Bundesumweltministerium finanzierte Studie des Michael-Otto-Instituts im NABU, der BioConsult SH und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung sowie weiterer Partner analysiert die Umstände, unter denen Greifvögel an Windrädern ums Leben kommen und soll so zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen.

“Greifvögel verunglücken an Windkraftanlagen tagsüber und bei bester Sicht. Sie scheinen die Risiken zu unterschätzen” berichtet Dr. Hermann Hötker, Leiter des Michael-Otto-Instituts im NABU. In Deutschland besonders problematisch sind die Verluste von Rotmilanen, da der größte Teil des globalen Bestandes (weltweit etwas über 20.000 Paare) dieser sehr seltenen Art in Deutschland brütet. In Sachsen sind es geschätzte 1.000 bis 1.400 Brutpaare.

Kern des Projektes war das genaue Studium des Verhaltens von Greifvögeln in Bezug auf Windkraftanlagen. Dazu wurden Rotmilane, Wiesenweihen und Seeadler mit kleinen Sendern versehen, die eine genaue Verfolgung der Tiere im Freiland ermöglichen. Alle Arten besaßen Streifgebiete von vielen Quadratkilometern. Ihre Flugrouten wurden oft durch besonders attraktive Nahrungsquellen bestimmt und führten regelmäßig quer durch Windparks. Besonders bei Rotmilanen und Wiesenweihen war jedoch eine Konzentration der Aktivitäten im Horstbereich festzustellen.

Was den Schwerpunkt des Themas natürlich verschiebt: Nicht das ganze Jagdrevier der Greifvogel muss betrachtet werden, sondern der direkte Kernbereich um ihren Horst, wo die Flugintensität – auch gerade in der Brutzeit – besonders hoch ist. Modellrechnungen legen nahe, dass das Kollisionsrisiko bei Rotmilanen in einem Bereich bis 1.250 Meter um den Horst besonders hoch ist.

Dabei hatten die Forscher noch einige zusätzliche Probleme zu lösen, denn ihre Beobachtungsgebiete befinden sich zum größten Teil im Osten Deutschlands. Und auch hier sind die Erkenntnisse teils lückenhaft, was natürlich am Forschungsthema liegt: Beobachtet werden die gefährdeten Greifvögel natürlich vor allem dort, wo sich besonders wertvolle Populationen befinden. Und dazu kommt: Der Beobachtungszeitraum ist aus nachvollziehbaren Gründen recht kurz.

“Höhere Anlagendichten traten in der Regel erst ab 2002 auf, so dass die Zeitspanne zur Beobachtung der Bestandsentwicklung unter dem verstärkten Einfluss von Windrädern nur verhältnismäßig gering war”, heißt es in der Studie. “In derart kurzen Zeiträumen lassen sich normalerweise keine klaren Trends erkennen.”Also betont der NABU auch, dass die Empfehlungen erst einmal nur auf vorläufigem Material beruhen. Das zudem auch noch einen signifikanten Bruch hat, der mit dem Generationenwechsel in den Windparks zu tun hat: “Der Vergleich der sehr umfangreichen Daten des Greifvogelmonitorings mit den Ausbaudaten der Windkraft haben bis zum Jahre 2006 keine Beeinflussung der Greifvogelbestände durch WKA erkennen lassen. Von Ende 2005 bis Ende 2010 wurden in Deutschland 4.033 weitere, in der Regel deutlich größere und leistungsstärkere WKA in Betrieb genommen (Bundesverband Windenergie 2011) und es ist geplant, die Zahl der WKA zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung noch erheblich zu erhöhen.”

Was ja auch heißt: Erst ab 2006 hat man belastbare Aussagen. Man lernt also quasi mit dem Ausbau der modernen Windparks, welchen Einfluss sie auf die Greifvögel haben.

“Die Untersuchungen zum Rotmilan zeigen deutlich, dass das Kollisionsrisiko mit sinkendem Abstand zwischen WKA und Greifvogelhorst steigt. Ob und falls ja in welchem Maße sich der weitere Ausbau der Windkraft auf die Populationsentwicklung von Greifvögeln auswirken wird, lässt sich anhand der bisher erhobenen Daten nicht beurteilen. Das von der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg geführte Fundkataster gibt nicht mehr als einen ersten Eindruck von der Fundhäufigkeit, da weder die Wahrscheinlichkeit, dass ein verunglückter Vogel gefunden wird noch die, dass ein gefundener Vogel gemeldet wird, bekannt ist. Damit ist auch die Zahl der an WKA verunglückten Greifvögel in Deutschland oder die Kollisionsrate von Greifvögeln immer noch nicht bekannt.”

Zumindest deutet einiges darauf hin, dass die Könige der Lüfte die drehenden Rotoren nicht wirklich für voll nehmen, wenn sie bei der Jagd auf das kleine, huschende Futter unten in den Feldern konzentriert sind. Sie lassen sich von neuen Windrädern nicht vertreiben, nehmen sie aber eben leider auch nicht ganz ernst.

“Die im Rahmen des Projektes durchgeführten Untersuchungen haben die bereits für andere Greifvogelarten geäußerte Vermutung bestätigt, dass Greifvögel sich nicht oder kaum von WKA gestört fühlen oder sich verdrängen lassen. Stattdessen kollidieren sie im Vergleich zu ihrer Häufigkeit in der Landschaft überproportional häufig mit WKA. Dies gilt nicht nur für Deutschland sondern wird auch von zahlreichen internationalen Studien bestätigt”, heißt es in der Studie.

Diese kommt dann unter anderem zu dem Schluss, dass für den Schutz der Greifvögel innerhalb oder in der Nähe von Windparks keine besonderen Anziehungspunkte für diese Vögel geschaffen werden sollten. Dazu zählen Mist- und Komposthaufen und Brachen an den Mastfüßen. Auch die Anlage frühzeitig zu mähender Kulturen wie etwa Grünroggen sollte im Bereich von Windparks vermieden werden, was dann für die Landwirte, die hier ihre Felder bewirtschaften, ein neuer Lernprozess wird.

Entscheidender Faktor bleibe allerdings der Standort, so der NABU: Windparks sollten in einen ausreichend großen Abstand von Rotmilanhorsten und nicht innerhalb von Schwerpunkträumen von Wiesenweihen und Seeadlern angelegt werden. Die Studie zum möglichst zu beachtenden Raum: “Mit einem Abstand von 1.250 m lässt sich nach den vorliegenden Daten das Kollisionsrisiko deutlich reduzieren, da in diesem Radius ein großer Teil der Flugaktivitäten der Rotmilane stattfindet.”

In Sachsen sind für die Ausweisung von Vorrang/Eignungsgebieten für Windkraft die jeweiligen Regionalen Planungsstellen verantwortlich. Und hier ist man – auch aufgrund der Regierungskonstellation – in den letzten Jahren quasi auf der Stelle getreten, kritisiert der NABU noch die aktuelle sächsische Gemengelage. Im aktuellen Koalitionsvertrag jedoch bekennen sich CDU und SPD zu einem Ausbau der Windkraft. Dabei müssen die Ergebnisse der vorliegenden Studie in die Planungen einfließen, betont der NABU. Ebenso sei es erforderlich, dass so genannte harte Tabuzonen, die eine Windkraftnutzung ausschließen, ausgewiesen werden.

Die Studie steht zum Download unter: www.nabu.de/downloads/Endbericht-Greifvogelprojekt.pdf

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