Es ist in der Politik genauso wie in Landwirtschaft und Umweltschutz: Falsches und vor allem vereinfachtes Denken führt zu falschen Entscheidungen. Eigentlich ist das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der komplexen Systeme. Und kaum ein Phänomen macht das deutlicher als der Klimawandel. Es sind die komplexen, artenreichen Systeme, die die größte Widerstandskraft bei drastischen Veränderungen aufweisen.

Die Politikwissenschaften sind leider noch lange nicht da, das auch für Gesellschaften darstellbar zu machen. Da reden zwar einige politische Spieler gern von Extremismen, womit sie alles bezeichnen, was vom mittleren Grundrauschen einer Gesellschaft abweicht. Aber Extremismen sind immer auch Vereinfachungen und neigen – wie die Landwirtschaft mit ihrer Jagd nach hohen Ernteausbeuten – zu Monokulturen. Und Monokulturen sind nicht nur leichte Angriffsfläche für Schädlinge – sie können auch mit klimatischen Änderungen schlecht umgehen.

Ist das jetzt zu weit gegriffen?

Wahrscheinlich nicht.

Dass Monokulturen in der Landwirtschaft anfälliger für Schädlinge sind, ist lange bekannt. Gerade für sie wurden die immer stärkeren Chemiekeulen entwickelt, die heute unsere Umwelt belasten.

Aber artenreiche Biotope sind schon von Natur aus resistenter gegen Schädlinge.

Dasselbe gilt augenscheinlich für alle Umgebungsstressoren. Und während im Rahmen des Biodiversitätsforschungszentrums Jenaer Foscher die Artenvielfalt und Widerstandsfähigkeit von Grasland untersucht haben, sind Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Stockholm Resilience Centre jetzt auf die Mikro-Ebene hinabgetaucht und haben das Ganze mal bei Bakterien untersucht. Natürlich gehört das auch in den großen Komplex der in Mitteldeutschland angesiedelten Biodiversitätsforschung.

Im Rahmen von Laborexperimenten mit mikrobiellen Artengemeinschaften konnten die Wissenschaftler aus Leipzig und Stockholm nun zeigen, dass Bakterienarten zwar funktionelle Redundanz aufweisen können, das Ausmaß dieser Redundanz aber ganz entscheidend von den Umweltbedingungen geprägt ist.

Redundanz heißt: Verschiedene Arten in einem Ökosystem haben auf den erste Blick ganz ähnliche Aufgaben. Aber dadurch werden sie keineswegs überflüssig – und die jeweils andere Art kann den Wegfall einer Art nicht kompensieren.

Arten, die bei günstigen Umweltbedingungen für das Funktionieren eines Ökosystems eine Nebenrolle spielen, können unter ungünstigen Umweltbedingungen nämlich eine Schlüsselfunktion übernehmen. Die Aufgaben innerhalb des Ökosystems verschieben sich. Das System arbeitet quasi mit doppelten und dreifachen Schaltkreisen.

In Zeiten des Klimawandels wäre das ein weiteres Argument für den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Dass Vielfalt besser ist als Eintönigkeit, leuchtet spontan ein. Aber welchen Unterschied macht es für ein Ökosystem und die darin ablaufenden Prozesse, ob in ihm eine, sechs oder zwölf Baum-, Vogel- oder Bakterienarten vorkommen?

“Einige Arten erfüllen im Ökosystem Funktionen, die sich oftmals erst unter schwierigen Umweltbedingungen entfalten”, erklärt dazu Dr. Antonis Chatzinotas, einer der beiden Hauptautoren der Studie und Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobielle Systemökologie am UFZ. “Wir haben nun in mikrobiellen Gemeinschaften zeigen können, dass Arten je nach vorherrschenden Umweltbedingungen unterschiedlich stark aufeinander angewiesen sind – in unseren Untersuchungen umso mehr, je ungünstiger die Bedingungen waren.”

Dass biologische Vielfalt Prozesse in einem Ökosystem, wie etwa den Aufbau von Biomasse oder den Ablauf von Stoffwechselprozessen fördern, ist lange bekannt. Man weiß aber auch, dass sich mehrere Arten bezüglich ihrer Aufgaben im Ökosystem überschneiden können und somit funktionell redundant sind. Würden also nur redundante Arten verloren gehen, könnten die ökologischen Prozesse weiter aufrechterhalten bleiben. Fallen jedoch essenzielle Arten im ökologischen Gefüge aus, deren Rolle nicht durch andere kompensiert werden kann, werden diese Prozesse beeinträchtigt.

“Mittlerweile wissen wir, dass das entscheidend von den jeweiligen Umweltbedingungen abhängig ist”, erklärt Dr. Ingo Fetzer, der andere der beiden Hauptautoren der Studie, der bis 2012 am UFZ tätig war. Würden Arten unter guten Umweltbedingungen als redundant, ihr Verlust somit als unerheblich gelten, so könne sich dieses Bild sehr schnell ändern, wenn sich die vorherrschenden Bedingungen verschlechtern. Einzelne Arten würden dann plötzlich ganz neue Rollen im ökologischen Gefüge einnehmen und so die Prozesse im Ökosystem am Laufen halten.

Untersucht haben die Wissenschaftler diese Zusammenhänge an mikrobiellen Artengemeinschaften. In umfangreichen Laborexperimenten setzten sie fast 900 Mikroben-Mischungen mit unterschiedlicher Artenzahl und -zusammensetzung drei verschiedenen Umweltbedingungen aus – von guten Bedingungen, unter denen viele der Organismen gedeihen, über weniger gute bis hin zu schlechten Bedingungen mit sehr hoher Salzkonzentration. Als exemplarischen ökologischen Prozess beobachteten sie, wie viel Biomasse die einzelnen Artengemeinschaften produzierten.

Es zeigte sich, dass unter den drei Szenarien jeweils umso mehr Biomasse gebildet wurde, je höher die Artenvielfalt im Modell-Ökosystem war.

Besonders spannend dabei: “Keine der eingesetzten Arten konnte unter schlechten Bedingungen auf sich allein gestellt wachsen; kamen jedoch bestimmte weitere Arten dazu, so setzte plötzlich die Produktion ein”, so Chatzinotas.

Der Grund dafür kann darin liegen, dass ein artenreiches Ökosystem Arten bereithält, die nach Umweltveränderungen plötzlich wichtige Schlüsselfunktionen einnehmen können. Vor allem bietet es auch die Grundlage für neue entscheidende Wechselbeziehungen zwischen den Arten. Beispielsweise können die Stoffwechselprodukte der einen Art durch eine andere genutzt werden.

Um solche grundsätzlichen Fragen der Ökologie zu untersuchen, sind Laborversuche mit Mikroorganismen besonders geeignet: Die Forscher können so eine große Anzahl von Experimenten mit vielen Wiederholungen auf kleinstem Raum durchführen und die Versuchsbedingungen dabei leichter kontrollieren und vergleichbar halten, als bei einem Feldversuch. Ob sich diese Erkenntnisse auf höhere Organismen, Tier- und Pflanzengemeinschaften, übertragen lassen, müssen nun weitere Untersuchungen zeigen.

“Entscheidend ist die Erkenntnis, dass der Wert der Biodiversität nicht nur unter günstigen äußeren Umständen bewertet werden darf, sondern vor allem unter schwierigen”, so Antonis Chatzinotas. In Zeiten des Klimawandels ein wichtiges Argument für den Erhalt der biologischen Vielfalt und den Erhalt jeder einzelnen Art.

Publikation: Ingo Fetzer, Karin Johst, Robert Schäwe, Thomas Banitz, Hauke Harms and Antonis Chatzinotas: “The extent of functional redundancy changes as species’ roles shift in different environments”: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1505587112

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