Es ist, als wäre er fröhlich wieder auferstanden, der Neandertaler. Erst wird in Leipzig sein Genom entschlüsselt, dann gehen die Spurensucher im menschlichen Genom auf die Suche nach jenen Bausteinen, an denen sich die Vermischung von Neandertaler und modernem Menschen nachweisen lässt. Und dann stellt sich heraus, dass die Vermischung sogar Wertvolles in unserem Erbgut beigetragen hat.

Und dabei ist das alles lange her. Vor rund 40.000 Jahren kam der moderne Mensch nach Europa. Da lebte der Neandertaler schon  über 150.000 Jahre hier, hatte mit widrigen Bedingungen zu kämpfen, musste immer wieder zurückweichen, wenn die Gletscher der Eiszeit vorstießen. Aber er hatte sich an das raue Klima schon angepasst. Und das sollte den Neulingen aus dem Süden zugute kommen.

Als moderne Menschen vor vielen tausend Jahren in Europa auf Neandertaler trafen und sich mit ihnen fortpflanzten, erbten einige Nachkommen Genvariationen, deren Träger Infektionen besser abwehren konnten, haben jetzt Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und vom Institut Pasteur und dem CNRS in Paris herausgefunden. Sie belegen jetzt in zwei voneinander unabhängigen Artikeln die wichtige Rolle artübergreifender Beziehungen für die Evolution des Menschen und insbesondere für die Evolution des angeborenen Immunsystems, das uns vor Infektionen schützt.

“Die Vermischung mit alten Menschenarten wie dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen hatte Auswirkungen auf die genetische Diversität einiger angeborener Immungene der Familie der Toll-Like Rezeptoren“, sagt Janet Kelso vom Max-Planck-Institut fĂĽr evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

„Diese und andere angeborene Immungene weisen einen höheren Neandertaleranteil auf als der Rest des Genoms”, ergänzt Lluis Quintana-Murci vom Institut Pasteur und dem CNRS in Paris. „Das zeigt, wie wichtig Introgression, der artübergreifende Austausch von Genen, für die Evolution des angeborenen Immunsystems beim Menschen gewesen sein könnte.“

FrĂĽhere Studien haben bereits gezeigt, dass ein Anteil von 1 bis 6 Prozent im Genom von heute in Europa und Asien lebenden Menschen vom Neandertaler oder Denisovamenschen stammen.

Beide neuen Studien betonen jetzt die funktionelle Bedeutung der geerbten Toll-Like Rezeptor(TLR)-Gene TLR1, TLR6 und TLR10. Diese TLR-Gene wirken auf der Zelloberfläche, wo sie Bestandteile von Bakterien, Pilzen und Parasiten aufspüren und bekämpfen. Sie sind für die Auslösung entzündlicher und antimikrobieller Reaktionen sowie für die Aktivierung einer angemessenen Immunreaktion von essentieller Bedeutung.

Quintana-Murci und seine Kollegen erforschten in ihrer Studie die Evolution des angeborenen Immunsystems. Dabei nutzten sie die im Rahmen des “1000 Genomes Project” zusammengetragenen Genomdaten von heute lebenden Menschen sowie die Genomsequenzen von alten Homininen. Quintana-Murcis Team konzentrierte sich auf eine Liste von 1.500 Genen, die fĂĽr das Immunsystem eine Rolle spielen. (Der Mensch besitzt rund 22.500 Gene.) AnschlieĂźend untersuchten sie die Muster genetischer Variation und evolutionärer Veränderungen in diesen Regionen im Vergleich zum restlichen Genom in groĂźem Detail. SchlieĂźlich schätzten sie die zeitliche Einordnung dieser Veränderungen im Immunsystem und das AusmaĂź, welche Variation in diesen Genen von Neandertalern vererbt worden war.

Die Untersuchungen zeigten, dass sich einige Immungene über eine lange Zeit hinweg kaum verändert haben.

Für andere Gene tauchte eine neue Variante auf, die sich schnell durchsetzte, zum Beispiel um sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen oder als Ergebnis von Seuchen. Und das Auftauchen dieser Variationen lässt sich sogar zeitlich eingrenzen.

Die meisten Anpassungen bei Protein-kodierenden Genen ereigneten sich während der letzten 6.000 bis 13.000 Jahre, als menschliche Populationen von einem Leben als Jäger und Sammler zum Ackerbau übergingen, so die Forscher. Das entspricht einigen der wichtigsten Einwanderungswellen vor allem aus dem asiatischen Raum, die die zunehmend wärmeren und fruchtbaren Regionen Europas nach und nach immer dichter besiedelten.

Die größte Überraschung für Quintana-Murci war jedoch, dass das TLR1-6-10 Cluster zu den Genen gehört, die sowohl bei Europäern als auch bei Asiaten den höchsten Neandertaleranteil aufweisen.

Kelso und ihre Kollegen kamen zum selben Ergebnis, erforschten aber das Immunsystem nicht direkt, sondern die funktionelle Bedeutung von Genen, die der moderne Mensch von alten Menschenarten geerbt hat. Dazu führten sie ein Screening der Genome heute lebender Menschen durch, um solche Regionen zu identifizieren, die den Neandertaler- und Denisovagenomen ganz besonders stark ähneln.

AnschlieĂźend untersuchten sie die Verbreitung dieser Regionen bei Menschen aus aller Welt. Dabei stieĂźen sie auf dieselben drei TLR-Gene.

Zwei dieser Genvarianten ähneln vor allem dem Neandertalergenom, das dritte eher dem Denisovagenom, so die Forscher um Kelso. Ihr Team belegt auch, dass diese Genvarianten für den Träger einen selektiven Vorteil darstellten. Diese alten Varianten erhöhen die Aktivität der TLR-Gene und steigern die Abwehr gegenüber Krankheitserregern. Diese höhere Sensitivität kann vor Infektionen schützen, sie erhöht aber möglicherweise auch die Anfälligkeit heute lebender Menschen für Allergien.

“Beide Studien zeigen: Die Vermischung mit alten Menschenarten hat auf den modernen Menschen funktionelle Auswirkungen, die unter anderem der besseren Anpassung an unsere Umwelt dienen, uns beispielsweise mit einer stärkeren Widerstandskraft gegen Krankheitserreger ausstatten oder uns die Verarbeitung neuer Nahrungsressourcen erleichtern“, sagt Kelso.

“So ĂĽberraschend es sich anhört, ist es doch einleuchtend“, ergänzt Kelso. “Als die modernen Menschen Europa und den westlichen Teil Asiens besiedelten, hatten Neandertaler dort bereits 200.000 Jahre lang gelebt und sich an Klima, Nahrungsressourcen und Krankheitserreger ihrer Region gut angepasst. Diese vorteilhaften Anpassungen kamen dann auch dem modernen Menschen zugute, als er sich mit diesen alten Menschenarten vermischte.“

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