Unter Verdacht standen die Weichmacher in diversen Kunststoffen schon länger. Diese Phthalate, Ester der Phtalsäure, und zwar besonders die niedermolukularen galten als verdächtig, besonders in den Hormonhaushalt des Menschen einzugreifen. Eine der Begleiterscheinungen haben jetzt Forscher des Umweltforschungszentrums in Leipzig (UFZ) genauer unter die Lupe genommen: Kann es sein, dass diese Weichmacher auch noch echte Dickmacher sind?

In Kunststoffen sind immer Weichmacher enthalten, beispielsweise Phthalate. Über die Haut oder die Nahrung können sie in unseren Körper gelangen. Sie wirken auf unser Hormonsystem und stehen im Verdacht, Einfluss auf das Körpergewicht zu nehmen, so das UFZ zu einem Beitrag, den die hauseigenen Forscher jetzt zu diesem Thema veröffentlicht haben.

Die genauen Zusammenhänge und Mechanismen waren bislang noch unklar. Die Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) konnten nun in Kooperation mit dem Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) Adipositas Erkrankungen der Universität und des Universitätsklinikums Leipzig in ihrer in PLOS ONE veröffentlichten Studie zeigen, dass das Phthalat DEHP zu einer Gewichtszunahme führt und welche Stoffwechselprozesse daran beteiligt sind.

DEHP ist die Abkürzung für Diethylhexylphthalat. Dieses Phtalat wird besonders häufig in PVC-Kunststoffen, als Zusatzstoff in Farben, kosmetischen Produkten und Schädlingsbekämpfungsmitteln eingesetzt. DEHP ist von der EU mittlerweile als reproduktionstoxisch eingestuft, also als schädlich für die Fortpflanzung des Menschen. Ab 21. Januar darf es nicht mehr ohne Zulassung in Verkehr gebracht werden.

Aber der Hormonhaushalt hat ja nicht nur etwas mit der Fortpflanzung oder mit der Stimmungslage zu tun, er steht auch in Wechselwirkung mit den Stoffwechselprozessen im Körper.

Das war der Punkt, an dem die Leipziger Forscher so ihre Fragen hatten.

Jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist übergewichtig. Bei Kindern und Jugendlichen sind es bereits rund 15 Prozent.

“Die Zahlen sind alarmierend”, sagt Prof. Martin von Bergen, Leiter des Departments Molekulare Systembiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). “Denn mit jedem Kilo, das zu viel ist, erhöht sich das Gesundheitsrisiko für Herzkreislauferkrankungen, Gelenkschäden, chronische Entzündungen und Krebs. Und die Zahl der Menschen mit Übergewicht steigt weltweit stetig an.”

Ein möglicher Auslöser für Übergewicht: Phtalate

Für die Entwicklung von Übergewicht gibt es viele Ursachen: Neben falschen Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel spielen sicherlich auch genetische Faktoren eine Rolle. Aber auch bestimmte Umweltschadstoffe können für die Entwicklung von Übergewicht mitverantwortlich sein. Und die Phthalate rechnen die Forscher als heiße Verdächtige unbedingt zu diesen Stoffen.

“In epidemiologischen Studien wurden bereits ernstzunehmende Zusammenhänge zwischen erhöhten Phthalat-Konzentrationen im menschlichen Körper und der Entwicklung von Übergewicht nachgewiesen und sollten deswegen weitergehend mechanistisch untersucht werden”, sagt von Bergen.

In der Kunststoffverarbeitung werden Phthalate als Weichmacher eingesetzt, um Kunststoffe weich, biegsam oder dehnbar zu machen. Unter bestimmten Bedingungen können Phthalate aber auch aus dem Material austreten und über die Nahrung in unseren Körper aufgenommen werden. Bei Lebensmittelverpackungen treten Phthalate insbesondere in fetthaltige Produkte über, beispielsweise in Käse oder Wurst.

Von Bergen: “Bislang ist kaum etwas darüber bekannt, wie genau Phthalate im Körper wirken, und wie sie Einfluss auf das Körpergewicht nehmen können – und genau da wollten wir mit unserer Studie ansetzen.”

Von Bergen und sein UFZ-Team haben die Studie in Kooperation mit Forschern des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen der Universität und des Universitätsklinikums Leipzig um PD Dr. Nora Klöting und Prof. Matthias Blüher (Sprecher des Sonderforschungsbereichs “Mechanismen der Adipositas”) durchgeführt, die kürzlich im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht wurde. Ihre Ergebnisse zeigen, wo Phthalate in den Stoffwechsel eingreifen und den Weg für eine Gewichtszunahme ebnen können. In Untersuchungen an der Universität Leipzig nahmen Mäuse, die dem Phthalat DEHP im Trinkwasser ausgesetzt waren, deutlich an Gewicht zu. Dies war vor allem bei den weiblichen Tieren der Fall.

“Phthalate greifen ganz offensichtlich massiv in den Hormonhaushalt ein. Bereits in geringen Konzentrationen führen sie zu deutlichen Veränderungen, wie beispielsweise der Gewichtszunahme”, sagt von Bergen.

Wie funktioniert DEHP als Dickmacher?

Der Schwerpunkt der Arbeiten am UFZ lag auf der Charakterisierung der Stoffwechselprodukte im Blut der Mäuse. Die Forscher stellten fest, dass der Anteil ungesättigter Fettsäuren im Blut unter Phthalat-Einwirkung zunahm und der Glukosestoffwechsel gestört war. Daneben war auch die Zusammensetzung von im Blut befindlichen Rezeptoren verändert, die für den Gesamtstoffwechsel wichtig sind und zu einer Umstellung des Stoffwechsels führen können.

“Einige Stoffwechselprodukte, die vom Fettgewebe gebildet werden, sind unter anderem auch als Botenstoffe aktiv und steuern Funktionen in anderen Organen”, erläutert von Bergen. “Noch ist aber nicht abschließend geklärt, wie sich die unterschiedlichen Effekte von Phthalaten auf den Stoffwechsel untereinander beeinflussen und letztlich zu einer Gewichtszunahme führen.”

Gemeinsam mit seinen Kollegen von der Universität und des Universitätsklinikums Leipzig will von Bergen den Einfluss von Phthalaten auf den Stoffwechsel weiter erforschen. Ihre Wirkung auf die Entwicklung frühkindlicher Erkrankungen untersucht er darüber hinaus gemeinsam mit UFZ-Kollegen aus dem Department Umweltimmunologie im Rahmen der Mutter-Kind-Studie LiNA.

“Unser Ziel ist es, solide Grundlagenforschung zu betreiben, damit unsere Ergebnisse dann den für die Risikobewertung von Chemikalien zuständigen Behörden auf deutscher und europäischer Ebene helfen können, ihre Bewertungen vorzunehmen”, so von Bergen.

Grauzone: Nicht gekennzeichnete Verpackungen

Kleiner Hoffnungsschimmer: Der Einsatz des besonders kritischen hormonwirksamen Weichmachers DEHP ist in Verpackungen für fetthaltige Lebensmittel aber verboten.

Aber auch das Tricksen gehört nach wie vor dazu – auch im so renditefreudigen deutschen Handel. Denn, so warnt Uniterra: “Das Problem: Nicht immer kennzeichnen die PVC-Verwender ihre Verpackung. Wenn überhaupt kein Symbol vorhanden ist, handelt es sich in der Regel um PVC.”

Was dann wieder mit den ganzen Tricksereien um Recycling und “Grüner Punkt” zu tun hat. Zwar wird statistisch nur noch in 5 Prozent der Verpackungen PVC verwendet. Aber da viele Produkte nicht gekennzeichnet sind, ist der Graubereich entsprechend groß.

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