Wir und unsere Vorfahren! Das ist eine Geschichte, eine aus lauter Einwanderungen. Immer wieder diese Versuche, aus wärmeren Gefilden in die so langsam vom Eise befreiten Gegenden im Norden zu kommen. Das gelang nicht allen und nicht immer. Aber irgendwann so um 50.000 vor unserer Zeit schafften es die ersten Jäger und Sammler, sich in den Steppen nahe der Permafrostgrenze festzusetzen und durchzuhalten. Und sich anzupassen.

Ein Thema, das die Forscher nach wie vor beschäftigt, denn eigentlich weiß man nicht wirklich viel darüber, „welche Funktionen genetische Varianten beim Menschen ausüben“, wie es Felix Key, Doktorand am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Erstautor der Studie, ausdrückt, die sich jetzt mal mit dem Genom eines besonderen Fundes beschäftigt hat: dem des Menschen aus Ust-Ischim, dessen Oberschenkelknochen 2008 am Ufer des Irtysch gefunden wurde. Der Fund versetzt die Forscher bis heute in Aufregung, denn mit einem kalibrierten Alter von 46.880 bis 43.210 Jahre ist es der bislang bekannteste älteste Fund des modernen Menschen.

Man ist also ganz früh dabei, um zu klären, woher der moderne Mensch eigentlich seine Genvarianten hat, als er in den Norden vorstieß.

Eine der Eigenschaften, die möglicherweise von Genvarianten der Jäger und Sammler beeinflusst wurde, ist die Augenfarbe. Die Forscher spekulieren, dass diese Varianten für Populationen in hohen Breitengraden mit wenig UV-Licht vorteilhaft gewesen sein könnten. Doch darüber wissen wir wenig, sagt Key. Wir wissen nur, dass blaue Augen heute bei vielen Völkern im Norden vorkommen.

In der Menschheitsgeschichte sind 45.000 Jahre zwar nicht allzu viel. Aber der Zeitraum reicht durchaus, damit sich der moderne Mensch auch an seinen neuen Lebensraum in kälteren Breiten anpassen konnte.

Doch wie genau verschiedene Varianten des Erbguts zu dieser Anpassung beigetragen haben, war lange umstritten. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben nun das Erbgut von Menschen analysiert, die vor 45.000 bis 7.000 Jahren gelebt haben.

Und das hat zumindest schon einmal eine Erkenntnis gebracht: Es waren nicht die vor 7.000 Jahren aus dem Südosten einwandernden Ackerbauern, die die markanten genetischen Veränderungen im Phänotyp mitbrachten. Die Jäger, die sie bei ihrem Zug die Donau aufwärts vorfanden, waren mit höchster Wahrscheinlichkeit schon blauäugig. Wahrscheinlich auch hellhäutiger und blond oder rothaarig.

Aber wenn es „Indoeuropäer“ in dem Sinn gab, dann waren das die vor 7.000 Jahren einwandernden Ackerbauern und Viehzüchter.

Die Analysen aus dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie zeigen, dass die Anpassung an lokale Umweltbedingungen zu einem gehäuften Vorkommen bestimmter Genvarianten in Europäern geführt hat. Und interessanterweise traten die meisten dieser adaptiven Varianten bereits bei frühen Jägern und Sammlern auf, jedoch nicht bei frühen Bauern.

Oder mit der ziemlich klaren Botschaft aus dem MPI für evolutionäre Anthropologie: Jäger und Sammler, die mehrere Tausend Jahre vor Auftreten der Bauern in Europa lebten, waren also an die Umweltbedingungen vor Ort angepasst und haben diese Genvarianten an heute lebende Europäer weitergegeben.

Oder noch kürzer: Genetisch sind wir mehr Jäger als Bauer.

Auch wenn das ziemlich zugespitzt ist. Denn: Genetisch betrachtet unterscheiden sich einzelne Menschen nur geringfügig voneinander. Auch nicht die Dunkelhäutigen von den Hellhäutigen, die Schwarzhaarigen von den Blonden.

Zudem haben die meisten dieser Unterschiede keine Auswirkungen auf das Erscheinungsbild oder den Fortpflanzungserfolg. Die Menschen konnten um den ganzen Erdball ziehen und sich dabei immer problemlos mit den Populationen vermischen, die schon vorher da waren.

Deswegen ist es ein umso kniffligeres Rätsel für die Forscher, welche Rolle die Anpassung an lokale Umweltbedingungen bei der unterschiedlichen Entwicklung von Populationen spielt.

Das Genom des 45.000 Jahre alten modernen Eurasiers aus Ust-Ischim (Ust‘-Ishim) im westsibirischen Russland hat Forschern vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie jetzt dabei geholfen, die wenigen genetischen Varianten zu untersuchen, die sich bei Afrikanern und Nicht-Afrikanern besonders häufig unterscheiden.

„Als wir das erste Mal von der Entschlüsselung des Ust‘-Ishim-Genoms hörten, waren wir sofort begeistert“, sagt Aida Andrés, die das Forscherteam leitete. „Dieses Individuum ist für uns so wertvoll, weil es Informationen über die genetische Beschaffenheit seiner Population enthält, die kurz zuvor aus Afrika ausgewandert war. Diese Menschen hatten noch keine Zeit, sich an die Umwelt in Europa und Asien anzupassen.“

Andrés’ Team entdeckte, dass etwa 70 Prozent der Genomvarianten, die sich zwischen Afrikanern und Nicht-Afrikanern besonders häufig unterscheiden, zufällige Veränderungen sind. Diese könnten aufgetreten sein, als eine eher kleine Population des modernen Menschen vor über 50.000 Jahren aus Afrika auswanderte. Weniger als 30 Prozent dieser Varianten traten während oder unmittelbar nach der Besiedlung Europas auf. Diese Varianten liegen besonders oft an solchen Stellen im Genom, die vermutlich Proteine kodieren oder die Genaktivität regulieren. Einige von ihnen kamen also möglicherweise gehäufter vor, weil sie ihren Trägern bei der Anpassung an lokale Umweltbedingungen Vorteile brachten.

Andrés sieht in dieser Forschung ein großes Potential: „Die Untersuchung sowohl moderner als auch alter Genome hilft uns dabei, lokale Umweltanpassungen besser zu verstehen. Die Genauigkeit von Studien wie dieser wird weiterhin zunehmen, je mehr alte Genome in hoher Qualität vorliegen“, meint Andrés. „Mit zusätzlichen Daten werden wir sehr wahrscheinlich ähnliche Muster auch auf anderen Kontinenten finden.“

Und dieses Muster lautet augenscheinlich: Unter neuen Umweltbedingungen bekommen bestimmte Gen-Varianten die Chance, sich zu entfalten, und helfen den eingewanderten Neulingen, sich im Lauf der Generationen an das neue Milieu anzupassen. Man darf nicht vergessen: Das war immer noch während der Eiszeit, der Weichselkaltzeit. Die Vergletscherung lag auf Teilen Englands und Norddeutschlands. An Landwirtschaft war da ganz gewiss nicht zu denken. Es wurde gejagt. Und wahrscheinlich waren die Jägerhorden auch sehr mobil. Und dem Neandertaler müssen sie auch begegnet sein. Noch ein paar tausend Jahre früher. Auch das belegt die DNA des Knochen aus Ust-Ischim.

Aber da sich die Forscher auch für die spätere Einwanderung der Ackerbauern aus dem Nahen und Mittleren Osten interessierten, haben sie auch das näher untersucht. Das Ergebnis: Sie konnten belegen, dass frühe Jäger und Sammler eine größere Anzahl der sich in Europa schnell ausbreitenden Genvarianten besaßen als frühe Bauern.

„Obwohl die Neolithische Revolution mit dem Ackerbau eine bis heute vorherrschende Lebensweise nach Europa brachte, verdanken Europäer die Mehrzahl der genetischen Anpassungen an ihren Lebensraum den Jägern und Sammlern“, sagt Felix Key. Die Jäger, die da vor 7.000 Jahren in Mitteleuropa unterwegs waren, waren also schon bestens an die Umwelt und den geringeren Sonnenstand angepasst. Aber die modernere Kultur brachten die Trecks der Menschen mit Ackerbaukenntnis aus Südosten mit. Erst mit ihnen wurden wir Ackerbauern und Viehzüchter und sesshaft.

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