Leipzigs Gehirnforschern geht es ja manchmal so: Sie untersuchen die Lösung für ein Problem für unser Gehirn – zum Beispiel die Folgen eines Schlaganfalls. Und dann stoßen sie auf eine Erkenntnis, die wieder mal bestätigt, wie sehr unser Denken tatsächlich von Mustern abhängt. Da sieht man direkt die kleinen Babys vor sich, wie sie mit aufmerksamem Blick Muster erkennen lernen. Oder halt: aufmerksamen Öhrchen.

Denn unser Sprechen beruht auf der Fähigkeit, akustische Muster zu erkennen. Erst kommt dieses Muster, dann erst kommen die Worte. Und bei einem Schlaganfall, wenn Teile des Sprachareals beschädigt sind, wird genau diese Hierarchie deutlich.

Was sich dann aber – aus ärztlicher Sicht – erst einmal so zeigt: Nach einem Schlaganfall treten bei den Betroffenen häufig Sprachprobleme auf, denn wichtige Areale ihres Sprachnetzwerkes im Gehirn wurden verletzt. In manchen Fällen können bestimmte sprachliche Fähigkeiten wiedererlangt werden, in anderen bleiben sie jedoch für immer verloren.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben nun eine mögliche Erklärung gefunden: Die Verletzung einiger Hirnbereiche kann gut kompensiert werden, die anderer Regionen hingegen nicht. Diese Erkenntnisse könnten nicht nur für die Therapie eines Schlaganfalls relevant sein, sondern bestätigen auch den hierarchischen Aufbau der Sprache.

Etwas, was uns beim täglichen Sprechen gar nicht mehr bewusst wird. Unser Gehirn ist beim Sprechen und Hören fortwährend mit komplexen Mustererkennungs-Programmen beschäftigt.

Miteinander zu sprechen ist eine komplexe Angelegenheit. Während wir uns unterhalten, müssen wir aus einer komplexen Flut an Lauten einzelne Wörter und Formulierungen erkennen. Gleichzeitig müssen wir uns eine Antwort überlegen und entsprechend die Bewegung von Lippen und Zunge planen, um diese auch hervorzubringen. Jeder einzelne Schritt, von der Analyse der Worte bis zur Produktion der Sprache, benötigt eine Reihe an Hirnarealen, die zusammenarbeiten. Bisher war jedoch kaum bekannt, wie diese Zusammenarbeit aussieht – oder was passiert, wenn eines der zentralen Areale verletzt ist.

Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben nun herausgefunden, was passiert, wenn zwei entscheidende Hirnareale für unser Sprachverständnis plötzlich inaktiv sind.

„Ist das Areal beeinträchtigt, in dem wir die Bedeutung der Sprache verarbeiten, der sogenannte Gyrus angularis, kann unser Gehirn das gut kompensieren. Dann springt das benachbarte Areal, der Gyrus supramarginalis, ein und verstärkt seine Aktivität. Dies ist erstaunlich, da dieses Areal eigentlich dafür zuständig ist, die rhythmische Struktur der Wörter zu verarbeiten“, erklärt Studienleiterin Gesa Hartwigsen. Durch diesen Dienst könne die Bedeutung von Wörtern beinahe genauso schnell erkannt werden als wenn das eigentlich zuständige Areal diese Aufgabe erfülle. „Ist jedoch das Areal zur Verarbeitung der rhythmischen Struktur der Wörter selbst gestört, kann sein Ausfall kaum kompensiert werden und seine Aufgaben werden von keinem anderen Teil des Sprachnetzwerkes übernommen.“

Das heißt, das hierarchisch darunter liegende Areal erkennt nach wie vor die Muster im Gesprochenen und kann daraus auch wieder die Entschlüsslung der Wortbedeutungen ableiten. Dem hierarchisch höher gelegenen Gehirnareal gelingt das nicht. Ihm fehlt das Grundmuster, dem es die Bedeutungen zuweisen könnte. Für uns wird es dann deutlich schwerer, die rhythmische Struktur eines Wortes zu verarbeiten, also seine Silben zu analysieren.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die Fähigkeit, einen gestörten Prozess durch einen anderen Hirnbereich zu kompensieren, davon abhängt, auf welcher Hierarchieebene die Sprache gestört wird: Handelt es sich um einen derart grundlegenden Prozess wie die Verarbeitung der rhythmischen Struktur eines Wortes kann er nicht einfach von anderen Bereichen übernommen werden. Komplexere Verarbeitungsschritte wie die Bedeutungsanalyse können jedoch von einfacheren Prozessen unterstützt werden, da sie auf diesen aufbauen. Allgemeinere Prozesse können dann unterstützend herangezogen werden um so die Verarbeitung aufrechtzuerhalten.

Aus diesen Erkenntnissen schließen Hartwigsen und ihr Team zweierlei.

„Wir können nun zum einen abschätzen, welche Schädigungen sich etwa nach einem Schlaganfall am ehesten kompensieren lassen und worauf es sich lohnen könnte, in Zukunft verstärkt die Therapie auszurichten, beispielsweise auf das Netzwerk, das dann einspringt“, erklärt die Leiterin der Forschungsgruppe Modulation von Sprachnetzwerken.

Aber noch viel fruchtbringender ist das Ergebnis natürlich für die Erkenntnis, wie Denken und Sprache in unserem Gehirn eigentlich ablaufen. Eben halt nicht mit simplen Schubladenzuweisungen.

Der Forschungsbefund konnte so die Hypothese vom hierarchischen Aufbau der Sprache bestätigen. Demnach bauen während der Verarbeitung von Sprache komplexe Schritte auf einfacheren auf. Bevor wir also die Bedeutung eines Wortes analysieren, verarbeiten wir also zunächst dessen Laute, erkennen also die Grundstruktur des Gesprochenen, dem dann über darauf aufsetzenden Schritt die inhaltlichen Zuweisungen folgen.

Untersucht haben die Neurowissenschaftler diese Zusammenhänge mithilfe der sogenannten transkraniellen Magnetstimulation, kurz TMS. Durch diese Methode kann die Aktivität einzelner Hirnregionen für kurze Zeit gestört und so die Reaktion des Gehirns auf diese Beeinträchtigung untersucht werden. Die TMS nutzt dazu Magnetfelder um mittels elektrischer Stimulation durch den Schädel einzelne Hirnbereiche gezielt zu hemmen oder zu erregen. In diesem Falle hemmte das Team um Hartwigsen bei 17 gesunden Studienteilnehmern für kurze Zeit jeweils das Sprachareal für die Analyse der Wortbedeutung oder der rhythmischen Struktur. Daraufhin verglichen sie die Leistungen der Teilnehmer in sprachlichen Aufgaben.

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