Für FreikäuferEigentlich müssten sich die kleinen Biester so langsam ertappt fühlen. Denn die Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig kommen ihnen und ihrer Neugier immer mehr auf die Schliche. Und Eltern, die sich aufmerksamst beobachtet fühlen von ihrem Baby, die dürfen nun gewiss sein: Sie werden tatsächlich beobachtet. Mit allem Ernst.

Denn die Kleinen merken sehr schnell, dass diese großen Wesen, die da ständig um sie herum sind, wichtig sind, dass ihr Treiben eine Bedeutung hat. Und dass es wichtig ist, herauszubekommen, was dieses Treiben bedeutet. Wenn die Sache mit dem Sprechen noch nicht so klappt, ist nonverbale Kommunikation das A und O.

Und was tun die kleinen Schlaumeier? Sie achten auf die Augen der Großen. Denn wo die Großen hingucken, da muss es etwas Wichtiges geben.

Wichtig auch in dem Sinn: Wichtiger als all das Andere drumherum.

Man muss sortieren lernen: Wichtiges, Unwichtiges und Teddy. So ungefähr.

Denn Babys sind ständig einer Flut an Eindrücken ausgesetzt. Um sich darin zurechtzufinden, orientieren sie sich sehr früh an anderen Menschen, die ihnen zeigen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung besonders wichtig ist. Bisher war jedoch nicht klar, welche Signale die Kleinen dabei vorrangig nutzen.

Das wollten die Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und der Universität Heidelberg herausfinden. Und siehe da: Es sind vor allem die Augen ihres Gegenübers, durch die die Kleinen sich leiten lassen. Besonders wichtig scheint dabei der charakteristische Hell-Dunkel-Kontrast aus dunkler Iris auf weißem Untergrund zu sein.

Paulchen entdeckt die Welt

Der kleine Paul*, gerade mal vier Monate alt, blickt gespannt auf den Bildschirm vor ihm. Von dort starren ihn zwei Augen an, zwei weiße Ellipsen mit jeweils einem schwarzen Punkt in der Mitte. Plötzlich wandert der Blick des Augenpaars zu einer Seite auf einen Stapel Bauklötzer. Paul folgt ihm aufmerksam. Die bunte Rassel zur anderen Seite schauen die künstlichen Augen hingegen nicht an. Auch Paul scheint ihr daher keine Aufmerksamkeit zu schenken. Als jedoch beide Gegenstände nochmals auf den Bildschirm aufflackern, scheint den Kleinen vor allem die Rassel zu fesseln. Sie ist offenbar neu für ihn.

„Entsprechend der sogenannten Neuheitspräferenz betrachten Babys die Dinge länger, die neu für sie sind. Hier ist es offenbar die Rassel, die vom Augenpaar und damit auch von den Babys zunächst nicht beachtet wurde“, so Studienleiterin Christine Michel. Die Bewegung der schwarzen Punkte scheint also die Aufmerksamkeit der Babys genauso gezielt auf Gegenstände in der Umgebung lenken zu können wie die Blickrichtung einer anderen Person.

Gelingt das jedoch nur bei Punkten, die wie echte Augen aussehen?

Um dies herauszufinden zeigten die Forscherinnen den kleinen Studienteilnehmern erneut zwei sich bewegende Punkte, die ihren „Blick“ zur Seite richten – diesmal jedoch waren es weiße Kreise auf schwarzem Untergrund. Es zeigte sich: Paul scheint diesen Kreisen weniger zielgerichtet zu folgen. Als auch hier beide Spielzeuge nach kurzer Unterbrechung nochmals auftauchen, schenkt er keinem der beiden eine höhere Aufmerksamkeit. Er scheint mit beiden Objekten gleichermaßen vertraut. Seine Aufmerksamkeit war also unabhängig von der Bewegungsrichtung der weißen Kreise zwischen beiden Dingen hin- und hergependelt.

„Die Kinder scheinen der Blickrichtung der schwarzen Punkte deutlich aufmerksamer zu folgen als denen der weißen Punkte“, erklärt die Neurowissenschaftlerin. „Sie lernen also besonders gut von schwarzen Punkten auf weißem Untergrund, die sich bewegen. Sie reagieren damit offenbar sensibel auf den Kontrast echter Augen.“

Jetzt noch die Frage mit den Augen

Bisher ist noch unklar, ob die Fähigkeit, Augen als Signalgeber zu erkennen, angeboren ist oder die Kinder sie in den ersten Monaten erlernen.

„Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass es von Geburt an eine Art Modul im Gehirn gibt, das genau auf die Blickrichtung anderer Leute anspringt. Es würde dann erkennen, wohin eine Person schaut und dadurch unsere Interaktion mit ihr beeinflussen“, erklärt Christine Michel. Bei Menschenaffen sei bereits nachgewiesen, dass sie diese speziell ausgerichteten Nervenzellen haben.

„Andere wiederum glauben, dass die Fähigkeit Blicken zu folgen, nicht von Anfang an vorhanden ist. Die Kleinen haben demnach mit der Zeit gelernt, dass es sich lohnt, Augen zu folgen“, fügt Michel hinzu. Sie hätten sich demnach im Laufe ihrer Entwicklung für den charakteristischen Hell-Dunkel-Kontrast sensibilisiert. Laut der Neurowissenschaftlerin müssen nun weitere Studien zeigen, welche Erklärung die richtige ist. Die Babys dieser Studie seien immerhin schon vier Monate alt.

Eines ist jedoch bereits sicher.

„Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig gerade in den ersten Monaten der direkte Blickkontakt im Umgang mit Babys ist. Schaut man sie bewusst an, bevor man ihnen etwas zeigt, kann man gezielt ihre Aufmerksamkeit darauf lenken“, erklärt Stefanie Hoehl, Senior-Autorin der dazugehörigen Publikation, die nun im renommierten Fachmagazin Scientific Reports erschienen ist. „Andere Wege hingegen, mit denen wir sie auf Dinge hinweisen können, verstehen Kinder erst deutlich später.“

So können sie etwa erst gegen Ende des ersten Lebensjahres dem Hinweis folgen, wenn ein anderer auf einen Gegenstand zeigt – statt auf ihn zu blicken.

*) Paulchens Name wurde geändert.

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