Eine Phase in der Schulzeit Leipziger Schüler interessiert Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian besonders: Die, in der sich die künftige Berufskarriere entscheidet. Und er findet bedenklich, dass 13 Prozent der Gymnasiasten nicht wissen, wohin es nach dem Abi gehen soll. "Mit den Mittelschülern sind wir da schon weiter", sagt er.

Aber die Statistik bestätigt ihn nicht. Denn sie fokussiert nur auf das 10. Schuljahr. Und da liegen die unschlüssigen Gymnasiasten mit 13 Prozent nur wenig über den unschlüssigen Mittelschülern (10 %). Der entscheidende Unterschied aber ist: Die Mittelschüler müssen sich genau in diesem Schuljahr für eine Lehre entscheiden. Die Gymnasiasten haben noch zwei Jahre Zeit. Und schon im 11. Schuljahr sinkt der Wert der Unentschlossenen dort fast auf 0, steigt zum Abitur hin wieder leicht an auf etwa 3 Prozent.

Was mit dem Nahziel der Gymnasiasten korrespondiert: 97 Prozent wollen tatsächlich ihr Abitur machen. Auch 21 Prozent der Mittelschüler wollen nach dem Realschulabschluss noch ihr Abitur nachholen. Wirklich mit niedrigeren Schulabschlüssen zufrieden sind an der Mittelschule nur 6 Prozent der Schüler.

Aber selbst die 21 Prozent sind nur ein Durchschnittswert. Denn noch etwas Erstaunliches hat die Befragung “Jugend in Leipzig” ans Tageslicht gebracht: Der Anteil der Mittelschüler, die einen höheren Schulabschluss anstreben, steigt ab der 7. Klasse kontinuierlich an – von 15 über 18 Prozent auf fast 40 Prozent in der 10. Klasse. Möglich, dass Vielen erst im Lauf der Schulzeit klar wird, wie wichtig ein höherer Schulabschluss für die gewünschte Berufskarriere ist – und dass zum Beispiel das Abitur keineswegs außerhalb ihrer Möglichkeiten liegt.

Der sächsische Eiertanz um die “Bildungsempfehlung” suggeriert, dass das Erreichen des Abiturs etwas mit Auswahl und Elite zu tun hat, dass sich irgendwo zwischen der 4. und der 6. Klasse eine unbedarftere Spreu vom klügeren Weizen trennt. Dass dabei der soziale Hintergrund der schulischen Erfolge völlig ausgeblendet wird, darüber hat die L-IZ im ersten Teil der Analyse berichtet.Dass dabei ebenfalls die moderne Komplexität der möglichen Berufskarrieren ausgeblendet wird, das zeigt der komplizierte Weg vieler Schulabgänger nach der Schule. Auch die Kinder, die das Abitur als Ziel haben, streben nicht unbedingt auch ein Studium an. Nur 51 Prozent der Gymnasiasten haben unbedingt vor, nach dem Abi zu studieren. Ein Wert übrigens, der im Lauf der Gymnasialzeit sogar sinkt. In der 11. Klasse wird kurzzeitig ein Spitzenwert der “Mindest-Studienabsichtsquote” von 53 Prozent gemessen – in der 12. Klasse sinkt er abrupt auf 45 Prozent ab.

Was nicht heißt, dass trotzdem nur so wenige studieren: Doch junge Menschen sind – zum Glück – flexibel, sie betrachten Lebenswege nicht als Einbahnstraßen. Das Studium ist für sie eine Möglichkeit – unter mehreren.

Möglich, dass das auch mit den ersten Erfahrungen mit den tatsächlichen Studienangeboten zu tun hat. Den sächsischen zumal. Warum soll man ein Studium riskieren, wenn die Wissenschaftsministerin nichts anderes will, als die Studienbedingungen zu verschlechtern?

Wobei das keineswegs Verblüffende ist: Kinder, deren Eltern beide vollzeitig berufstätig sind, nehmen öfter den Weg Richtung Studium (33 Prozent aller Schüler dieser Charge) als die von Kindern aus Elternhäusern, wo die Eltern arbeitslos sind (19 Prozent). Und Leipzigs Statistiker weisen mit Recht darauf hin, dass die Weichen dafür schon viel früher gestellt werden – beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe. Genau an dem Punkt, an dem Sachsens Kultusminister mit seiner verschärften “Bildungsempfehlung” gerade obsessiv Politik macht.

Wenn er nicht dumm ist, dann weiß er genau, wen er damit trifft und wem er da Knüppel zwischen die Beine schmeißt.Und wirklich so groß, wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Verunsicherung von Mittelschülern und Gymnasiasten kurz vor ihrem Schulabschluss nicht. Denn die meisten sind nicht unsicher, weil sie nicht wissen, was sie danach machen wollen, sondern weil sie sich zwischen verschiedenen attraktiven Wünschen entscheiden müssen.

Über 80 Prozent, in Mittelschulen sogar bis zu 90 Prozent der Schüler haben in der 8. Klasse alternative Berufswünsche. Der Wert sinkt dann, je näher der Schulabschluss kommt, weil sie sich dann für einen entscheiden müssen. Aber im Abschlussjahr der Mittelschule haben immer noch 81 Prozent der Schüler alternative Berufsvorstellungen, am Gymnasium sind es 73 Prozent. Und bei Letzteren gehört durchaus auch dazu, das Abitur dazu zu nutzen, nun in einen attraktiven Lehrberuf zu gehen.

Es gibt in der Auswertung der Studie auch ein ganzes Kapitel, das die unterschiedlichen Bildungsbiografien einmal in einem Schema zusammenfasst. Danach scheint es zwar auf den ersten Blick so, dass diejenigen am schnellsten Erfolg im Berufsleben haben, die ohne Zwischenstationen direkt die passende Ausbildung absolviert haben – und das bei Mittelschulabgängern genauso wie bei Abiturienten. Doch die Vielzahl teilweise gebrochener Bildungskarrieren zeigt eben auch, dass junge Leute auch Umwege in Kauf nehmen, um ihren Wunschberuf zu bekommen. Umwege auch aus finanziellen Gründen. Denn wenn schon der Weg aufs Gymnasium derart eng mit der finanziellen Situation im Elternhaus zusammen hängt, dann trifft das erst recht aufs Studium zu.

Das bildet sich sogar in den finanziellen Problemlagen der Schüler selbst ab. Finanzielle Probleme geben Förderschüler (17 %) und Berufsschüler (20 %) deutlich häufiger an als Mittelschüler (13 %) oder gar Gymnasiasten (10 %). Deutlich größer sind auch die Zukunftsängste dieser Jugendlichen und die Probleme mit Auseinandersetzungen mit den Eltern.

“Jüngere Schüler sind sorgenfreier als die älteren”, merken Leipzigs Statistiker noch an. Ein weiser Satz. Denn dass in der Schule die wichtigsten Weichen fürs Leben gestellt werden, auch das lernt man ja erst im Lauf dieser Zeit. Und je älter die jungen Leute, umso mehr erfahren sie, wieviel Verantwortung sie selbst für ihre Zukunft haben. “Jeder ist seines Glückes Schmied”, heißt es ja so schön lax. Das wissen die jungen Leute sehr genau.

Und sie denken sehr gründlich über ihren eigenen Einsatz nach. Und über die erstaunlich heftige Rolle, die dann auf einmal das Geld spielt.

Dazu mehr morgen an dieser Stelle.

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