Medien, die sich durch solide Recherchen und als Hüter rechtsstaatlicher Verfahren auszeichnen, liefern einseitige Berichte mit gravierenden Wissenslücken, und Journalisten_Innen stellen sich kritiklos auf die Seite einer enttäuschten Kandidatin (so etwa im Spiegel-Online vom 20.08.). Die Fakten sehen aber anders aus: An der Universität Leipzig ist nichts Außergewöhnliches passiert.

Bestimmte Kandidaten sind bei der Rektorauswahl des Hochschulrates der Universität Leipzig durchgekommen,  andere nicht. Ein ganz normaler Vorgang in einer Demokratie, oder? Denn bei jeder Bewerbung, egal welcher Art, gibt es ein Auswahlverfahren. Und erinnern wir uns daran, dass das erste Mal, dass der Hochschulrat eine Kandidatenliste aufstellte, im Jahre 2011 war, als sich zwei externe Professorinnen und drei interne Kandidaten bewarben, darunter die aktuelle Rektorin. Damals nahm niemand am Verfahren Anstoß, obwohl drei interne Kandidaten ausschieden (!). Also die jetzige Rektorin schied jetzt aus der Auswahl durch das gleiche Verfahren, wie sie 2011 gewählt worden ist; die Welt dürfte wohl in Ordnung sein. Außerdem gibt es für Amtsinhaber keinen automatischen Amtsbonus, aber auch keinen Amtsmalus. Hätte die amtierende Person eine solche Priorität, könnte das ganze Verfahren erspart werden. Das Gesetz besagt nicht, dass mindestens eine Person bzw. die amtierende Rektorin oder der amtierende Rektor aus der Stammuniversität kommen soll, sondern, dass mindestens ein(e) externe(r) Kandidat_In dabei sein soll.

Egal wie man dazu steht: dem Hochschulrat deshalb ein politisch motiviertes Komplott oder ein undemokratisches Vorgehen zu unterstellen, eine Kandidatin in die Irre geführt bzw. die zwei internen Kandidaten mit Absicht ausgeschlossen zu haben, oder die Kandidatin aufgrund ihres engagierten Eintretens für die Universität aus dem Amt jagen zu wollen, ist nicht akzeptabel und gehört in den Bereich der reinen und böswilligen Spekulation und Fantastereien vom interessierten Dritten. Um das klar zu sagen: Nicht das Vorgehen eines Rechtsorgans, das seinen gesetzmäßigen Auftrag ausübt und wahrnimmt, ist für die Universität schädlich, sondern die entstellenden und z. T. diffamierenden und irreführenden Stellungnahmen, die in den letzten Tagen kursierten. Zudem ist diese unangemessene Kritik eine Beleidigung der Mitglieder des Hochschulrates, der aus herausragenden und sehr erfahrenen Persönlichkeiten besteht und die im Rahmen eines Gesetzes ins Amt berufen wurden.

Was für ein Demokratieverständnis kommt hier zum Vorschein, rechtlich verankerten Entscheidungsgremien ihre Legitimation abzusprechen, wenn uns manche Entscheidungen nicht passen? Könnte man sich vorstellen – zu Ende gedacht – was das für Entscheidungen aus Fakultäten, Senaten und auch Rektoraten selbst bedeuten würde? Damit würden wir uns bei jeder als unliebsam empfundenen Entscheidung nicht nur stets vor Gericht treffen müssen, sondern wir würden demokratische Spielregeln unterminieren. Denn darum geht es eben, diese demokratischen Spielregeln zu respektieren, ob sie uns gefallen oder nicht. Das frühere Auswahl- und Wahlverfahren vor 2011 war sicher offen. Dieses bestand darin, dass sich so viele Kandidaten aufstellen konnten, wie es sich aus dem Zufall ergab, die dann im Konzil, also im Parlament der Universität, gewählt wurden. Man kann aber das jetzige restriktive Verfahren dennoch nicht als undemokratisch bezeichnen, wie manche es mit viel Verve tun, und man sollte es auch nicht dem Hochschulrat, sondern der damaligen CDU/SPD-Landesregierung anlasten.

Während in Gesellschaft und Politik die direkte Partizipation von Bürger_Innen in den letzten Jahren immer mehr ausgeweitet wurde, leistet sich die Universität rigide und intransparente Strukturen sowie Entscheidungsprozesse. Das ist anachronistisch!

Die Universität Leipzig darf nicht noch ein zweites Mal mit einem Vakuum an der Spitze leben, wie es bei der konfliktträchtigen Kanzlerwahl 2012/13 der Fall war. Bei der misslungenen Wahl des zweitwichtigsten Amts an der Universitätsspitze führte dieser Konflikt nicht nur zu Turbulenzen und negativen Schlagzeilen, dessen Höhepunkt wohlbekannt der Rücktritt von Ex-Generalbundesanwältin Monika Harms 2013 war, sondern diese Auseinandersetzung lähmte die Universität knapp zwei Jahre lang inmitten einer Verwaltungsreform. Die Universität kann sich nicht erneut eine solche Konfrontation mit dem Hochschulrat leisten, denn z. Zt. gibt es an der Alma mater etliche Baustellen und der sog. Umstrukturierungsprozess hat noch nicht richtig begonnen; es steht alles noch bevor. Nicht auszudenken wären die Auswirkungen, die ein Vakuum bei der Stelle des Rektors bzw. eines Interimsrektorats für die Universität hätte. Und genau hier sehe ich die große Verantwortung beider Gremien, dieses Vakuum mit der Kraft der Vernunft zu vermeiden, und das heißt, man muss sich mit dem Vorschlag des nun einmal korrekt durchgeführten Auswahlverfahrens befassen und es muss über die beiden vorgeschlagenen Kandidaten befunden werden. Man soll sich nicht mit dem, was der Hochschulrat nicht vorgeschlagen hat, befassen: das Verfahren steht nicht zur Debatte (dafür muss man sich eine andere Bühne suchen), sondern der Vorschlag der zwei ausgewählten Kandidaten.  Beide Gremien sollen nicht individuelle Karrierewünsche, sondern das Wohl der Institution in den Vordergrund stellen, diesem muss absolute Priorität eingeräumt werden. Es muss zudem mit aller Macht vermieden werden, dass durch öffentliche und interne unbedachte und parteiische Stellungnahmen ein Riss nicht nur durch Universität und Hochschulrat, sondern durch Institute und Fakultäten geht.
Als unsäglich betrachte ich die Politisierung des Verfahrens, nach dem Motto: hier wird jemand bekämpft wegen seines falschen Parteibuchs. Das ist an Absurdität und Verlogenheit nicht zu überbieten: zunächst, weil das Gesetz aus einer Schwarz-Roten-Koalition stammt; ferner weil auch das Rektorat bei der letzten Auswahl des gegenwärtigen Hochschulrats kein Zaungast war, und letztlich heutig regiert wieder eine Schwarz-Rote-Koalition; also, wie wollen es die Beteiligten gerne haben?

Wenn sich eine Staatsministerin öffentlich für den Verbleib der amtierenden Rektorin ausspricht,  dann unterminiert sie unfreiwillig das von ihrer Regierung geschaffene Gremium. Wenn sie sich „Kontinuität“ im Amt wünscht, frage ich mich, wieso sie nicht gleich den Hochschulrat abschafft und die Kompetenzen der Rektor_Innen-Wahl direkt an sich reißt; das wäre konsequenter und so könnten wir uns diesen aufgeregten Zirkus ersparen.

Fazit: Ich würde dringend dazu raten, demokratische Entscheidungen zu respektieren, die durch demokratische Instanzen wie den Hochschulrat vorgenommen worden sind, denn sonst kann jeder daherkommen und nach Gutdünken, nach Opportunismus und Karrierismus die Fundamente einer Demokratie untergraben. Dann kann man den Hochschulrat, den Senat und den erweiterten Senat, und warum nicht die Fakultäten, abschaffen und es den Kandidaten selbst überlassen, wie sie sich eine Wahl vorstellen und wie sie gewählt werden wollen.

Ich rate allen, einen kühlen Kopf zu bewahren und Professionalität walten zu lassen, v. a. Politikern, die am besten wissen müssten, dass Ämter immer auf Zeit sind und Kandidaturen immer und gerade in der Politik nach bestimmten parteiinternen Verfahren und nach den Regeln der parlamentarischen Demokratie erfolgen. Nichts anderes hat der Hochschulrat getan, als die Spielregeln anzuwenden. Übrigens: Könnten sich Politiker vorstellen, was los wäre, wenn sie jedes Mal, wenn Kandidaten durchfallen, verlangen würden, die Spielregeln zu ändern? Man sollte wirklich die Kirche im Dorf lassen, sich besser informieren und einen normalen Vorgang nicht für parteipolitische Scharmützel missbrauchen.

Wenn man mit dem jetzigen Verfahren nicht einverstanden ist, sollte man sich dringend in Dresden für eine Änderung mit Hilfe all jener Politiker einsetzen, die jetzt gegen den Hochschulrat poltern.

Will die Staatsministerin eine „Zerreißprobe“ (die schon jetzt im vollen Gange ist) an der Universität Leipzig wirklich vermeiden, sollte sie das von ihr als „sauber durchgeführt“ qualifizierte Verfahren unterstützen und nicht dafür plädieren, dass der Senat (der ohnehin kein Vetorecht hat) eine abweichende Empfehlung zum Vorschlag des Hochschulrates abgibt. Denn dann hätten wir nicht nur eine Zerreißprobe, sondern zugleich katastrophale Konsequenzen für die Universität Leipzig.

Ergänzung durch die L-IZ-Redaktion:

Die Fassung des sächsischen Hochschulgesetzes vom 14. 11. 2008, Ausschnitt zum Hochschulrat:

§ 86
Hochschulrat
(1) Der Hochschulrat gibt Empfehlungen zur Profilbildung und Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule. Er berücksichtigt die Hochschulentwicklungsplanung des Freistaates Sachsen nach § 10 Abs. 1 und die Zielvereinbarungen nach § 10 Abs. 2. Er ist zuständig für die
1.    Erstellung eines Vorschlages für die Wahl des Rektors,
2.    Beantragung der Abwahl des Rektors beim Erweiterten Senat,
3.    Bestätigung der Abwahl des Rektors durch den Erweiterten Senat,
4.    Erteilung des Einvernehmens zum Vorschlag des Rektors für die Bestellung des Kanzlers,
5.    Genehmigung der Entwicklungsplanung der Hochschule,
6.    Genehmigung des Wirtschaftsplanentwurfes,
7.    Formulierung von Grundsätzen für die Verwendung der Stellen und Mittel nach § 11 Abs. 6 Satz 2 und die Verwendung von Rücklagen nach § 11 Abs. 6 Satz 3,
8. Genehmigung des Jahresabschlusses,
9.    Entlastung des Rektorates,
10.  Stellungnahme zum Jahresbericht des Rektorates nach § 10 Abs. 4 Satz 4,
11.  Stellungnahme vor dem Abschluss von Zielvereinbarungen.
Er kann zur Einrichtung, wesentlichen Änderung und Aufhebung von Studiengängen Stellung nehmen. In Angelegenheiten des Satzes 3 Nr. 5, 6 und 11 ist
das Universitätsklinikum anzuhören, soweit seine Angelegenheiten berührt sind.
(2)  Der Hochschulrat besteht aus 5, 7, 9 oder 11 Mitgliedern. Die Anzahl regelt die Grundordnung. Bis zu einem Viertel dieser Anzahl, mindestens jedoch zwei Mitglieder des Hochschulrates, können Mitglieder oder Angehörige der Hochschule sein. Die Mitglieder sind Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft oder beruflicher Praxis, die mit dem Hochschulwesen vertraut sind. Die Vertreter der Hochschule gehören weder dem Senat noch dem Rektorat an. Die Mitglieder des Hochschulrates sind in ihrer Tätigkeit im Hochschulrat unabhängig und an Weisungen nicht gebunden.
(3)  Der Senat benennt weniger als die Hälfte der in der Grundordnung festgesetzten Anzahl der Mitglieder,  insbesondere alle Mitglieder oder Angehörigen der Hoch
schule nach Absatz 2 Satz 3. Die übrigen Mitglieder werden von der Staatsregierung benannt. Die studentischen Senatoren können dem Senat einen Vorschlag für die Benennung unterbreiten.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

>Fazit: Ich würde dringend dazu raten, demokratische Entscheidungen zu respektieren, die durch demokratische Instanzen wie den Hochschulrat vorgenommen worden sind

Schön, dass Sie es selbst auf den entscheidenden und grundfalschen Punkt bringen: Der Hochschulrat ist mitnichten eine demokratische Instanz. Im von der Redaktion beigefügten Ausschnitt aus dem Hochschulgesetz können Sie es selbst lesen: Die durch den Senat eingesetzten und damit demokratisch legitimierten Mitglieder sind von vornherein in der Minderheit. Die Landesregierung kooptiert dann von sich aus Mitglieder, die nie gewählt wurden. Dazu passt von Ihnen

>Zudem ist diese unangemessene Kritik eine Beleidigung der Mitglieder des Hochschulrates, der aus herausragenden und sehr erfahrenen Persönlichkeiten besteht

Die nicht der Universität angehörigen Mitglieder des Hochschulrats werden von der sächsischen Regierung aus einer wie auch immer gearteten und gefühlten Elite oder (Landes)Aristokratie rekrutiert. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Nicht die erfahrenen Persönlichkeiten werden beleidigt, sondern die Demokraten.

Herr de Toro, sobald es in Ihrer Fakultät wieder zu einem Berufungsverfahren für eine Professur kommt, werden Sie sich noch ganz schön umgucken, wie Ihnen der Hochschulrat hineinpfuschen wird.

Schreiben Sie einen Kommentar