Ab heute ist Adolf Hitlers „Mein Kampf“ im deutschen Handel in einer wissenschaftlich kommentierten Ausgabe erhältlich und damit auch für sächsische Schüler frei zugänglich. Der deutsche Lehrerverband hat schon angekündigt, dass im Unterricht mit dem Buch gearbeitet werden soll. Der LandesSchülerRat Sachsen aber hat so seine Zweifel am Einsatz des Buches.

Auch wenn Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth die Lehrer im Freistaat für pädagogisch gut vorbereitet hält, um dieses Buch theoretisch am Freitag sofort in den Unterricht aufzunehmen.

Der LandesSchülerRat Sachsen warnt vor so kurzfristigem Handeln. Ziel dürfe es nicht sein, diese fragwürdige Literatur sofort zum Thema in der nächsten Geschichtsstunde zu machen.

Die kommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“ sei, wie die Ministerin richtig feststellt, ohnehin nur für die höheren Klassenstufen – bestenfalls in der Oberstufe – als Lehrinhalt zu gebrauchen. Der Nationalsozialismus und seine Ideologie werden in Sekundarstufe I behandelt. Das sind die sächsischen Oberschulen und die Gymnasien bis zur 9. Klasse. Selbst in diesen Jahrgangsstufen ist das ein recht zäher Stoff.

Doch dort fehle vielen Schülern das ausreichende Hintergrundwissen, um das Buch vollumfänglich einschätzen zu können, schätzt der LandesSchülerRat ein. Schüler in Sekundarstufe II sollten aus seiner Sicht die pädagogisch begleitete Möglichkeit erhalten, sich mit wenigen annähernd verständlichen Auszügen zu beschäftigen.

Aber losgelöst von demokratischen Werten, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen, dürfe das nicht einfach ohne Einordnung in den historischen Kontext passieren. Die Lehrer müssten noch einmal die unmenschliche Ideologie und die Taten unter der Führung des Autors aufzeigen sowie aufkommende Fragen sensibel und mit Beispielen aus dieser Zeit beantworten, fordert der LSR. “Mein Kampf” dürfe nicht der zentrale Maßstab für die Behandlung von Nationalsozialismus und Rassenlehre sein, sondern sollte nur als optionales Anschauungsmaterial angesehen werden.

“Wir begrüßen, dass die wissenschaftlich kommentierte Version von ‘Mein Kampf’ nun auch im Geschichtsunterricht eingesetzt werden kann. Dennoch muss klar sein, dass dieses Werk allenfalls eine Ergänzung bei der Aufklärung zum Nationalsozialismus in der Oberstufe darstellen darf und sollte nicht, wie es Mecklenburg-Vorpommern plant, verpflichtend im Unterricht behandelt werden”, sagt der LSR-Vorsitzende Friedrich Roderfeld. “Eine Überhöhung von ‘Mein Kampf’ ist nicht zielführend, vielmehr sollte es als normale Quelle, die die Menschenverachtung des NS-Regimes noch einmal deutlicher macht, eingesetzt werden.“

Wobei die Frage ist: Ist der sächsische Geschichtsunterricht überhaupt auf die Behandlung des Buches eingerichtet? Oder verstärkt der Einsatz des Buches noch die eh schon starke Strapazierung des Themas Nationalsozialismus im Unterricht, ohne auch nur ansatzweise die Analyse zu erleichtern, warum es zum Untergang der Weimarer Republik kam? Ein Thema, das Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ansprach, die die Behandlung der Ausgabe im Schulunterricht ablehnt. “Jüdische Themen und Persönlichkeiten, die Deutschland bis 1933 maßgeblich mitgeprägt hatten, würden in den Schulen allenfalls ‘stiefmütterlich’ aufgegriffen, sagte die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland dem Handelsblatt”, zitiert die “Zeit”.

Und damit lenkt sie den Fokus auf eine auch medial typische Behandlung der Weimarer Republik, die das Aufkommen des Faschismus geradezu wollüstig auswalzt, die Verteidigung der Republik aber kaum beleuchtet.

Es wird eine Menge Bohei um Hitlers Buch gemacht, das auch kritische Zeitgenossen schon als schwer lesbar, geschwollen und extrem redundant einschätzten.

Dabei ist ein anderes Buch wesentlich hilfreicher, die Zeit und den “tiefen Fall” der selbsternannten “Dichter und Denker” zu begreifen: Heinrich Manns “Der Untertan”. Wird das Buch überhaupt noch in deutschen Schulen gelesen? Oder kommen die Schüler gar nicht dazu, weil sie sich wieder stundenlang mit Hitler und Konsorten beschäftigen müssen?

Aber auch ein anderes Buch ist deutlich besser geeignet, die Funktionsweise des ganz gewöhnlichen deutschen Faschismus zu begreifen: Victor Klemperers “Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten”. Das sind die Tagebuchaufzeichnungen des Philologen aus der Zeit von 1933 bis 1945, in denen er anhand seiner alltäglichen Erlebnisse schildert, wie Faschismus Menschen ausgrenzt, entrechtet, entmündigt, enteignet und am Ende ganz vernichten will. Klemperer hat das überlebt. Und er hätte, wenn er von der Neuauflage von “Mein Kampf” erfahren hätte, wohl scharf formulierte Sätze über eines der miserabelsten Bücher der deutschen politischen Literatur geschrieben.

Klemperers Tagebücher sind dieser Tage als zweibändige Ausgabe im Aufbau Verlag erschienen. Und die schlichte Wahrheit ist: Lehrer, die diese Tagebücher im Unterricht verwenden, lehren ihre Schüler mehr Wahrheit über das faschistische System als der ganze Hitlersche Rednerduktus auf Papier.

Die kommentierte Ausgabe von “Mein Kampf” wird vom Institut für Zeitgeschichte in München herausgegeben.

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