Die Welt ändert sich. Und eigentlich müsste sich auch das Bildungssystem ändern, moderner werden, flexibler, poly-technischer. Aber als Sachsen 1990 das westdeutsche Bildungssystem aus den 1970er Jahren übernahm, sorgte es auch dafür, dass Bildungsentscheidungen alternativloser wurden und die Regelschule dramatisch an Qualität und Akzeptanz verlor.

Das ist nicht nur ein sächsisches Problem. Auch wenn Sachsen wie kein anderes Bundesland meisterlich verstand, die virulenten Probleme seines Bildungssystems zu verschleiern und mit diversen PISA-Test-Ergebnissen und Bertelsmann-Rankings bunt zu malen. Nur lassen sich damit Eltern nicht für dumm verkaufen, die wahrscheinlich die wesentliche treibende Kraft sind, wenn Kinder mit allen Mitteln dazu gebracht werden, unbedingt das Abitur zu machen.

Die Sache ist komplexer, keine Frage. Viele der attraktiven Berufe der Gegenwart sind ohne ein Hochschulstudium nicht zu haben. Die Digitalisierung und Technisierung unserer Arbeitswelt haben ihre Zwänge, die auch von Wirtschaftskammern nicht ignoriert werden können, auch wenn sie immer wieder gern beklagen, dass ihnen die Absolventen von Oberschulen verloren gehen, „weil zu viele junge Leute studieren“.

Dahinter steckt dann ein sehr statisches Verständnis von Bildung. Und natürlich auch ein Glauben an die Lieferqualität der sächsischen Oberschule, das natürlich regelmäßig enttäuscht wird, wenn die jungen Leute nach ihrer Null-Bock-Tour durch diese eher dritt- als zweitklassige Schule im Arbeits- und Ausbildungsleben aufschlagen: demotiviert oft, ohne das Rüstzeug, sich zielstrebig in einem Beruf zu professionalisieren.

Dabei muss Schule weder demotivierend sein noch deklassierend, wie es Sachsens Schulsystem leider ist mit seinen früh greifenden und letztlich fatalen Auslesemechanismen.

Logisch, dass sich Eltern sagen, dass sie ihr Kind bei der eigentlich einzigen sich bietenden Gelegenheit auf die höhere Schule bringen müssen. Koste es, was es wolle. Das Gymnasium wird auch zum Ersatzschultyp für alle Kinder, die zwar gute Bildungsleistungen bringen, aber eigentlich gar keinen Beruf mit Hochschulbildung anstreben.

Und das betrifft mindestens ein Viertel der sächsischen Gymnasiasten.

Was dann auch die neuesten Zahlen aus dem Landesamt für Statistik zeigen.

Das teilt nämlich jetzt mit: „Im Jahr 2015 verließen 13.581 Absolventen die Schule mit allgemeiner bzw. Fachhochschulreife. Das waren 1.438 Schülerinnen und Schüler bzw. knapp 12 Prozent mehr als 2014. Daraus ergibt sich ein neuer Höchststand der Studienberechtigtenquote von 48,0 Prozent.“

Wobei sich diese Quoten sachsenweit drastisch unterscheiden. In den Großstädten Dresden und Leipzig liegt sie sogar deutlich über 50 Prozent, in ländlichen Regionen oft nur bei 30 Prozent. Und in den Großstädten selbst sind die Unterschiede noch viel krasser, da reichen die Quoten von über 80 Prozent in gut situierten Stadtteilen bis unter 20 Prozent in Problemstadtteilen. Da geht es also schon lange nicht mehr um die eigentliche Leistungsfähigkeit der Kinder, sondern schlicht um die Fähigkeit des elterlichen Haushalts, das Kind auf höhere Bildungseinrichtungen zu bringen.

Für die Regierung eines gut verwalteten Landes wären solche Zahlen Alarmsignale. Aber dass Sachsen ein gut verwaltetes Land ist, darf man bezweifeln.

Der Trend, dass immer mehr Kinder aufs Gymnasium gehen, ist schon seit ein paar Jahren  sichtbar. Die diversen Versuche der letzten CDU/FDP-Landesregierung, die Zugangskriterien zu ändern, haben die Entwicklung nur kaschiert, aber nichts dran geändert. Und auch die Umtitelung der Mittelschule zur Oberschule war nur kosmetischer Art: Die wesentliche Modernisierung des Bildungssystems wurde nicht mal angepackt.

Und so stieg 2015 sowohl die Zahl der Schulabgänger mit allgemeiner Hochschulreife um 14,5 Prozent auf 11.173 als auch die Zahl der Absolventen mit Fachhochschulreife auf 2.408 (2014: 2.382).

Und dass da etwas fehlt im sächsischen Bildungssystem, das wird deutlich, wenn sich ein Viertel aller Abiturienten eben doch nicht entschließt, ein Studium aufzunehmen.

Das Statistische Landesamt dazu: „Nach wie vor entscheiden sich nicht alle Studienberechtigten für ein Studium an einer  Hochschule. Aus dem Absolventenjahrgang 2010 begannen gut 78 Prozent der sächsischen Studienberechtigten mit allgemeiner Hochschulreife bis 2014 ein Studium an einer Hochschule in Deutschland. Von denjenigen mit Fachhochschulreife waren es lediglich knapp 53 Prozent. Dabei weisen Frauen eine niedrigere Studierbereitschaft auf als Männer. Zwei Drittel der Frauen aus der Absolventenkohorte 2010 entschieden sich bis 2014 für ein Studium. Bei den Männern waren es drei Viertel.“

Trotzdem ist die Quote der jungen Menschen, die ein Studium abschließen, recht stabil und betrifft fast ein Drittel jedes Jahrgangs.

So betrug im Jahr 2014 der Anteil der Absolventen sächsischer Hochschulen an der altersspezifischen Bevölkerung 31,6 Prozent und stieg somit wieder leicht an, nachdem die Absolventenquote in den vergangenen zwei Jahren (leicht) rückläufig war. „Im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern wies der Freistaat Sachsen die höchste Absolventenquote auf und lag nur knapp hinter dem Bundesdurchschnitt von 31,7 Prozent“, betonen die Landesstatistiker.

Die komplette Mitteilung des Statistischen Landesamtes.

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