Sachsen könnte ein liebenswertes Land sein. Auch ein modernes. Eines, in dem Lehrer geachtet werden und Schüler gern zur Schule gehen. Aber das alles ist Sachsen nicht. Und daran sind weder Lehrer noch Schüler schuld, sondern eine Regierung, die schon Kinder teilt in Erwünschte und Unerwünschte. „Null Bock“ hat immer eine Ursache – und die heißt immer: Arroganz und Ignoranz. Jetzt hat mal ein Gericht dieser Art Politik widersprochen.

Die „Sächsische Zeitung“ berichtete darüber am Montag, 29. August. Das Verwaltungsgericht Dresden „hat im Eilverfahren den Eltern einer Schülerin Recht gegeben, die die Bildungsempfehlung ihrer Tochter angefochten haben, heißt es da. „Das Verwaltungsgericht beruft sich auf das sächsische Schulgesetz. Darin heißt es, über den Bildungsweg nach der Grundschule entscheiden die Eltern auf Empfehlung der Schule. Tatsächlich entscheidet die Schule so gut wie allein auf Basis der Noten. (…) Den Maßstab, wer zugelassen werde und wer nicht, müsse der parlamentarische Gesetzgeber festlegen. Das heißt, nicht die Kultusbürokratie, sondern der Landtag …“

Die Bildungsagentur hat gleich Beschwerde eingelegt gegen den Beschluss und damit bestätigt, dass das Gericht Recht hat: In Sachsen entscheiden nicht die Eltern, ob ihr Kind ein Gymnasium besucht – obwohl das genau so im Gesetz steht – sondern die Bürokratie. Augenscheinlich nicht einmal bezweifelnd, dass das ihr alleiniges und gutes Recht sei.

Deutlicher wurde lange nicht gezeigt, wie sich in Sachsen der Verwaltungsapparat selbst zum Souverän macht und über die Schicksale seiner jüngeren Bürger mit einer Arroganz entscheidet, die schon beängstigen darf.

Und da wird dann auch deutlicher, wie sehr dieser bürokratische Apparat das ganze Schulsystem zu einem Zerrbild gemacht hat. Dass auch ein paar vom Elitedenken besessene Landtagsfraktionen in diesem Spiel mitgemischt haben, keine Frage. Irgendwann, nach der 100. Verhandlungsrunde über den richtigen Notendurchschnitt für eine „Bildungsempfehlung“, schläft auch das wacheste Gehirn ein und niemand fragt mehr, wie eigentlich Noten entstehen und warum sich Bürokraten anmaßen, Kinder in einem Alter auseinanderzudividieren, in dem viele ihr Leistungspotenzial noch gar nicht entfaltet haben und selbst die benotenden Lehrer oft noch nicht wissen, wie leistungsstark das Kind wirklich ist – oder ob es in seinem Leben immer nur bei der Entfaltung seiner Möglichkeiten behindert wurde.

Und Sachsen ist ein Land, das eher wie ein Jobcenter tickt: Viel fordern, viel sanktionieren – aber bei der Förderung knausern. Und dann Haltungsnoten verteilen, die über ganze Lebenswege entscheiden.

Der Gerichtsbeschluss signalisiert auf jeden Fall, dass solche Entscheidungen eigentlich in die Hände der Eltern gehören. Ganz abgesehen davon, dass eine so frühe Entscheidung vielen Kindern geradezu den Ansporn entzieht, sich wirklich um das für sie Mögliche zu bemühen.

Das längere gemeinsame Lernen, so kommentiert es die bildungspolitische Sprecherin der Linken, gehört jetzt endlich auf die Tagesordnung.

„Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden, dass für eine Bildungsempfehlung ans Gymnasium nicht allein der Notendurchschnitt, sondern auch das familiäre und soziale Umfeld der Schülerinnen und Schüler in Betracht zu ziehen ist, begrüßen wir“, betont sie. „Das Gericht stärkt das Recht der Eltern, die über die Schullaufbahn ihres Kindes nach der vierten Klasse zu befinden haben. Auch die Kritik des Verwaltungsgerichts daran, dass die Kriterien für eine Bildungsempfehlung von der jeweiligen politischen Regierungsmehrheit abhängig gemacht worden sind, hält die Linksfraktion für zutreffend. Die Regierungskoalition könnte in ihrer Schulgesetznovelle für eine ‚präzise Zugangsregelung‘ zum Gymnasium sorgen, wie sie vom Gericht gefordert wird.“

Aber das würde nur das bestehende Auslese-System ein wenig verbessern. Es würde nicht den Grundfehler beheben, der sächsische Schüler schon frühzeitig in Gewinner und Verlierer teilt. Da hilft alles Schönreden der Oberschulen nichts. Eine Aufsplittung der Bildungswege macht erst dann wirklich Sinn, wenn die Kinder selbst schon eine greifbare Vorstellung von dem haben, was sie im Leben einmal werden wollen. Dann erst haben sie entweder auch den Antrieb, am Gymnasium die Hochschulreife zu erwerben oder in einer Oberschule (die deutlich praxisnäher und leistungsfähiger werden muss) einen zielgerichteten Weg in die Berufsausbildung zu gehen. Ohne das Gefühl, dass ein Weg besser als der andere ist.

Aber genau das Gefühl wird in Sachsen vermittelt.

„Nach unserer Auffassung wäre es allerdings weitaus sinnvoller, die frühzeitige Trennung der Schülerinnen und Schüler nach der vierten Klasse und deren Aufteilung auf unterschiedliche schulische Entwicklungsmilieus aufzuheben und das längere gemeinsame Lernen endlich auch in Sachsen einzuführen“, findet Cornelia Falken. „Das fordern inzwischen auch der Landeselternrat und die Handwerkskammer Chemnitz. Andere Länder haben das gegliederte Schulwesen längst durch ‚integrierte Systeme‘ ersetzt und arbeiten erst ab der Sekundarstufe II mit Formen der äußeren Differenzierung. In internationalen Vergleichsstudien schneiden sie deswegen nicht schlechter ab.“

Das wäre dann wirklich mal eine modernere Schule, die sich vom graubärtigen Elite-Denken des 19. Jahrhunderts löst. Und die die Schüler vor allem dazu animiert, ihre Talente wirklich zu entwickeln – das trauen sich die meisten ja nicht mal mehr.

Aber einen Antrag der Linksfraktion mit der Aufforderung an die Staatsregierung, das „Längere gemeinsame Lernen ins Schulgesetz auf(zu)nehmen“ (Drs 6/4779), haben CDU und SPD jedoch jüngst erst abgelehnt.

Der abgelehnte Antrag der Linksfraktion. Drs. 4779

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