Es ist nicht nur hochgradig peinlich, was Sachsens Kultusministerin zum Schuljahrsbeginn 2016 eingestehen musste, es ist das Eingeständnis eines systematischen Versagens. Dem Freistaat Sachsen gelingt es nicht mehr, genügend Lehrer für den Schuldienst einzustellen. Und das liegt nicht - wie Brunhild Kurth so selbstsicher erklärte - am Arbeitsmarkt, auf dem „wir nicht die Lehrerinnen und Lehrer, die wir benötigen – weder in Quantität noch in Qualität finden.“

Das würde einen freien Lehrerausbildungsmarkt voraussetzen, in dem jungen Leute sich die besten pädagogischen Hochschulen aussuchen können und sich dann in den Ländern bewerben, wo ihnen die Arbeitsbedingungen am besten gefallen.

Aber so einen Arbeitsmarkt für Lehrer hat Deutschland gar nicht. Auch wenn viele Bundesländer die in Sachsen ausgebildeten Lehrer in den vergangenen Jahren mit Kusshand genommen haben.

Tatsächlich ist jedes Bundesland für die Ausbildung seines Lehrernachwuchses selbst verantwortlich, nicht nur, weil sich Inhalte und Anforderungen des Schulwesens von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, sondern weil jedes Bundesland normalerweise genau weiß, welche Anzahl Lehrer mit welcher Qualifikation es in welchem Schuljahr braucht.

Das wusste auch die sächsische Regierung einmal. Zu Zeiten, als sie die Lehrerausbildung ernst nahm und die notwendigen Kapazitäten sicherte. Das waren Zeiten, als kein Kultusminister auf die fast unverschämte Idee gekommen wäre, zu behaupten, man fände nicht genug Lehrerinnen und Lehrer „weder in Quantität noch in Qualität“. Das ist eine ganz offizielle Gnadenlosigkeit, nachdem gerade Sachsen über Jahre alle Kritik einer hochkompetenten Opposition ignoriert hat an ihrer Lehrereinstellungspolitik.

Denn dass Sachsen 1.400 Lehrer einstellen mĂĽsste im Jahr 2016, das war schon lange klar. Schon 2009 war klar, dass Sachsen wieder mehr Lehrer einstellen muss. DafĂĽr waren die Kontingente in der Pädagogenausbildung geschaffen worden. Die angehenden Lehrer waren da – und mussten dann Jahr um Jahr erleben, dass der Freistaat gnädigerweise nur die Hälfte von ihnen eingestellt hat. Trotz steigendem Unterrichtsausfall in etlichen Regionen.

Die Lehrer, die Kultusministerin Brunhild Kurth heute fehlen, die haben sie und ihr Vorgänger Roland Wöller schlicht nicht eingestellt. Die sind abgewandert in andere Bundesländer, obwohl sie gern in Sachsen geblieben wären. Roland Wöller ist 2012 genau deshalb zurückgetreten, weil er diese absehbar desaströse Sparpolitik nicht mehr mittragen wollte. Denn in Sachsen entscheidet ja nicht der Kultusminister über Neueinstellungen, sondern der Finanzminister. Und alle Haushaltspläne standen unter dem 2009 von CDU und FDP vereinbarten Personalkürzungsverdikt. Daran hat sich mit Brunhild Kurth nichts geändert.

Sie erntet nun, was über sechs Jahre gesät wurde. Denn für das Lehrerdesaster des Jahres 2016 ist nun einmal eindeutig die CDU/FDP-Regierung von 2010 zuständig. Niemand sonst. Alle Korrekturen, die mit dem Regierungswechsel 2014 vereinbart wurden, greifen frühestens 2020.

Und da droht die nächste Katastrophe.

Darauf weist Claudia Maicher, hochschulpolitische Sprecherin der GrĂĽnen-Fraktion im Landtag, hin.

Denn: Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Sachsen ist nur fĂĽr drei Jahre abgesichert.

„Der Anfang des neuen Schuljahres offenbart das jahrelange Versagen der CDU-geführten Staatsregierung. Es gibt viel zu wenig neue Lehrerinnen und Lehrer, dafür Unmengen Seiteneinsteiger. Statt aber aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Lehramtsausbildung zu stärken, fährt die Staatsregierung weiter auf Sicht“, kritisiert Claudia Maicher. „Die Staatsregierung weigert sich, die Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer auf eine verlässliche Grundlage zu stellen. Stattdessen gibt es das Bildungspaket Sachsen 2020, aus dem knapp 41 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse gestemmt werden sollen. Allerdings wird dieses Paket durch Bundesmittel finanziert, die spätestens 2020 auslaufen werden.“

Das ist noch immer die alte, durch neoliberales Denken geprägte Regierungspolitik, die wichtige Ausbildungsbereiche in Sachsens Hochschulen mit befristeten Arbeitsverhältnissen am Leben erhält. Was das nächste Risiko gleich mit einschließt: Dass Sachsen für so eine Art Pädagogenausbildung auch nicht die besten Didakten und Dozenten bekommt. Und die sie bekommt, sitzen derweil schon wieder auf gepackten Koffern, bereit, für ein besseres Arbeitsverhältnis umzuziehen. Mit Sicherung von Lehrerausbildung hat so ein verkniffenes Denken nichts zu tun.

„Das ist seit Jahren bekannt, entsprechend sind auch die Sonderzielvereinbarungen zum Lehramt nur bis Ende des Jahres 2020 befristet. Beschäftigungsverhältnisse, die nur für drei Jahre oder sogar weniger finanziert sind, sind das Ergebnis. Solche kurzen Vertragslaufzeiten sind schon bei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen ein Problem. Aber wie viele Hochschullehrer werden dem Ruf auf eine solche Stelle folgen oder zumindest nicht gleich wieder gehen, sobald sich eine attraktive Stelle auftut?“, fragt Maicher. „So bekommen wir das Problem unbesetzter Lehrstühle nicht in den Griff. Die negativen Erfahrungen mit den Professuren im Grundschullehramt an der TU Chemnitz haben das deutlich gezeigt.“

Dass ausgerechnet Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) diesen Flickschusterkurs mitfährt, verwundert die Landtagsabgeordnete der Grünen dann doch.

„Die Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange scheint auf einen wundersamen Rückgang der Schülerzahlen zu hoffen. Wie es zum Beispiel mit der Lehramtsausbildung an der TU Chemnitz nach 2020 weitergehen soll, will sie tatsächlich erst im März 2020 vereinbaren. Auch alle anderen Stellen, die aus dem Bildungspaket 2020 finanziert werden, werden ab dem Jahr 2020 abgebaut“, kommentiert Claudia Maicher das Ergebnis ihrer Anfrage an die Staatsregierung, in dem diese Zahlen stehen. „Wer dann noch auf den Stellen beschäftigt ist, muss in den Stellenplan der Hochschulen übernommen werden. So steht es im Doppelhaushalt und darüber wird in den anstehenden Verhandlungen zu reden sein. Dass die nach den Kürzungsrunden der letzten Jahre für so etwas keinen Spielraum mehr haben, scheint die Ministerin nicht zu interessieren.“

In ähnlicher Weise hat Claudia Maicher die Ministerin auch schon im April kritisiert, als aus einer anderen Anfrage klar wurde, dass die Lösung für die Lehrerausbildung völlig ohne Erklärung auf später verschoben wurde. Gerade das Schweigen darüber, wie die Anschlussfinanzierung gefunden werden sollte, machte deutlich, dass die zähen Kämpfe mit einem unerbittlichen Finanzminister immer noch weitergehen und sich auch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst beim Versuch, eine nachhaltige Lösung zu bekommen, die Zähne ausbeißt.

„Der Bedarf an voll ausgebildetem Lehrpersonal wird Sachsen noch über Jahre in Atem halten. Es wird endlich Zeit, dass die Staatsregierung aufhört auf das Gegenteil zu hoffen“, sagt Claudia Maicher. „Die Ausbildung neuer Lehrerinnen und Lehrer ist eine Daueraufgabe und muss auch dauerhaft finanziert sein. Die Hochschulen, die Studierenden, die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern brauchen Verlässlichkeit. So könnte in Sachsen auch mal wieder ein Schuljahr ohne Katastrophenmeldungen zum Lehrpersonal starten. Und das wäre wirklich mal eine angenehme Abwechslung.“

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