Die Stadtratsanfrage zu den Schulpflichtverletzungen, die jetzt vom Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport beantwortet wurde, stammt nicht aus einer der konservativen Fraktionen im Leipziger Stadtrat, sondern aus der SPD-Fraktion. Das Thema kocht immer mal hoch, wenn eine große Zeitung damit die Gemüter wieder in Wallung bringt: Schulschwänzer mag man ja in dieser Stadt so gar nicht.

Und Schulschwänzen ist eine Ordnungswidrigkeit. Die Schulen müssen das – unentschuldigte – Fehlen der Schüler anzeigen, das Ordnungsamt muss reagieren – und tut das in der Regel mit Bußgeldern. Und wenn der bürokratische Verfahrensweg keine Änderung bringt, dann wird die Polizei eingeschaltet, um die betroffenen Kinder zwangsweise in die Schule zu bringen.

„Eine statistische Erfassung wird dazu nicht geführt. Nach Auskunft der Polizei wird geschätzt, dass es sich um insgesamt 10 bis 20 Fälle handelt, in denen Schüler/-innen von der Polizei zur Schule gebracht wurden“, hat das Sozialdezernat in diesem Fall gegenüber dem Stadtrat Enrico Böhm (parteilos) gerade Auskunft gegeben.

Was noch nicht erklärt, ob Leipzig ein besonderes Schulschwänzer-Problem hat. Auch wenn die Zahl der Anzeigen nach Auskunft des Ordnungsdezernats im Lauf der Jahre gestiegen ist – von 1.338 im Jahr 2012 auf 1.440 im Jahr 2013 und dann auf 1.787 im Jahr 2014. 2015 ist die Zahl dann wieder gesunken auf 1.653, obwohl die Zahl der schulpflichtigen Kinder weiter gestiegen ist – von 41.326 auf 43.472.

Das unerlaubte Fernbleiben ist also eher ein Thema für eine kleine Minderheit. Und die Zahl der Anzeigen ist ja nicht identisch mit der Zahl der betroffenen Jugendlichen. Besonders an Oberschulen und Berufsschulen war die Zahl der Anzeigen vergleichsweise hoch – bei Grundschulen und Gymnasien waren sie eher marginal.

Und auch das Ordnungsdezernat betont, dass der Griff zu Bußgeldern, Polizeieinsatz oder gar dem ab September 2016 wirksamen Zwangsgeld eher nur Teil eines ganzen Maßnahmekatalogs sind, mit dem Jugendliche in Leipzig bei ihrem Bildungserfolg unterstützt werden sollen. Zwang ist da nicht wirklich ein geeignetes Mittel.

Im Dezember hatte der Stadtrat – auf Antrag der Grünen – schon beschlossen, einen neuen Maßnahmeplan zu entwickeln, der direkt auf den Ergebnissen des jährlich veröffentlichten Leipziger „Bildungsreports“ fußt. Darauf verweist das Ordnungsdezernat auch: „Das in der Antwort V/F 647 angeführte ‚Handlungskonzept zur Sicherung des Schulerfolgs‘ enthält Maßnahmen, die in den laut Ratsbeschluss (VI-A-01610) zu erstellenden ‚Maßnahmenkatalog zur Förderung von Chancengerechtigkeit und Sicherung von Schulerfolg‘ mit übergehen.“

Man sieht, dass auch in der Verwaltung eine Neubewertung passiert. Denn Kinder schwänzen ja die Schule meistens nicht aus lauter Verweigerung gegen eine sinnvolle Bildung, sondern weil sie in diversen sozialen und familiären Notlagen stecken und/oder ein stabilisierendes familiäres Umfeld fehlt. Hier wird eigentlich sichtbar, wie Bildungschancen nicht nur durch eine ausreichende schulische Ausstattung, sondern auch durch den familiären Hintergrund bestimmt werden. Da nutzen Zwangsmaßnahmen nicht die Bohne. Den Kindern muss in der Regel geholfen werden – auch dann, wenn z. B. Mobbing in der Schule einer der Auslöser für die „Schulverweigerung“ ist, ein Thema, das in konservativen Problemdiskussionen fast nie vorkommt. Da geht man von funktionierenden bürgerlichen Wohlstandsfamilien aus, in denen die Kinder problemlos Markenklamotten und technische Spielzeuge bekommen und bei Schulproblemen bezahlte Nachhilfe kriegen.

Aber der neue Maßnahmekatalog liegt noch nicht vor.

Und er kann auch nichts daran ändern, dass die Lehrerausstattung in sächsischen Schulen eine Katastrophe ist. Was dann wieder den Regierenden scheinbar keine Kopfschmerzen macht, wie ein überproportional heruntergespartes Schulsystem in einer Gesellschaft wirkt, in der sowieso schon ein wesentlicher Teil der Familien mit massiven sozialen und finanziellen Problemen zu kämpfen hat. Da kann man nicht darauf rechnen, dass diese Familien auch noch die Null-Bock-Ergebnisse der Staatsregierung abpuffern können.

Die Antwort auf die Anfrage der SPD-Fraktion zu Schulverweigerern in Leipzig.

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