Am Freitag, 28. Oktober, veröffentlichte die Kultusministerkonferenz die Ergebnisse des jüngsten bundesweiten Schülervergleichs. Sozusagen ein fachspezifisches PISA für Deutsch und Englisch. Die Bundesrepublik hat – in Anlehnung an PISA – spezifische Bundesvergleiche entwickelt. Dazu gehört auch der „IQB-Bildungstrend 2015. Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich“. Sachsen lag mal wieder vorn. Jubel gab’s auch gleich.

„Sachsen liegt weiter bei der Bildung vorn“, kam die Freude postwendend aus der CDU-Fraktion. „Die Neuntklässler im Freistaat erreichten beim Ländervergleichstest IQB mit Bayern und Schleswig-Holstein Spitzenplätze. Sachsen hat sich in mehreren Bereichen deutlich verbessert. Im Vergleich zu 2009 haben deutlich mehr Schüler die Mindeststandards erreicht. Im Fach Deutsch belegt Sachsen sogar den ersten Platz.“

„Die kontinuierliche Bildungspolitik der CDU in Sachsen hat sich deutlich bewährt! Von allen Bundesländern haben unsere Schüler den größten Sprung nach vorn gemacht. Das zeigt, welche hervorragende Arbeit unsere Lehrer in den letzten Jahren geleistet haben“, erklärte der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Lothar Bienst. „Der bundesweite Vergleich beweist, dass 26 Jahre CDU-Schulpolitik erfolgreich ist. Es zeigt auch, dass es sich lohnt in Unterrichtsqualität statt ideologischer Strukturdebatten zu investieren.“

Im deutschlandweiten Vergleich hat Sachsen den höchsten Anteil an Schülern, nämlich 58,5 Prozent, die den Regelstandard in Deutsch beim Lesen erreichen. Gleichzeitig ist Sachsen das Land mit dem geringsten Schüleranteil (14,1 Prozent), der die Mindeststandards nicht erreicht. Sachsens Schüler liegen in beiden Fällen besser als der deutsche Mittelwert (48,4 und 23,4 Prozent).

Regelstandard bedeutet, dass die Schüler mit diesem Standard schon das Niveau erreicht haben, dass sie ein Jahr später nachweisen müssen.

Der LandesSchülerRat Sachsen sah am Freitag natürlich keinen Grund, jetzt anzunehmen, dass das sächsische Bildungssystem hervorragend sei. Immerhin wurden ja nur die Leistungen in den Fächern Deutsch und Englisch einbezogen. Unterrichtsfächer wie das für bessere politische Bildung essentielle GRW/GK (Gesellschaft-Recht-Wirtschaft bzw. Gemeinschaftskunde) oder Geschichte seien unberücksichtigt geblieben und das verzerre das Bild natürlich.

Der Vorsitzende des LandesSchülerRates, Friedrich Roderfeld: „Für eine realistische Bewertung unseres Bildungssystems müssen wir den Fokus auf alle Unterrichtsfächer richten.“

Das Rätselraten deutschlandweit war trotzdem groß. Vor allem in Baden-Württemberg glaubt man einen regelrechten Absturz ausgemacht zu haben. Was Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth dann gleich mal nutzte, um Experimente und Umbrüche im Schulwesen gleich mal wieder zu verdammen. Das ist dann so ungefähr die Variation der „ideologischen Strukturdebatte“, von der Lothar Bienst geredet hat: „Der Einbruch im Gesamtergebnis von Baden-Württemberg zeigt anschaulich, dass sich schulfachliche Experimente und Umbrüche im Schulsystem zulasten der Schülerleistungen auswirken.“

Ob die Aussage stimmt, lässt sich erst beim nächsten IQB-Vergleich feststellen. Die eigentliche Schulreform in Baden-Württemberg ist ja erst 2012 angelaufen, also mitten zwischen den beiden IQB-Vergleichen von 2009 und dem jetzt ausgewerteten, der 2015 stattfand. Vor allem betraf die Reform die zweite Säule des baden-württembergischen Schulsystems, und dort vor allem die Einführung von Gemeinschaftsschulen. Heftig bekämpft von denselben Akteuren, die jetzt auch aus Sachsen ihre Kritik abschießen.

Die eigentlichen Aufsteiger beim IQB 2015 hießen übrigens Schleswig-Holstein und Brandenburg. Schleswig-Holstein hat ein umfassendes Fördersystem eingeführt und damit die Werte in den beiden Testfächern deutlich verbessert. Brandenburg hat es so ähnlich wie Sachsen gemacht, hat aber gerade erst eine neue Schulreform geplant, die den Schulunterricht vor allem „entschlacken“ soll. Zum Beispiel von weiteren Geschichtsstunden. Ein beängstigender Trend, der bei all den Spezialtests, die sich die deutschen Kultusminister und das IQB ausdenken, immer deutlicher wird: Man untersucht nur noch Anwendungskompetenzen, eigentlich Dinge, die normalerweise in die Grundschule gehören. Aber die Infantilisierung des deutschen Schulwesens geht ja immer weiter. Der allgemein humanistisch gebildete Mensch nach Humboldtschem Vorbild geht dabei völlig verloren.

Logisch, dass dann Schulsysteme, die nicht das technisch stromlinienförmige Raster der Tests bedienen, immer weiter abrutschen, während Bundesländer, die sich einfach aufs technische Knowhow konzentrieren, „Fortschritte“ machen. So ein System erzieht Fachspezialisten, aber keine selberdenkenden Menschen.

Umstellungen im Schulsystem würden Zeit und Kraft kosten, warnte Brunhild Kurth. Lehrkräfte müssten sich neu orientieren, anstatt sich auf die Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität konzentrieren zu können.

Als wenn es in Sachsen eine „Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität“ gäbe. Das Gegenteil ist der Fall. Und wer als Lehrer im sächsischen System überleben will, der konzentriert sich auf die technischen Standards, die in den deutschen Vergleichstests abgefragt werden. „Kompetenzorientierter Unterricht“ nennt es Brunhild Kurth.

Und da die Bildungsminister der Länder, in denen die CDU regiert, das genauso sehen, ist natürlich absehbar, dass die innerdeutschen Vergleiche genau diese reinen Kompetenzen immer weiter aufwerten, während die Ausbildung selbstständig denkender Persönlichkeiten immer mehr ins Hintertreffen gerät.

Der Test zeigt also ziemlich deutlich ein Bildungssystem auf kompetenzorientierten Abwegen. Wobei das Ausfüllen von Multiple-Choice-Fragebögen und von Lückentexten auch in Klassenstufe 9 nicht unbedingt von einem souveränen Lernerfolg erzählen. Eher von einer Leistungsdidaktik, die fehlerfrei arbeitende Bandarbeiter honoriert. Ein ziemlich schmalspuriges Bildungssystem. Aber wem sagt man das?

Pressemeldung des sächsischen Kultusministeriums zum IQB-Test.

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