Die Bildungsempfehlung war ja in der sächsischen Politik wieder mal ein heiß debattiertes Thema. So ein schönes Randthema, über das man sich zerfetzen kann, wenn man ein Schulsystem nicht wirklich modernisieren will. Manch Politiker prophezeite ja regelrecht einen Ansturm auf die Gymnasien, wenn jetzt die Eltern ein Wörtchen mehr mitreden dürfen. Das Gegenteil ist wohl der Fall, wenn man den in der letzten Woche veröffentlichten Zahlen glauben will.

Danach erhielten rund 12.800 der 28.569 Mädchen und Jungen in den vierten Klassen des Freistaats eine Empfehlung für das Gymnasium. 10.768 von ihnen haben sich bisher an einer entsprechenden Einrichtung angemeldet. Weitere 841 Kinder wollen ohne Bildungsempfehlung aufs Gymnasium und mussten einen entsprechenden Test schreiben.

Der MDR hat gleich mal das Schlagwort von den „leistungsschwächeren Grundschülern“ kolportiert, entweder weil man es einfach unhinterfragt übernommen hat – oder wirklich nicht darüber nachdenken wollte, ob ein „Notendurchschnitt von (mindestens) 2,0 in den drei Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht“ nun die Leistungsstarken tatsächlich von den Leistungsschwächeren abgrenzt.

Aber selbst im Kultusministerium will man darüber nicht nachdenken, teilt lieber Erbsen und Möhren und tut so, als hätte man damit eine sachliche Auswahl getroffen.

Aber sichtlich ist ausgeblieben, was Viele als Menetekel an die Wand gemalt hatten: Dass allzu viele Eltern nun Druck machen, dass ihr Kind nun ohne das geforderte Notentrio trotzdem aufs Gymnasium darf.

„Die Anmeldungen für das Gymnasium sind trotz der freien Elternwahl nicht drastisch gestiegen“, stellt den auch Lothar Bienst, schulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, fest. „Das zeigt deutlich: Die Eltern vertrauen weiterhin der fachlich fundierten Einschätzung der Lehrer an unseren Grundschulen! Sie tun dies zu Recht, denn die Bildungsempfehlung hat sich über viele Jahre als verlässlicher Indikator für die schulische Leistungsfähigkeit eines Kindes etabliert.“

Der CDU-Bildungsexperte betont zudem die Durchlässigkeit des sächsischen Schulsystems: „Mit der Oberschule haben wir eine sehr praxisorientierte Schulart, die sowohl die Chance einer dualen Ausbildung als auch den Weg auf das Berufliche Gymnasium eröffnet. Zudem werden wir die Oberschule in den nächsten Schuljahren weiter kontinuierlich stärken. So wird künftig beispielsweise an jeder Schule ein Schulsozialarbeiter tätig sein, um die Schüler und Lehrer zu unterstützen. Die Entscheidung über die weiterführende Schule ist keine endgültige Entscheidung über den weiteren Lebensweg. Egal ob Oberschule oder Gymnasium, es stehen unseren Schülern im Anschluss alle Türen offen.“

Womit er schon einmal andeutet, dass es bei der Bildungsempfehlung eben nicht um Leistungsstärke geht, sonst müssten in Sachsens Schulen nämlich keine Sozialarbeiter tätig werden. Alle Empfehlungszahlen zeigen gravierende Gefälle zwischen unterschiedlichen Schulen und Schulbezirken. Auch in Leipzig. In Grundschulen in besser situierten Ortsteilen erreichen teils 70, 80 und 90 Prozent der Kinder eine Empfehlung fürs Gymnasium.

Wer sich die oben genannten Zahlen anschaut, sieht: Insgesamt aber bekommen nur knapp 45 Prozent eine solche Empfehlung. Was sogar weniger ist als im Vorjahr, da konnten sich noch 47 Prozent der Viertklässer über eine Empfehlung fürs Gymnasium freuen. Die übrigens nicht alle wahrnehmen.

In sozial schwächeren Ortsteilen rutschen die Empfehlungsquoten auch in Leipzig auf 10, 20, vielleicht noch 30 Prozent. Unübersehbar entscheidet in Sachsen die soziale Herkunft darüber, ob ein Kind am Ende eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommt. Was eine Menge auch mit Psychologie zu tun hat: Denn wenn Klassen sowieso schon von Kindern aus eher bildungsfernen Familien geprägt sind, dann ändert das das Klima in der Klasse, die Interaktion der Kinder, aber auch die der Lehrer.

Entsprechend durchwachsen sind dann auch die Zensurenvergaben. Kinder in solchen Klassen haben es deutlich schwerer, die geforderte 2,0 zu erreichen, als Kinder aus braven, bürgerlich geprägten Schulen. Eine Tatsache, die das sächsische Geeier um die Bildungsempfehlung nur verstärkt, nicht löst. Die Empfehlung wirkt nicht anspornend, sondern demotivierend. Sie ist eines jener gnadenlosen Stopp-Schilder, die eine auf Effizienz getrimmte Bildungslandschaft hinstellt. Nur ja nicht zu viel Mühe machen mit den Aufsteigern, denen der schulische Erfolg eben nicht in die Wiege gelegt wurde.

Es ist die falsche Stellschraube für ein besseres Bildungssystem. Und sie hat nichts, aber auch gar nichts mit „Leistungsstärke“ zu tun.

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