Was passiert eigentlich in einem System, das das Vertrauen und die Akzeptanz derer verloren hat, die darin ausharren sollen? Und hier ist mal nicht von der DDR die Rede, sondern vom sächsischen Bildungssystem. Das produziert nicht nur „Schulabbrecher“ und Null-Bock-Haltungen, sondern bringt hunderte Schüler tatsächlich zum Aussteigen. Und dem Freistaat fällt nichts anderes dazu ein, als Bußgelder zu verhängen.

Es ist ja laut Gesetz ein Vergehen, wenn junge Menschen der Schule einfach fernbleiben. Niemand scheint zu fragen, warum sie das tun. Und was an Schule falschläuft, so dass es junge Leute lieber wagen, dem Unterricht fernzubleiben, als sich Tag für Tag in die Schule zu bemühen.

Manchmal ist es die Perspektive der Ordnungshüter, die falsch ist. Der Mensch ist eigentlich kein Wesen, das parieren muss.

Aber wem sagt man das im von Ordnungsfanatikern regierten Sachsen?

Nach Paragraf 61 Schulgesetz handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Personensorgeberechtigter oder als Schulpflichtiger sowie als Ausbilder oder Arbeitgeber seiner Verantwortung für die Erfüllung der Schulpflicht nicht nachkommt. Zur Schulpflicht gehören die Teilnahme am Unterricht und an den übrigen als verbindlich erklärten schulischen Veranstaltungen. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 1.250 Euro geahndet werden.

Und diese Gelegenheit, aus Schülern auch noch Geld zu machen, hat Sachsen auch 2016 weidlich genutzt.

Im Jahr 2016 gab es in Sachsen insgesamt 6.144 Ordnungswidrigkeitsverfahren in Verbindung mit der Nichterfüllung der Schulpflicht nach Paragraf 61 Schulgesetz. So geht es aus der Antwort von Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) auf die Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Petra Zais hervor.

In 4.788 Fällen wurden Bußgelder erhoben. Damit wurden im vergangenen Jahr rund 436.000 Euro eingenommen. Im Jahr 2015 belief sich die Höhe der Bußgelder auf rund 432.000 Euro.

„Diese Zahlen sind nicht unerheblich“, stellt Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, fest. „Auffällig ist, dass sich vor allem in den berufsbildenden Schulen und in den Oberschulen die Anzahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren häuft. Die Fallzahlen in Förderschulen und Grundschulen sind deutlich niedriger und an den Gymnasien gibt es nur sehr wenige Fälle.“

Allein diese Zahlen deuten darauf hin, dass es bestimmte Schultypen sind, die besonders viel Frustration erzeugen.

Und zumindest erhellend ist, dass in dieser Beziehung Leipzig die Nase vorn hat.

Denn regional betrachtet nimmt die Kreisfreie Stadt Leipzig 2016 mit Abstand einen Spitzenplatz (2.164 Ordnungswidrigkeitsverfahren) ein, gefolgt vom Landkreis Zwickau (516) und Landkreis Vogtlandkreis (513) sowie dem Landkreis Bautzen (503).

Allein 920 Ordnungswidrigkeitsverfahren gab es an Leipziger Oberschulen – und damit fast die Hälfte aller Verfahren in ganz Sachsen. Mit 847 Verfahren führt Leipzig auch die Liste bei den Berufsschulen an.

„Die hohen Fallzahlen in den berufsbildenden Schulen und in den Oberschulen sollten Anlass sein, den Blick verstärkt auf die Situation von Schülerinnen und Schülern in diesen Schularten zu richten“, fordert Zais aus gutem Grund. Denn unerklärlich ist das Wegbleiben der jungen Leute nur, wenn man von einer gleichermaßen hohen Qualität in allen Schularten ausgehen kann. Aber genau das ist nicht der Fall. Was für ein Land, das dringend ausbildbaren Nachwuchs braucht, eine Katastrophe ist. Das braucht nicht nur Programme, die die frustrierten Schüler auffangen. Das braucht ein rigoroses Nachdenken darüber, wie die Standards in sächsischen Schulen verbessert werden können. Gerade in Leipzig, wo man augenscheinlich jahrelang keinen Handlungsbedarf sah. Außer den Unbelehrbaren aus der konservativen Politik zu folgen, die glauben, diese oft psychischen oder sozialen Probleme mit Geldstrafen lösen zu können.

Logisch, dass Zais da jetzt eine gründliche Analyse fordert: „Die Gründe für Schulverweigerung und Schulschwänzen können sehr verschieden sein. Diese sollten jetzt intensiv analysiert werden. Es müssen Wege gefunden werden, wie die Fallzahlen verringert werden können.“

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Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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