Es ist erstaunlich. Und es fällt auf, dass es da draußen bei den großen, namhaften Medien tatsächlich noch Kollegen gibt, die ihr Handwerkszeug nicht verlernt haben und sich von den Verlautbarungen von Regierungen und Think Tanks nicht einfach an der Nase herumführen lassen. Seit ein paar Tagen mehren sich die vernünftigen Stimmen zum Thema Griechenland. Ein letzter Auslöser war der in der Talkshow "Günther Jauch" gezeigte Stinkefinger.

Seit Tagen wird darüber diskutiert: War es ein Fake? War es keiner? – Natürlich war es einer. So werden Bilder manipuliert. Selbst bei der FAZ, die mit Griechenland in den letzten Monaten nun wirklich nicht zärtlich umgegangen ist, hat man mittlerweile gemerkt, dass da etwas stinkt. Aber nicht in Griechenland, sondern in deutschen Medien und ihrer Art, Nachrichten zu verwerten. Dass all die im deutschen Fernsehen laufenden Talkshows wenig tun, die Zusammenhänge der Griechenland-Krise zu erklären, könnte man als banale Erkenntnis abtun – wenn diese flachdümpelnden Shows nicht ein wahrnehmbares Pingpong-Spiel treiben würden mit den auf Krawall gebürsteten Boulevardmedien des Landes und einer politischen Interessenlage, die mittlerweile sehr wohl eine Menge Einfluss darauf nimmt, wie in Deutschland über europäische Probleme diskutiert wird.

Es gibt zwar kaum einer zu, der in den letzten Tagen immer neue Krawallartikel über den griechischen Finanzminister und den Pyrrhussieg bei der jüngsten Verhandlungsrunde mit der Euro-Gruppe geschrieben hat, woher er seine “Fakten” und Einschätzungen hatte – aber alle Spuren weisen in Richtung deutsche Regierung, deutsches Finanzministerium und ein paar Chefetagen großer Banken. Man hat dort in den Jahren der Merkel-Ära sehr wohl gelernt, wie man auf der deutschen Medien-Klaviatur spielen kann und wie man die Emotionen schüren kann, wenn man seine ganz speziellen Interessen durchsetzen will.

Dass dabei auch getrickst, getäuscht und manipuliert wird, das hat dieser inszenierte Stinkefinger gezeigt. Da helfen alle Ausreden aus der Redaktion der Talkshow nicht. So etwas passiert nicht zufällig. Im simpelsten journalistischen Grundkurs lernt man, dass Bilder und Zitate nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden dürfen. Wer es tut, manipuliert. Und eigentlich ist jetzt schon sicher: Dafür bekommt Günther Jauch genauso eine deutliche Rüge vom Presserat, wie sie sich sonst nur die “Bild” einfängt. Bei der ist es allerdings journalistischer Normalzustand.

Aber Günther Jauch hat seine Talkshow zur besten Sendezeit der ARD. Und da wird es prekär. Da wird sichtbar, mit welch dubiosen Methoden hinter den Kulissen dieses Ach-ich-bin-doch-kein-Staatssender gearbeitet wird. Natürlich nicht. So primitiv und durchschaubar wie in Adenauers Zeiten geht es dort nicht mehr zu. Alle haben etwas gelernt und sich auch ordentlich weiterbilden lassen auf einschlägigen Schulen, wie man PR-Kampagnen durchzieht und Meinungsbilder erzeugt, die dann den eigenen politischen Interessen zugute kommen. Jüngst ja deutlich ablesbar im Stimmungsbarometer des ZDF.

Fernsehen hat nach wie vor die größte Meinungsmacht in Deutschland. Und dass in Dresden und anderswo Leute auf die Straße gehen und “Lügenpresse” intonieren, hat weit weniger mit der Presse selbst zu tun, als mit den Bilderblasen, die das deutsche Fernsehen erzeugt, das schon lange nicht mehr vielseitig und vielstimmig oder gar kompetent informiert. Dazu ist man längst viel zu weit auf´s Terrain der Krawallmacher abgedriftet. Nur Krawall schafft Quote.

Dass man dabei genau die Ressentiments bedient und anheizt, die sich dann in nationalem Höhenrausch mal wieder gegen andere, scheinbar ungehörige Nationen und Regierungen richtet, ist nicht nur Kollateralschaden. Sondern kann nur Absicht sein. Wäre es anders, man müsste von Dummheit und Ignoranz reden.

Dass dabei das Leid der griechischen Bevölkerung nicht mal thematisiert wird, ist peinlich genug. Das schafft dann im Boulevard den Raum, der dann die Griechen als Schuldner, Lügner und Großmäuler abstempelt. Aber auch da gibt es mittlerweile Kollegen, die zumindest mal darüber berichten, was fünf Jahre “Reformen” in Griechenland angerichtet haben und warum die Griechen so auf Syriza hoffen.

Und die “Süddeutsche” hat sich auch mit den Hintergründen des Stinkefingers beschäftigt.

Und der “Spiegel” fand die Böhmermann-Satire auf den Fake in Jauchs Talkshow zumindest geeignet, mal über die verdrehten Wahrheiten im deutschen TV nachzudenken.

Und Harald Staun ging in der “FAZ” noch ein bisschen weiter und benannte auch die zweite große Lüge, die nun seit Tagen durch deutsche Medien suppt: Die griechische Regierung hätte überhaupt keine Reformliste vorgelegt (was ja dann auch noch den Ober-Polterer der jetzigen SPD-Fraktion im Bundestsag, Oppermann, am Wochenende auf den Plan rief und endlich die Liste von Griechenland fordern ließ). Dabei gibt es diese Liste längst. Worüber hätte denn der griechische Ministerpräsident sonst mit der Euro-Gruppe reden sollen?

Selbst in diesem Beitrag wird deutlich, wie sehr die Wut langsam gärt in den kompetenten Kollegen der Medienhäuser. Denn dass die Krawallgeschichten so hochwallen, ist ja nur möglich, weil reihenweise Journalisten immer wieder alles wegwischen, was an Fakten und Daten schon da ist und so tun, als sei der neueste Wind aus irgendeiner Agentur jetzt auch wieder ein völlig neuer Stand der Dinge. Ein Journalismus völlig ohne Gedächtnis, der nicht mal mehr weiß, was vor einer oder zwei Wochen berichtet wurde.

Dabei hat die “Süddeutsche” schon Ende Februar veröffentlicht, auf welcher Grundlage die Griechen verhandeln. Nämlich über die Reformliste, von der ganze Scharen von hochbezahlten Redakteuren nun seit Tagen behaupten, es gäbe sie nicht.

Und hinter der Reformliste steckt ein Mann, der weltweit Achtung unter Ökonomen genießt. Die Syriza-Regierung macht ja nicht wie die CSU Stammtischpolitik aus dem Bauch heraus. Sie hat sich den US-amerikanischen Ökonomen James K. Galbraith mit ins Boot geholt. Das Ergebnis ist eine Diskussionsgrundlage, die im Wechselspiel von griechischer Regierung und Euro-Gruppe überhaupt erst einmal wieder Handlungsspielräume eröffnet. Das alte “Reformpaket” war teilweise mit IWF-Rezepten vollgestopft, die alles Mögliche erzeugen, nur keine finanzielle Gesundung der griechischen Staatsfinanzen.

Wozu James K. Galbraith im Debattenmagazin socialeurope.eu ausführlich Stellung nahm.

Dieser Text von Galbraith liegt mittlerweile auch in einer deutschen Ãœbersetzung auf der Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung vor.

Was natürlich den nächsten Aspekt der völlig schrägen und mit nationalistischen Untertönen gespickten Diskussion in deutschen Medien beleuchtet: Es geht mal wieder gegen Links. Reformrezepte von linken Bewegungen oder Parteien scheinen bei einem Teil der deutschen Redakteurelite mittlerweile reineweg des Teufels zu sein. Sie schauen sich die Vorschläge und Thesenpapiere nicht mal an, prüfen sie nicht auf Sinnhaftigkeit. Sie ignorieren sie einfach (“Es gibt keine Reformliste aus Griechenland”).

Das nenne mal einer unparteilich. Ist es nicht.

So gesehen ist Harald Stauns Kritik in der FAZ noch sehr zurückhaltend.

Denn wenn Journalismus derart ignorant agiert, entsteht natürlich zwangsläufig der Eindruck bei den Lesern (von den TV-Zuschauern reden wir hier lieber erst gar nicht), dass Politik alternativlos ist. Eines der Lieblingsworte der Bundeskanzlerin, die ihre Politik seit Regierungsantritt immer wieder unter dem Label “alternativlos” verkauft, obwohl jeder einigermaßen gebildete Mensch weiß, dass es in politischen Entscheidungssituationen und auch in Reformen immer Alternativen gibt – kleine oder größere. Es geht immer nur um die Frage, wer am Ende die größeren Lasten trägt und wer die Gewinne einfährt.

Und Staun merkt auch zu Recht an, dass ein Großteil der Argumentation zur Griechenland-Krise direkt aus den Chefetagen der Banken kommt, die in der Euro-Krise alle ihre großen Geschäfte machen und auch noch an der griechischen Staatsschuldenkrise richtig Geld verdienen. Dass sich eine deutsche Regierung bislang eher mit diesen Bankern gemein gemacht hat, statt mit der Idee einer echten europäischen Solidargemeinschaft, in der man Probleme gemeinsam löst, das ist peinlich genug.

Galbraith ist in seinem Aufsatz übrigens auch auf die Punkte eingegangen, die es jeder griechischen Regierung unmöglich gemacht hätten, die alten “Reformen” einfach 100-prozentig umzusetzen, ohne das Land endgültig in den Ruin zu treiben. Das sind die 30 Prozent, über die die griechische Regierung mit der Euro-Gruppe verhandelt: “Die restlichen ’30 Prozent’ fallen fast alle unter die folgenden drei Kategorien: haushaltspolitische Zielvereinbarungen, Notverkäufe/kurzfristige Privatisierungen und Änderungen des Arbeitsrechts. Die Vorgabe an die griechische Regierung, einen ‘Primärüberschuss’ von 4,5 Prozent zu erzielen, ist vollkommen unrealistisch, wie alle inzwischen hinter vorgehaltener Hand zugeben würden”, stellt Galbraith fest. “Die neue Regierung ist auch nicht per se gegen Privatisierungen, sondern gegen solche, die zu privaten Monopolen und unlauteren Preisabsprachen führen. Und sie richtet sich gegen erzwungene Ausverkäufe, die dem Staat kaum Geld einbringen. In Bezug auf arbeitsrechtliche Fragen gibt es dagegen einen grundsätzlicheren Dissens. Während die Position der griechischen Regierung sich in Einklang befindet mit Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), verstoßen die Auflagen des letzten ‘Hilfsprogramms’ gegen deren Arbeits- und Sozialstandards. Diese Differenzen stehen nun zur Diskussion. Dagegen hält wohl niemand mehr an den alten haushaltspolitischen Zielvorgaben fest, und die griechische Seite hat sich bereit erklärt, in den nächsten vier Monaten, in denen sie eine Einigung über ein neues Kreditabkommen anstrebt, von ‘einseitigen’ Maßnahmen abzusehen.”

Nein, das Problem sind tatsächlich nicht die Griechen, sondern ganze Redaktionen in Deutschland, die so vergesslich sind wie Eintagsfliegen und den Meinungsbekundungen aus diversen Bankhäusern und Regierungsstellen hinterher latschen, als hätten sie panische Angst davor, die Leser mit der Komplexität des griechischen Dilemmas zu überfordern.

Aber wer von seinen Lesern nichts fordert, schafft genau die Krawallarenen, auf denen sich die Populisten so richtig austoben können.

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Es gibt 2 Kommentare

> c: Wie geht es Euch, dem Team um Ralf damit, eine solche Frage zu stellen.

JG, Ihr c: ist sicher sehr subversiv. Warum sonst steht das Komma so sinnentstel… äh sinnändernd da? Und was bedeutet “es geht jemandem gut/schlecht damit, etwas zu tun”? Modernes Deutsch?

Ãœbrigens: Die Frage, ob Sie Krawall schlagen wollen, stelle ich noch nicht einmal.

a: “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing”.
b: Lasst uns mal einen Journalisten fragen.
c: Wie geht es Euch, dem Team um Ralf damit, eine solche Frage zu stellen.

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