Man kann ein "Magazin für Wirtschaft und Kultur Mitteldeutschland" tatsächlich so nutzen, wie es die Macher von "Regjo" versuchen: Als Versuch, thematisch geordnet die Stärken einer ganzen Region zu erkunden. Systematisch oder bunt gemischt. Das ist egal. Wichtig ist der größere Blick auf eine Metropolregion, die derzeit an ihrer provinziellen Zersplitterung bitter leidet.

Klar, es gibt auch Leute, die leiden nicht darunter. Die sind froh, dass ihr Horizont hinter der nächsten Bushaltestelle zu Ende ist. Die sind auch froh, dass sie nicht versuchen müssen, in Synergien zu denken und tatsächlich vernetzte Regionen zu gestalten. Die reden dann gern über die schöne große Geschichte und zucken beim Wort Mitteldeutschland nur mit den Schultern: Unmöglich. Diese Widerstände. Das kriegen wir niemals durch.

Und so hält wenigstens ein Magazin wie “Regjo” das Bewusstsein dafür wach, wieviele Energien, Ressourcen und Gelder in den drei Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verschwendet werden, weil man den Austausch unterbindet und die Abhängigkeiten einfach ignoriert. Und so widmet sich das neue “Regjo” auch nicht nur den kulturellen Leuchttürmen in dieser Region, sondern auch – na, welch ein Zufall! – diversen Vernetzungen. Denn Regionen beginnen ja nicht zu funktionieren, weil ein genialer Pömpel nun eine neue geniale Vermarktungsstrategie aufgelegt hat (was ein eigenes Thema wär: Ein ganzes Heft über die platten, inhaltsleeren oder falsch gepolten Werbekampagnen in der Region. Da dürfen auch ruhig die Leipziger mit gewürdigt werden).

Dabei wird das Thema Marketing zumindest gestreift. Zum Beispiel mit dem erfolgreichen Stadtmarketing von Magdeburg, das sich als Ottostadt recht erfolgreich positioniert hat in einem Städtewettbewerb, den Stadtmanager Georg Bandarau als das Normalste von der Welt begreift. Städte und Regionen konkurrieren immer miteinander. Die Frage ist nur: mit welchen Inhalten und Aussagen? Und wie können sie das Bild der Stadt nach innen und außen verändern? Übrigens ein Thema, mit dem sich parallel auch das sächsische Chemnitz herumschlägt, ganz ähnlich erfolgreich. Wobei Chemnitz noch immer von seinem alten Ruf als Werkstatt Sachsens profitiert, als “Wiege des Maschinenbaus”.

Aber nicht nur Banderau macht deutlich, dass man die Stimmung nicht damit dreht, dass man sich einfach bunt anmalt. Man braucht griffige Bilder, die beides vereinen – die Vergangenheit und die Zukunft. Ein Thema übrigens, das lustigerweise Tobias Prüwer in einem bissigen Kommentar-Artikel mitten im Heft aufgreift, gleich nach einer schönen langen Artikel-Strecke zum Cranach-Jubiläum 2015, mit dem gleich mehrere Städte in Mitteldeutschland den 500. Geburtstag Lucas Cranach des Jüngeren feiern. Und irgendwie hat Prüwer nach einem ganzen Reigen historischer Festivale auch in Leipzig so langsam die Nase voll: “Es stimmt etwas nicht, wenn sich Gesellschaft nur noch historisch orientiert.” Und er kreidet nicht nur dem Leipziger Marketing diese Jubiläums-Besoffenheit an. Er sieht das Phänomen auch in anderen Marketing-Kampagnen aus dem mitteldeutschen Raum, so ein märchenhaftes “Es war einmal”, mit dem die Gegenwart einfach an einer vergoldeten Vergangenheit gemessen wird.

Was komplett fehlt, sind die echten Zukunftsvisionen, die diese Region bündeln könnten.

Tatsächlich gibt es sie. Doch gerade wer in Sachsen lebt, erfährt auch täglich von der aufgeblasenen Angst der großen Politik vor echten Visionen. Man klebt am Alten. Oder feiert sich so wie das Leipziger Stadtmarketing, ohne die Gründe für die steigenden Besucherzahlen zu erkunden.

Man merkt’s beim Blättern schnell, dass sich hinter dem Titel “Kultur Leuchttürme” eigentlich das große Thema Regionenmarketing und Tourismus verbirgt. Das spricht auch Banderau an, wenn er auf die jahrelangen Probleme Sachsen-Anhalts zu sprechen kommt, sich irgendwie ein vermarktbares Label zu verpassen. In der Außensicht war dieses große Land der Ottonen und der Romanik in den vergangenen Jahren einfach nur grau, quasi das Aschenputtel unter den ostdeutschen Bundesländern, obwohl es sich mit seiner Kulturlandschaft neben Sachsen und Thüringen nicht verstecken muss. Mit seiner Forschungslandschaft mittlerweile auch nicht mehr.

Aber das Land leidet – noch stärker als die beiden anderen – darunter, dass miteinander (außer vage Pläne für einen gemeinsamen Justizvollzug) eigentlich nichts geht – nicht wirtschaftlich, nicht touristisch, nicht infrastrukturell.

Gerade im Freistaat Sachsen fehlt es unübersehbar an Leuten, die fähig sind, tatsächlich über Grenzen hinweg denken zu können. Man redet gern drüber, aber die Fähigkeit, Vernetzung zu denken, fehlt völlig. Was einen wieder an Prüwers Artikel denken lässt, der in einem Nebensatz auch Leipzigs Feierei der Friedlichen Revolution hinterfragt. Denn auch da dominiert die Feier der Vergangenheit. Nostalgische Nabelschau. Die Zukunftsvision fehlt.

Oder sie spielt nicht die Hauptrolle. Immerhin hätte die Region das Zeug gehabt, auf einigen Gebieten wieder echter Vorreiter zu sein – bei der Schaffung einer Modellregion. Elektromobilität zum Beispiel, der der Soziologieprofessor Dr. Andreas Knie von der TU Berlin noch ein paar Chancen einräumt. Aber seine Skepsis im Interview mit Frank Willberg ist kaum zu überlesen: Leipzig droht gerade das Zeitfenster zu verpassen, bei der E-Mobilität tatsächlich Vorreiter zu sein. Da kommt die leidige Leipziger Trödelei wieder zum Vorschein, mit der wichtige Entwicklungen einfach ausgesessen werden. Die Lokomotive, die richtig Dampf macht, fehlt. Darf ruhig auch eine E-Lok sein. Aber Leipzig muss, so Knie, “ein paar Schippen drauflegen”.

Was übrigens auch ein Vernetzungs-Thema ist. Denn ohne Ladestationen und ein Netz von E-Fahrzeugen und einem echten Vorpreschen der Verwaltung (auch bei einer echten Bevorzugung von E-Mobilen) wird nichts gehen.

Genauso wenig wie es ohne einen mutigen Akteur, der die Wasserstoff-Speicherung auf die Beine stellt, bei diesem Thema vorangeht. Und bei der Gründerquote sieht es auch nicht ganz so rosig aus, auch wenn Frank Willberg hier den Vorteil von “Qualität statt Quantität” sieht. Aber das allein kann es nicht sein, warum die drei Bundesländer bei Existenzgründungen mittlerweile am deutschen Tabellenende hängen. Dürfen wir eine Vermutung aussprechen? Man verplempert auch hier die Ressourcen, anstatt alle Kräfte zur Förderung und Finanzierung einer echten Gründerszene zu bündeln. Da ist es schön, dass es weniger “Notgründungen” gibt. Aber man rutscht nicht ans Tabellenende, nur weil die Notgründer jetzt lieber feste Jobs annehmen. Denn die nehmen sie ja auch an, weil die Startbedingungen für Gründer schlicht nicht spitzenmäßig sind.

Dabei wollten sich die Heftmacher doch diesmal vorrangig um Kultur kümmern. Aber zum Glück zwingen manche Themen einfach immer wieder auch zum ökonomischen Denken. So entsteht wenigstens im Kopf ein bisschen Vernetzung, auch wenn im mitteldeutschen Tourismus wenig bis nichts zusammenläuft. So gesehen sind Lutherdekade, Lutherweg und Cranach-Geburtstag schon leuchtende Beispiele für ein grenzübergreifendes Miteinander. Könnte man was draus lernen.

Hilfreich sind zwei Artikel, die sich gar nicht so in den Vordergrund drängen: einer über die Mitnetz Strom und ihre Rolle in der “Energiewende” (ohne vernetztes Denken funktioniert da gar nichts mehr) und einen über Mario Schröders “Othello”-Ballett in Leipzig, in dem der Choreograph so beiläufig erklärt, wie vernetzes Denken zu einer Inszenierung führt, die im richtigen Moment das richtige Thema auf der Bühne am Augustusplatz zur Aufführung bringt.

Regjo 1/2015 “Kultur Leuchttürme”, 3,90 Euro

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