Nein, Leipzig ist auch aus dem Kita-Dilemma noch nicht heraus, auch wenn es sich Sozialbürgermeister Thomas Fabian 2015 so sehr gewünscht hat. Da musste die Linksfraktion nicht erst nachfragen, wo es jetzt wieder klemmt. Aber fragen lohnt sich immer. So wird wenigstens die Brisanz der Lage deutlich.

Das wurde auch in der vergangenen Woche wieder sichtbar, als OBM Burkhard Jung die neueste Bevölkerungsprognose für Leipzig vorlegte, die sich um volle 100.000 Einwohner von der tags zuvor vorgelegten Prognose des Landes unterscheidet. Haben oder nicht haben, das ist hier die Frage. Denn allein mit den eigenen Steuereinnahmen kann Leipzig die Entwicklung nicht stemmen. Das braucht kräftige Unterstützung vom Land. Aber wie fällt die aus, wenn die Landesregierung sich auf eine Prognose mit 620.000 Einwohnern beruft, Leipzig aber auf die 720.000 zujagt?

Was das für ein Tempo ist, wurde gerade 2014 und 2015 deutlich. 2014 wurden in Leipzig über 6.200 Kinder geboren, 100 mehr als ursprünglich prognostiziert. 2015 schnellte die Zahl auf 6.600 hoch – prognostiziert waren aber nur 6.200. Für die nähere Zukunft gehen Leipzigs Statistiker jetzt von 7.000 bis 7.500 Geburten pro Jahr aus. Logisch, dass da ein Kita-System, das man gerade mit aller Kraft für 6.000 fit gemacht hat, nicht mehr ausreicht. Jetzt schon nicht, wie die Antwort des Sozialbürgermeisters auf die Anfrage der Linksfraktion deutlich macht.

„Wie viele Bedarfsanmeldungen für welche Betreuungsform liegen der Stadt Leipzig vor, die noch nicht bedient werden konnten?“, hatte die Linksfraktion gefragt.

Die eigentliche Zahl weiß auch der Sozialbürgermeister nicht, weil viele Einrichtungen in freier Trägerschaft ihre Zahlen einfach nicht ins Kita-Portal eintragen. Trotzdem sind einige Eltern so frustriert, weil sie keinen Kita-Platz gefunden haben, dass sie den Klageweg gewählt haben, um den Anspruch einzulösen. Denn für viele hängt mit dem Betreuungsplatz nun einmal die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes zusammen.

„Mit Stand zum 15.04.2016 gibt es 28 Klagevorgänge, bei denen noch kein Platzangebot unterbreitet werden konnte“, teilt nun das Sozialdezernat mit. „Die tatsächliche Zahl noch nicht bedienter Betreuungsanfragen kann höher sein. Im KIVAN sind die Bedarfsanmeldungen erfasst. In welchem Umfang Bedarfe noch offen sind, lässt sich allerdings nicht ablesen, da nicht alle Kindertageseinrichtungen das Vertragssystem KIVAN nutzen. Ein Vergleich der Monatsstatistik der Belegungssituation und des KIVAN zeigt, dass in letzterem eine hohe Anzahl an Betreuungsverträgen durch die Kindertageseinrichtungen nicht eingestellt wurde.“

Die Linksfraktion wollte die Engpässe dann doch gern nach Stadtbezirk, Krippe und Kindergarten differenziert bekommen.

Aber auch so etwas spuckt das KIVAN nicht aus.

Es gibt nur globale Zahlen, teilt das Sozialdezernat mit: „Im Dezember 2015 standen für 80,8 % der 1- bis unter 3-Jährigen in Leipzig wohnhaften Kinder Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege zur Verfügung. Im Hinblick auf Krippenplätze in Kindertageseinrichtungen lagen die Stadtbezirke Südost, Süd, Südwest und Nord unter dem städtischen Durchschnitt von 58,3 %. Ein Ausgleich erfolgt über die benachbarten Stadtbezirke. – Für die 3- bis 6-Jährigen in Leipzig wohnhaften Kinder stehen im Durchschnitt ausreichend Betreuungsplätze zur Verfügung. Die Stadtbezirke Südost, Südwest und Nord verfügten über einen Versorgungsgrad von unter 100 %.“

Womit zumindest noch einmal deutlich wird, dass gerade im Süden und Norden Einrichtungen fehlen, um die steigenden Kinderzahlen aufzufangen. Die Eltern müssen dann in der Regel auf Einrichtungen im Osten oder Westen ausweichen und entsprechend längere Anfahrtswege in Kauf nehmen.

Der Druck ist also noch lange nicht raus aus dem System. Im Gegenteil: „Aufgrund steigender Geburtenzahlen und Zuzug übersteigt die Zahl der Platzsuchenden Kinder noch die derzeitig verfügbaren Betreuungsplätze.“ Und deswegen werden die freien Plätze wieder nach Dringlichkeit vergeben.

Die Prioritäten gibt das Sozialdezernat so an

– Das Kind hat bisher keine Betreuung.
– Das Kind wird in einer Einrichtung betreut, die weiter als 30 Minuten von der Wohnanschrift der Familie entfernt liegt.
– Das aufzunehmende Kind hat ein Geschwisterkind in der Kindertageseinrichtung.
– Beide Elternteile bzw. der alleinerziehende Elternteil sind berufstätig.
– Die Familie hat eine besondere familiäre Situation.
– Der Allgemeine Soziale Dienst empfiehlt eine Betreuung.

Was natürlich nicht heißen darf, dass die Kinder bei Nichtvorliegen eines solchen Kriteriums ohne Platz bleiben dürfen: „Mit Vollendung des ersten Lebensjahres haben alle Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Durch die Berücksichtigung der Aspekte erfolgt nur eine Priorisierung bei der Dringlichkeit des Erhalts eines Betreuungsplatzes. Es wird kein Kind vom Besuch einer Kindertageseinrichtung ausgeschlossen.“

Und verschärft wird das Problem natürlich nicht nur durch die stark gestiegenen Geburtenzahlen, sondern auch durch die Ankunft hunderter Flüchtlingskinder, die natürlich am besten auch in Kitas eine Betreuung finden, um so früh wie möglich die ersten Integrationshürden zu überwinden.

Dabei sind sie zu einem größeren Teil noch gar nicht im System, wie das Sozialdezernat feststellt: „Zum Stichtag 31.03.2016 lebten 734 Kinder unter sechs Jahren im Leistungsbezug nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig. Zum Stichtag 16.03.2016 waren insgesamt 185 Kinder von geflüchteten Familien im Kitaplatz-Vergabesystem der Stadt Leipzig (KIVAN) erfasst, die eine Kindertageseinrichtung besuchen. Es können dort gegenwärtig nur die Kinder von geflüchteten Familien statistisch erfasst werden, die ihren Wohnsitz in einer der Gemeinschaftsunterkünfte haben. Kinder von geflüchteten Familien, die dezentral wohnen, können nicht statistisch erfasst werden, da der ausländerrechtliche Status eines Kindes bisher kein Erfassungskriterium im KIVAN ist. Insofern ist davon auszugehen, dass der Anteil der betreuten Kinder aus geflüchteten Familien höher liegt.“

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Apropos Kivan und Kinder aus Flüchtlingsfamilien. Die Kitas und Träger, welche die Software in ihrem System haben , haben sich auch verpflichtet damit zu arbeiten. D.h. auch alle Kinder mit Fluchterfahrungen und Kinder mit Migrationshindergrund müssen über dieses System erfasst werden, da man nur so gültige Betreuungsverträge bekommt, welche dann von den Eltern unterschrieben werden müssen. Bei vielen Familien mit Fluchterfahrung besteht aber darüberhinaus oftmals ein befristeter und damit unsicherer Aufenthaltsstatus, was wiederrum zu Problemen mit dem Kivan führt: Bei “Duldungen” müssen teilweise aller drei Monate neue Verträge mit den Eltern gemacht werden, welche das System aber nicht erkennt. Dies wieder rum führt dazu, dass die Eltern keinen gültigen Vertrag haben, welchen sie aber zur Vorlage als Betreuungsnachweis beim Amt bräuchten – nicht zuletzt um an ein ‘Bildung und Teilhabe’ Paket für Ihre Kinder zu kommen. Ein Teufelskreis…

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