Ab heute liegt sie wieder an allen Verkaufsstellen: die neue „Leipziger Zeitung“. Diesmal - naja - mit verwirrten Fußballern auf dem Titelbild. Passend zur Zeit. Denn auch wenn jetzt wieder eine ganze Republik versinkt in Volkes Spielen: Die ungeklärten Themen der Gegenwart gären weiter, liegen unerledigt herum auf den Straßen. Und auf einmal schleicht sich ein Wort in unsere Zeitung: Wut. Ganz beiläufig. Und es gibt jede Menge Gründe, richtig wütend zu sein.

Nein, nicht auf die ahnungslosen Narren von Pegida und Co. Außer „Dingsbums muss weg!“ und „Dingsbums muss weg!“ fällt ihnen ja schon lange nichts mehr ein. Aber seit zwei Jahren dominieren sie mit ihrer zelebrierten Wut nun die Schlagzeilen, besetzen die Talkshows, gelten knallharten Politikern sogar als ernst zu nehmende Gesprächspartner.

Was nicht deshalb so blamabel ist, weil diese Knallharten nun ausgerechnet mit den Brummern von rechtsaußen heimlich konferieren, sondern weil sie mit denen, die eigentlich die ganze Zeit rackern und dieses Land am Laufen halten, derweil gar nicht reden. Auch so wird versteckter und verkleideter Rassismus hoffähig gemacht. Und auf einmal sehen sich die, die die ganze Zeit arbeiten für ein menschliches und weltoffenes Sachsen – attackiert und allein gelassen. Ein Thema, das Christin Melcher im Interview thematisiert für die antirassistische Initiative. Denn wo alle über die völlig irrlichternden Sorgen der „besorgten Bürger“ reden, verschwindet die Arbeit von Hunderttausenden, die Sachsen lebenswerter machen und helfen, so weit ihre Kräfte reichen, schlicht ins Abseits. Ins Nicht-mehr-Erwähnte.

Gute Gründe, richtig wütend zu werden.

Auch über die neuliche Diskussion über das Grundeineinkommen, das sogenannte bedingungslose. Ein Beiwort, das selbst die Verfechter des Grundeinkommens nicht vergessen anzufügen, weil ihnen die großen Thinktanks des neoliberalen Establishment immer wieder mit Argumenten kommen, es könne keine staatlichen Alimentierungen ohne Gegenleistung geben, bedingungslos. Wo kämen wir da hin? Vielleicht in ein Land, in dem die Kosten der Gemeinschaft mal allen Schultern auferlegt werden, nicht immer nur den schwachen?

Michael Freitag beschäftigt sich mit dem ganzen vorurteilsbesetzten Klamauk rund um die Abwehrschlacht gegen jegliche Art von Grundeinkommen.

Still – aber betroffen – wird das flankiert von einer Karikatur, die Marcel Happich beigesteuert hat, der das Ganze mal aus Sicht des kleinen sanktionierten Bürgers gezeichnet hat, der sich bei diversen Demos im Land auf einmal als Staatsfeind Nr. 1 wiederfindet und wohl zu Recht das dumme Gefühl hat: Wer eh schon mit Almosen abgespeist wird, sollte in diesem Land der gehätschelten Reichen vielleicht doch lieber nicht demonstrieren. Damit macht er sich unbeliebt.

Dieser kleine Bürger ist sichtlich richtig wütend.

Natürlich spielt Reichtum in dieser Ausgabe eine Rolle. Nicht umsonst wird diskutiert, was da eigentlich falsch läuft in Deutschland, wenn doch der berühmte Gini-Koeffizient überhaupt nicht zeigt, dass Arm und Reich immer weiter auseinander driften, immer mehr Menschen aber trotzdem das blöde Gefühl haben, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können und schon frühzeitig auf dem Abstellgleis gelandet sind.

Denn das Einkommen der Eltern bestimmt auch in Leipzig schon lange wieder darüber, ob die Kinder überhaupt noch die Chance auf eine gute Ausbildung bekommen.

Und jedes vierte Kind in Leipzig lernt früh, was Armut ist.

Und natürlich hat das mit unserer Art der Wirtschaftsorganisation zu tun. Denn wo landet denn das Geld, wenn Konzerne sich mit Steuersparmodellen regelrecht freikaufen können, der Liberalisierungsdruck aber immer weiter erhöht wird?

Logisch, dass TTIP und CETA auch in Leipzig ein Thema sind und eine Menge Menschen sehr besorgt machen. Und auch die Politik besorgt machen sollte. Denn das Geld, das – trotz Wirtschaftswachstum – nicht eingespielt wird, fehlt vor allem den Kommunen. Leipzig ist mittlerweile mit einem ganzen Berg von Wachstums-Aufgaben konfrontiert. Was das allein beim anstehenden Neuen Nahverkehrsplan bedeutet, darüber sprach Daniel Thalheim mit SPD-Stadtrat Mathias Weber.

Denn man kann sich ja bannig freuen über das rasante Bevölkerungswachstum der Stadt Leipzig. Aber eigentlich hat die Stadt das Geld gar nicht, um dieses Wachstum zu finanzieren. Worin sich Leipzig nicht allzu sehr von anderen (ost-)deutschen Kommunen unterscheidet. Und auch nicht vom großen „Rest“ Europas. Denn die lange Zeit herrschende Ideologie des Neoliberalismus (den jetzt ja selbst der IWF zu reinem Blödsinn erklärt hat), hat ganze Länder an den Rand der Investitionsunfähigkeit gebracht. Man kann nicht alles immer „billiger“ machen und dann erwarten, dass da irgendwo noch Geld übrig bleibt für Schulen, Eisenbahnen, Straßen, Brücken …

Natürlich reagieren Menschen dann oft genug irrational, wenn sie merken, dass es hinten und vorne fehlt. In den meisten Zeitungen steht ja nicht, woher das kommt. Also suchen sie – weil’s so schön einfach ist – nach Buhmännern. Und glauben sie mit den atemlos angelangten Flüchtlingen nun wieder gefunden zu haben.

Denn in ihren Zeitungen (und ihren wilden Verschwörungsmagazinen) steht natürlich auch nicht zu lesen, warum die Kriege und Fluchtbewegungen im nahen Osten und Süden im Grunde dieselben Ursachen haben wie ihre eigenen Sorgen. Sie sehen nur das Fremde – möglichst aus Distanz. Denn wenn man sich dem Fremden nähert, wird es ja – komischer Effekt, nicht wahr? – auf einmal vertraut.

Jens-Uwe Joop beschäftigt sich mit dieser Konfrontation und dem „Fremden in uns“.  Nicht der einzige Beitrag in der Zeitung, der sich mit dem Fremdsein, Befremdetsein und der fehlenden Konfliktfähigkeit vieler überforderter Zeitgenossen beschäftigt. Was das mit Eifersucht zu tun hat, analysiert dann Konstanze Caysa.

Was natürlich auch zu der Frage überleitet, warum die Linke derzeit derart sprachlos ist.

Sind das denn nicht ihre Themen, die da den kompletten Kontinent allerenden zum Qualmen bringen? Vor sich hinstinken und nach Lösungsvorschlägen oder zumindest klugen Ideen schreien, die Welt zu verändern?

Denn eines ist ja derzeit unübersehbar: Die konservativen Eliten, die sich wie keine andere politische Fraktion seit Maggie Thatchers „There is no alternative“ in die Heilsversprechungen des Neoliberalismus verrannt haben, sind derzeit völlig überfordert, die Probleme zu lösen. Es ist ihre Schockstarre und Sprachlosigkeit, die Schwarwel in der Titel-Karikatur aufgespießt hat. Denn diesmal kann das „Sommermärchen“ nicht einmal ansatzweise übertünchen, dass die großen Probleme des Landes ungelöst auf einem riesigen Haufen liegen.

Für Lösungen braucht man – wem sagen wir das? – wieder Denk-Frei-Räume, Visionen und einen Blick für die Verkrustungen der Gegenwart.

Und siehe da: Es hat wieder nicht alles hineingepasst in diese Zeitung. Werden wir wohl gleich wieder an die nächste Ausgabe gehen müssen. Hilft ja nichts. Irgendeiner muss ja die Kärrner-Arbeit machen.

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