LeserclubWie Sie ja inzwischen nachgelesen haben, hat auch noch der Hase mit Platz unterm Pilz gefunden. Und der Fuchs schaute dumm in die Welt. Und ganz problemlos passten zu den zwei Maschas auch zwei Olegs an den großen Küchentisch, samt Herrn L. natürlich. Aber erst nachher. Nachdem Nudelholz und Pfanne zum Einsatz gekommen waren.

Oleg musste Teig rollen und Oleg musste die Füllung anbraten – jede Menge Gemüse. Aber auch Herzhaftes. Die wichtige Aufgabe am großen, dampfenden Nudeltopf übernahm dann lieber Olegs Mascha. Während sie ihrem Oleg die Leviten las. Eine nach der anderen. Während sie die von Herrn L.s Mascha liebevoll gefüllten Nudeltaschen vorsichtig ins sprudelnde Wasser versenkte. Und Oleg gab sich gar nicht kleinlaut. Warum auch?

„Wenn du chast Angst um Freund, kannstu nicht Kopf einziehen. Geht nicht. Musstu kämpfen mit offene Visier.“

„Aber das bildest du dir doch nur ein. Immer übertraibst du. Machst alle narrisch. Mich auch. Doffer Chund.“

„Bleeder Chund, chaist das“, korrigierte Oleg.

„Du bleeder Chund.“

Na ja, das war dann der Moment, in dem Herr L. die große Nudelkelle übernehmen musste, weil Oleg und seine Mascha erst mal mit einem großen Schnupftuch beschäftigt waren. Zumindest Mascha. Oleg tat so, als ob ihm das höllisch unangenehm wäre. Immer diese Weiber! Aber sein Maschalein hielt er dabei so vorsichtig wie andere Leute ihr Glas Prosecco.

Und nur L. bekam ein paar fragende Seitenblicke. Von seiner eigenen Mascha natürlich. Da würde sie nachher bei Mondenschein wohl doch noch einiges erfahren wollen über den Tag und das Telefongespräch im „Tschaika“. Wahrscheinlich dasselbe, was Oleg zu beichten hatte.

„Du musst nur Vertrauen haben in deinen Mischka-Bär.“

„Bist kein Mischka. Bist dummes Asjol. Vor Vertrauen kommt Ehrlichkait.“

„Aber ich bin doch …“

„Bistu nicht. Seid alle beide wie dummes Putin: Losrammeln, kaputtmachen, Cheldensarg. Blödes aufgeblasenes Matscho. Keine Ricksicht auf Frau in Chaimat.“

„Aber du bis doch da?!“

„Und Kinder?“

„Kinder?“

So schnell kann’s gehen. Da steht ein starker Bär in seiner Pflicht und muss sich Gedanken machen über Dinge, über die sich ein richtiger Mann niemals Gedanken macht. Bis seine Mascha ankündigt, dass der letzte Besuch beim Frauenarzt doch ein bisschen anders ausfiel als sonst.

Ergebnis: Ein Oleg mit hochrotem Kopf, halb Verzweiflung, halb hemmungslose Begeisterung. Aber die schluckte er lieber runter, grinste nur L. zu, der ungerührt die Teigpäckchen ins Wasser hob – und die fertigen auf einen großen, vorgewärmten Teller legte.

„Müssen wir aber feiern“, meinte Olegs Oleg.

„Nicht cheute“, sage Olegs Mascha. „Cheute bin ich sauer.“

Also gab es jetzt keinen Wodka und auch kein Bier. Nur auf Weißwein ließen sich die Maschas ein. In kleinen Gläschen. „Da sauft ihr nicht so viel.“

Dafür reichte auch der Riesenberg aus gefüllten Nudeltaschen nicht. Oder beinah nicht, denn auch Herr L. hielt sich lieber zurück. Oder konnte nicht mehr, was meist auf dasselbe hinausläuft. Wenn ihm Probleme im Magen lagen, Rätsel ungelöst waren, Fragen nicht beantwortet, da bekam er dann oft nichts runter, waren Kehle und Magen wie zugeschnürt. Da ging es ratlosen Zeitungsschreibern nicht anders als grämlichen Kommissaren: Wo steckt die Lösung? Wo steckt der Mistkerl? Wer hat was zu verbergen?

Na gut, die letzte Frage stellte er sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Dazu wusste er über die neuen Erfolgreichen mittlerweile zu viel. Auch über ihre krummen Wege an die großen Fleischtöpfe. Oder die hübschen Ämter, in denen sie alle Jahre neue Tränen vergossen über den Zustand der Demokratie. Obwohl sie selbst der Zustand waren und sich nicht nur beim Golf trafen. Oder beim Opernball.

Es gab Zeiten, da wurde auch L. noch zu Opernbällen und anderen Stelldicheins der neuen Noblesse geschickt, berichtete über Ballkleider und ihre Preise, die neuen Miezen der neuen vielversprechenden Talente für alle entscheidenden Ämter in dieser Stadt. Smarte Jungs. Keine Frage. Mit Drähten in alle Instanzen und Fingern in allen Entscheidungen. Und einem Lächeln frisch aus dem Zahnarztlabor.

Ein paar davon waren inzwischen älter geworden und man hatte sich so an sie gewöhnt, dass man sich schon gar nicht mehr fragte, was sie eigentlich den lieben langen Tag so machten. Andere waren verschwunden. Wie der Dingsbums. Wie hieß er doch gleich?

Es fiel ihm natürlich nicht ein. Aber schon seit ein paar Tagen hatte er so das Gefühl, der Name läge ihm ständig auf der Zunge. Nur: Warum?

Und vielleicht hatte er auch gehofft, er würde über den Namen stolpern, wenn sie jetzt alle fünf über den mehrmals getränkten und gebügelten und halb verbrannten und geschäumten Blättern säßen, sie gegen das Licht hielten, die blassen Adressen versuchten zu entziffern. Natürlich war der Name nicht dabei. Und auch kein anderer. Außer der von Awgust Mjiller. Aber der war ja tot. Nur sein Büro prangte noch mit einer Adresse in einem fernen schwäbischen Städtchen. Nebst den üblichen Phantasienamen, hinter denen sich dann wohl die Mitgesellschafter verbargen. Wenn es nicht die eigentlichen Eigentümer waren, denn Miller war ja – wahrscheinlich – tot.

Phantasienamen mit Tierbezug wie TIGER und FOX und BEAR. Und wenn man schon so beim Lesen und Lästern war, dann rutscht einem auch die Vermutung heraus, es müsste dann auch noch einen beteiligten MAMMOUTH TRUST geben.

Wer hatte das gesagt?

Herr L. beim ratlosen Murmeln über der vierten Seite mit namenlosen Nummernkonten?

Oleg jedenfalls nicht. Denn der rief mit freudigen Bass: „Ich hab chier ein MAMMOUTH! Chast du den gesucht?“

Gesucht nicht, wusste L. Geahnt schon eher. Und er konnte nichts dafür, auch wenn es erst das zweite Gläschen Weißwein war, saurer, aus dem Elbtal. War aber teuer gewesen. Deswegen trank er ihn lieber mit Vorsicht. Aber jetzt raschelte es in seinem Kopf, als wenn einer eine Seite umschlägt. Und er hatte eine seiner frühen Geschichten vor sich, die er sich aber nicht deshalb gemerkt hatte, weil große hungrige Löwen drin vorkamen …

Deswegen klang er schon ein bisschen heiser, als er Oleg bat, auch nach einem LION Ausschau zu halten.

… sondern weil sie ihm bei dieser Geschichte so richtig gezeigt hatten, was sie von ihm (den sie doch gar nicht kannten) oder der Zeitung oder der vielgepriesenen vierten Macht eigentlich hielten. Er hatte die Geschichte trotzdem geschrieben. Das wusste er. Und er hatte Fotos gemacht, alle diese hübschen Neuen in den Himmeln der großen Ereignisse höflichst zur Aufstellung gebeten, obwohl er genau wusste, dass sie die ganze Zeit auf seinen Schlips gestarrt hatten, den er sich extra gekauft hatte und der wirklich nicht billig gewesen war. Er war nicht mal dazu gekommen, den Schlips irgendwo zu reinigen, denn die Fotos wurden noch für die nächste Ausgabe gebraucht.

Und mit welchem Haifischgrinsen sie dabei nicht in die Linse des Apparates, sondern auf seinen Schlips geschaut hatten, das sah er erst am nächsten Tag, als er die Zeitung aufschlug und ihm der Kollege, der heute die Abteilung leitete, fast sorgenvoll über die Schulter sah: „Ich glaube, mit denen hast du es dir gründlich verscherzt.“

Und damit meinte er nicht die Fotos, sondern den Text, den L. damals noch kurz vor Mitternacht in die Tasten gehauen hatte. Das Dumme ist: Wenn er unter Zeitdruck war, neigte er dazu, die Dinge beim Namen zu nennen.

In dieser Stadt war das noch nie gut angekommen.

„Wie chast du nur geraten? Chier steht: LIONS Trust. Chastu wieder gewusst, gib zu!“

Er war selten so froh gewesen, Oleg zu kennen, wie an diesem Abend, der dann doch noch mit sauren Gürkchen und einem klitzekleinen Gläschen Wodka für alle endete.

„Steht übrigens gleich vor SHARK Found. Ist das auch Tier, das du gesucht chast?“

An der Stelle rasselten dann gleich Berge von Zeitungsseiten durch L.s Kopf, so wie in alten Filmen die Kalenderblätter vom Kalender fliegen und der Zuschauer in die Gegenwart katapultiert wird.

„SHARK, hast du gesagt?“

„SHARK, stimmt. Und Found. Ist das auch ein Tier?“

„Nein, eher so etwas wie eine Stiftung. Und soll ich euch was sagen?“

Da schauten ihn auch die Maschas beide etwas skeptisch an. Denn warum er ausgerechnet auf Tiere gekommen war, hatte er ja noch nicht erklärt.

„Ich brauch jetzt dringend was Ordentliches zu trinken.“

Das bekam er auch. Aber erst hinterher. Nachdem er versucht hatte, zu erklären, woher auf einmal alle diese Tiere kamen. Wenn man noch ein bisschen drüber nachdachte: Fast alles Raubtiere. Bis auf eins. Aber gerade mit dem hatte Herr L. noch eine Rechnung offen.

Alle Teile der Serie zum Nachlesen.

In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar