LeserclubAn diesem Abend erwischte ihn seine Mascha mit der Bratpfanne. Das war so nicht geplant gewesen. Aber wer kann den Umgang mit dem schönen Geschlecht überhaupt planen, wenn er nur das arme, überforderte Kleinhirn eines ratlosen urzeitlichen Jägers zwischen den Schultern trägt?

Heute auch noch etwas überdreht durch ein paar Tässchen Koffein zu viel, einen drängelnden Ressortchef, der seine Spalte Dementi vollbekommen wollte und ihm seinen heißen Atem in den Nacken pustete. „Na mach schon, das soll keine Doppelseite werden, nur ein kleines, unscheinbares Dementi!“

„Aber …“

Herr L. kannte alle seine Aber. Und er wusste auch, dass die schönsten Pointen immer die gefährlichsten waren. Weil sie meistens so hübsch ins Zwerchfell trafen.

Aber treffe mal einer ein großes Tier mit spitzer Pike ins Zwerchfell.

Es wird nicht wieder.

Es rastet aus, kocht, wütet. Und der Ärger würde nicht nur mit lauter Telefonanrufen in die Redaktion branden, sondern mit dicken Kostennoten: „ … weisen wir darauf hin, dass die Persönlichkeit unseres Mandanten …“

Das war so ein Tag, an dem er sich am liebsten nur mit seinem „Meister Floh“ in die Leseecke verkrümelt hätte und über die seltsamen Welten des Herrn Knarrpanti nachgedacht hätte, dem man sich schon mit einer mordfaulen Minute höchst verdächtig machte. Ist der Bürger noch ein braver, wenn er in den Augen der Herren Wohlgeordneten zu einem corpus delictum geworden war? So mit einem leichten Ruch des Ungehörigen, das schon arg in den Bereich des Unanständigen und Ungeordneten zu tendieren schien, und damit ins – oweiowei – Radikale?

Dabei musste er das gar nicht noch einmal lesen. Er wusste ja, wie sehr seine eigene Welt diesem Berlin der wohlgebildeten Polizeiräte und etwas groß geratenen Flöhe ähnelte. Ein kleines pochendes Mütchen stiller Aufmüpfigkeit – und schwups, stand der Mupf vorm Kadi. Ja, in manchen Nächten trugen seine finstersten Verfolger Robe und Perücke und lasen ihm acht Stunden lang alle seine Sünden vor.

Und so kam es …

„Ach, und da traust du dich noch nach Hause?“

Das war der ungeplante Moment. Auch wenn Herr L. gar nicht wusste, wie er mitten aus der Streichung seiner schönsten Pointen für den staatsanwaltlichen Dementi-Artikel nun hierher geraten war. Seine Füße mussten den Weg allein gegangen sein, während sein Kopf sich mit der erstaunlichen Karriere des Meister Floh beschäftigt hatte. Die Schlüssel hatte er in der Hand. Aber ans Anziehen von Mantel und Mütze, an den Weg zur Straßenbahn, an die Fahrt konnte er sich überhaupt nicht erinnern.

Als hätte jemand einfach ein Stück aus seinem Tag herausgeschnitten.

Und auch noch ein anderes, denn er war sich keines Moments bewusst, dass er heute seine überschwängliche Mascha derart verärgert haben könnte, die Tür hatte sie ihm schon vor der Nase aufgerissen. Sie musste ihn schon im Treppenhaus gehört haben, regelrecht abgepasst, obwohl er sich nicht betrunken fühlte. Er hatte also keine zotigen Lieder gesungen und auch das Haus nicht zusammengebrüllt. Was er auch sonst nie tat, auch wenn er ein paar Tröpfchen zu viel intus hatte. Da machte dann meistens sein Lieblingstrinkkumpan Oleg die Musik und brüllte über die ganze Straße: „Du musst singen! Lauter singe! Sonst bistu nich richtig besoffen!“

Singen?

Nein. Er hatte nicht gesungen. War nur erschrocken, weil die Tür so unverhofft vor ihm aufgerissen wurde.

Hatte er nicht eben noch auf den blauen Bildschirm gestarrt?

Dampfschwaden kamen ihm entgegen, ein scharfes Zischen von Fett. In der Pfanne brutzelte es noch, spritzte, sprutzelte und hüpfte und in rasendem Tempo kam die Pfanne auf ihn zugeschossen. Seine Mascha dahinter, sichtlich aufgewühlt, auf hohen Touren, so wie Frauen sind, wenn ihr geliebter Prinz in jüngster Zeit ein wichtiges Signal übersehen hatte. Oder überhört.

Frauen lieben diese feinen Anspielungen, die man nicht überhören darf.

„Aber ich habe …“

Und dann machte er lieber die Augen zu und zog den Kopf ein, um sein Kleinhirn ein bisschen zu schützen. Mutig den Moment erwartend, in dem ein großes gußeisernes heißes Stück Materie seinen Scheitel treffen würde …

Und?

„Komm rein. du Dummkopf. Was stehst du da im Flur …“

„Aber du …“

Die Wohnung war tatsächlich voller Dampf, aus Töpfen waberte es, Deckel klapperten, Wasser zischte, wenn es auf die heiße Platte traf. Seine Mascha war tatsächlich mitten in ihrer Lieblingsbeschäftigung.

(Und wer jetzt wissen will, warum Herr L. sie Mascha nannte, obwohl sie nie Mascha hieß, der muss ein paar Kapitelchen zurückblättern. Da ist das erklärt.)

Also folgte er brav, legte Mantel und Tasche ab, schlich sich vorsichtig in die Küche und schob sich an den Tisch, denn stören durfte er sein Lieblingsweib bei ihrem Tun nicht. Gerade dann nicht, wenn sie so furios auf voller Flamme arbeitete, Löffel und Messer schwang, die Pfanne schüttelte und die brodelnden Blasen argwöhnisch betrachtete. So etwas machte sie nur, wenn sie richtig wütend war.

Und richtig wütend wurde sie immer nur, wenn es – nuja – um Frauen ging.

Da war dann nur die Frage: welche? Und mit welcher Frage würde sie die Szene einleiten?

Meistens war die Frage ganz kurz, wenn sie ihn genauso lange geschmort hatte wie das Steak, das Schnitzel oder das zähe Ding, das sie ihm manchmal mit breitem Grinsen auf den Teller packte, wenn sie ihn noch ein bisschen länger schmoren lassen wollte als sonst.

Doch dazu war sie heute zu wütend.

Und deswegen war er doch ein bisschen gewarnt durch die Stille, die auf einmal herrschte. Sie hatte alle Platten ausgeschaltet, es blubberte noch ein bisschen, zischte und plitschte.

Aber sie saß ihm gegenüber und fragte nur: „Und?“

Und würde er diese blauen Augen nicht zu gut kennen, hätte er jetzt angefangen, herumzurätseln oder sich zu entschuldigen, für was auch immer.

Aber er wusste ja, dass er sie damit nur enttäuschen würde. Deswegen sagte er einfach: „Ich gebe alles zu.“

„Du Mistkerl. Ausgerechnet ..“

„Geb’ ich auch zu“, sagte er. „Rote Haare, Push up, Ferrari, toller Minirock. Du weißt doch, wir Männer …“

Doch da sah sie ihn nur verwirrt an. „Minirock? Die hat noch nie einen Minirock getragen! Wovon redest du?“

„Ich dachte, es sollte schon mal ein richtiger Bock sein. Damit ich meine Strafe verdient habe. Ich dachte ja schon, die Pfanne ist für mich …“

„Ist sie auch, aber erst nachher …“

„Aber warum willst du die Rothaarige nicht?“

„Weil das Miststück nicht rothaarig ist. Nur bl ….“

Und da hätte sie fast angefangen zu weinen. Manchmal vergaß er das einfach, dass sie eigentlich ein Sensibelchen war. Selbst dann, wenn er ihr zu Füßen lag.

Also schnell das saubere Tuch aus der Tasche gefischt. Auf das sie reagierte wie eine Katze. „Ist noch ihr Lippen…?“

Fast wäre sie aufgesprungen.

„Nein. Wieso? Nur Kaffeespritzer. Ich nehm’ doch keinen Lippenstift.“

„Und sie?“

„Welche sie?“

Blubb machte der große Topf, in dem jetzt ein paar Klöße versuchten, sich wieder in ihren Ursprungszustand zurückzuverwandeln.

„Na wer ruft denn hier an und fragt mit schma … schmachtender Stimme nach dem lieben, lieben L.? Wenn ich die Stimme schon höre, diese verdammte verruchte, diese männer … die …“

Und Plopp machte der Groschen in L.s Kleinhirn.

„Ja, beschimpft hat sie mich auch.“

Denn genau so war’s gewesen am Telefon in der Redaktion. Hundertmal habe sie versucht, ihn anzurufen, habe immer wieder seine Nummer angerufen, und am Ende habe da so eine etwas enervierte Dame ihr dann endlich seine Telefonnummer im Büro gegeben, wo sie nur höchst ungern anrufe, gerade dann, wenn die Herren sie die ganze Zeit bedrängten mit ihren Anrufen. Was sie gerade ihm verübele, denn sie habe eigentlich seit Jahren schon erwartet, dass er sie endlich einmal anrufe, der feine Herr L. oder ob er vielleicht ein Problem mit Frauen habe, ob es da vielleicht ein paar unausgesprochene Sachen gäbe, es sei doch nun einmal sein verdammter Job, warum er das einfach habe abreißen lassen …

Da war ihm hörbar jemand böse für ein jahrelanges Schweigen.

Aber warum nur?

Das wollte sie ihm am Telefon nicht sagen. Das habe sie schon seinem Fräulein Dingsbums erzählt.

Aber was hatte sie erzählt?

„Ich weiß, dass du sie angebetet hast.“

„Nur ihre Musik.“

„Ach ja. Und die langen Beine? Die Stimme? Die großen Augen?“

Normalerweise war das so ein Moment, in dem er (wäre er ein Anderer gewesen) alles hätte abstreiten müssen, auch wenn der kleine Jungspund von Kultur-machste-schnell-noch-mit-Redakteur tatsächlich von der Musik geschwärmt hatte. Hatte er auch. Wer Ohren hatte, konnte bei den Liedern der Diva nicht unberührt bleiben. Oder gar den Schiedsrichter spielen, wie es einige Kollegen gern taten, die so viel Mitgefühl hatten wie eine Ladenkasse oder eine Tüte Steckrüben.

„Von den Beinen weiß ich nichts. Sie hat immer nur Kleider getragen. Mit Flitter und so …“

„Auch im Bett?“”

„Woher soll ich das wissen?“

„Du hättest bestimmt gern … ihr … ihr Männer.“

„Ach, die Männer nehm’ ich ganz bestimmt nicht in Schutz. Aber soll ich dir mal was sagen, mein liebes Mauerblümchen Sternenscheinchen? Soll ich dir mal was sagen …“

Und dann ging er erst mal die Klöße retten und das Kraut und die kleinen runzligen Dinger, die in zu heißem Fett gebadet hatten.

„Mein großes, unvergleichliches, ungewöhnliches Techtelmechtel mit der singenden Königin von L. ist damals gescheitert, völlig und gründlich gescheitert. Und soll ich dir sagen warum, liebes Wiesenveilchen?“

Sie hätte ja fragen können „warum?“

Aber Frauen erwarten in solchen Situationen immer das Entsetzlichste. Zumindest hatte er das Gefühl, und meistens trog es ihn nicht.

„Weil mich damals ein völlig unscheinbares kleines Mädchen, das manchmal entsetzlich grausame Sachen zusammengekocht hat …“

Na gut, es würde also kein Fleisch geben heute. Aber wer will schon Fleisch essen, wenn die von Entsetzen gebeutelte Mascha vor einem stand und auf das Schlimmste wartete. Sein Taschentuch hatte sie trotzdem genommen. Wenn Wasser in die Augen läuft, hilft eben alles nichts.

„Weil dieses verflixte Biest mich um alle zehn Finger gewickelt hat und …“

„Und das war’s?“

„Ja. Konnte ich mich nicht wehren. Ist mir so passiert. Kann ich nix für. Und diesen blöden Hochzeitstag …“

„Wir haben gar nicht geheiratet.“

„Ja, dachte ich mir.“

„Ich hätte es verstanden“, schniefte Mascha.

„Ich nicht“, sagte Herr L.

„Aber jetzt ist sie wieder da …“

„Ich hab ihr gesagt, dass ich auf keinen Fall allein komme.“

„Weil du Angst hast, dass sie …?“

„Dass sie noch immer jeden Kerl vernascht?“

„Ja.“

„Nein. Das hat sie noch nie getan.“

„Aber du selbst hast …“

„Weiß ich. Aber genau das ist ihr Problem. Die Leute verwechseln sie mit ihrer Stimme.“

„Aber sie hat wirklich eine …“

„Ja.“

„Und sie kann damit jeden Kerl …“

„Nein.“

„Und warum nicht?“

„Weil es sie schon zwei Mal in Behandlung gebracht hat. Die Kerle verstehen es immer falsch.“

„Was für eine Behandlung …“

„Du weißt schon …“

Später am Abend brachte sie dann auch noch die Frage an, die sie sich lieber noch ein Momentchen aufgespart hatte, bis das Schniefen etwas nachließ und sie den Kerl am Tisch wieder etwas klarer sehen konnte. „Und wen nimmst du mit?“

„Hat sie auch gefragt. Da hab ich aber einfach gesagt, ich bring die enervierte Dame vom Telefon mit, die wird schon auf mich aufpassen.“

„Auf dich, du Casanova?“

„Oder auf uns alle drei. Aber ich glaube, am meisten musst du auf die Diva aufpassen.“

„Damit sie dir nicht um den Hals fällt?“

„Nein, damit sie nicht nervös wird und dicht macht. Ich hab sie nicht ohne Grund ein paar Jahre nicht angerufen.“

„Aha.“

„Nein. Gar nicht. Aber sie verweigert alle Interviews.“

Man vergisst ja so viel, wenn man im täglichen Trott ist, eine Geschichte die andere verdrängt, eine wichtiger scheint als die andere. Manchmal kommen Menschen einfach auch deshalb in Vergessenheit, weil sich niemand mehr um ihre Pläne, Träume und Auftritte kümmert. Wer nicht pflegeleicht ist und immer lächelt, wer auch noch dickköpfig ist … war sie das? Vielleicht nicht mal das. Eher leicht zu verstören, manchmal wütend.

Wenn aber niemand mehr über die Programme schrieb, die die Diva in immer kleineren Clubs sang, dann verschwand sie einfach. Wurde ausgelöscht, als hätte es sie am kleinen Musikhimmel dieser engherzigen, nachtragenden Stadt nie gegeben.

„Doch ja“, sagte er dann, ganz zusammenhanglos, als er merkte, dass er mit Mascha in seinem Lieblingssessel hockte, ganz eng verquickt. Wer weiß, wie er da hingekommen war, Mascha in der linken, in der Rechten ein Gläschen mit schon schön handwarmem Wein. Das war wirklich besser als „Meister Floh“.

„Was?“, fragte Mascha.

„Na ja, vielleicht hätte ich mich doch ein bisschen kümmern sollen, dass diese runzlige kalte Stadt unsere Diva nicht vergisst …“

„Vorhin hast du noch …“

„Stimmt ja. Aber augenscheinlich bin ich der Einzige hier, der mit einem riesigen Elefantengedächtnis herumläuft und der noch weiß, wer hier mal gesungen hat, dass sich diese ganze blasierte Bande nicht einkriegen konnte, sich mit der Stimme dieser Stadt feiern zu lassen. Einer von diesen Affen wollte ihr sogar eine Tournee nach Japan organisieren ….“

„Und, hat er?“

„Hat er nicht.“

Und dann schwiegen sie ein Weilchen, wie man das so macht, wenn man gerade nicht den „Meister Floh“ lesen mag, aber vom Abend noch ein schönes Stück übrig ist, das ein bisschen nach gut gekochtem Kraut riecht, nicht so teurem Rotwein und ein bisschen Freude, dass nur das blöde Fleisch angebrannt ist. Dabei hatte Mascha ein extra gutes Stück beim Fleischer geholt und extra viel bezahlt dafür, um ihrem L. eine extraschöne Freude zu machen. So ging es hinweg. Ungenossen. Zumindest von diesen Beiden, die an diesem Abend auch keine weitere Gesellschaft brauchten.

Die komplette Serie zum Lesen.

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