Leserclub„Eure Sorge kann erdrückend sein“, maulte Herr L. hinten auf der Rückbank des „Tschaika“, der mitten am Tag hinausschnurrte ins Grüne, dorthin, wo hinter (oder vor) der Stadt noch ein paar Bäume standen, Schilf raschelte, Enten schnatterten und sich ein paar Seen tummelten. Oder eher gelangweilt herumlagen, weil gerade Werktag war. „Gibt neue Nachricht von Chaifisch.“

„Welchem Haifisch? Ich kenne keinen Haifisch.“

„Kennst du wohl. Gute Freund von Fuchs und Mischkabär. Hat schicke Rechtsanwaltskanzlei in Schwabenländle.“

„Ich mag keine Rechtsanwälte.“

„Kann ich verstehn. Viele Zähne, große Maul und immer hungrig.“

„Wer? Rechtsanwälte?“

„Aber nein. Chaifisch. Große Räuber in Teich“

„Du meinst: im Meer.“

„Nein. Chab gesagt Taich, mein ich auch Taich. Guck chin.“

Und Herr L. guckte hin und sah nur Wasser, Schilf, drei Enten, einen Haubentaucher und den Reiher Maik, der längst so zutraulich war, dass er den Anglern die Fische aus den Eimern fraß. Jetzt hockte er auf seinem Lieblingsast und schielte herüber. Vielleicht in der Hoffnung, dass die drei Männer, die da aus der glänzenden Limousine (ja, Oleg hatte sein Auto über Nacht wieder schön poliert) stiegen, ihm ein paar Fische aus dem Wasser holten. Oder welche mitbrachten. Doch sie hatten nicht.

Und Haiflossen waren auch nicht zu sehen, die durchs Wasser glitten.

„Das habt ihr also wieder im Darknet gelesen?“

„Nein. Diesmal nicht“, sagte Oleg, der seinem Freund Oleg sanft die frisch gedrehte Papirossa aus der Hand nahm und sie sorgfältig in das Tütchen steckte, in dem Oleg seinen Tabak hatte. „Weißt doch, Olja, du musst aufchören mit die Laster. Denk an deine Cherz.“

Und Oleg nickte tapfer und steckte das Tütchen ein.

„Hab ich was verpasst?“, wollte L. wissen. „Hast du Herzprobleme, Oleg?“

„Ja“, nickte Oleg. „Große.“

Und dann diese Aufregungen? War das gut?

„Geht schon ganze Weile so“, fügte Oleg noch hinzu, der seinen Freund fast liebevoll anschaute dabei. „Chat er sich verliebt in braunäugige Gazelle von Mini-Markt. Aber die kann Rauch nicht ausstehe, verstehst du? Ist Wahnsinnsweib, kriegt aber Anfälle, wenn Oleg nur pustet.“

Und Oleg nickte. So, wie ein großer starker Kerl nickt, wenn er weiß, dass er auf eine Freude im Leben verzichten muss, wenn er die andere haben will. Aber er hatte ja Oleg, wie es aussah, der sich kümmerte und ihm auch noch zärtlich das Tütchen aus der Hand nahm.

„Alles gut?“

Oleg nickte.

„Dann sag ich dir was mit Chaifisch. Chaifisch an Mischkabär. Hat er ihm freundliche Botschaft geschickt in schreckliche Englisch. Gestern Abend noch. ‚Schaffe mir den Kerl von Hals, aber dalli. Ist zu neugierig. Wühlt alles wieder auf.‘ – Na, fällt Groschen? Kannst du nun begreifen, warum dein Oleg so groß in Sorge ist um dich?“

„Und ich auch“, fügte der nun rauchlose Oleg hinzu, der seinen kleinen Kummer wohl überwunden hatte und dafür mit Kieseln warf, die er über den Teich schnippen ließ. Nur schnippten sie heute nicht, weil der Wind das Wasser kräuselte. Und der Reiher Maik fühlte sich gestört und schwang sich beleidigt davon.

Eine Idylle von Seebild.

„Gestern Abend, sagst du?“

„Ja, chat mir Freund gegeben, den ich gebeten chabe. Cleveres Kerlchen. Kann richtig gut mit Computer.“

„Dann frag ich dich mal was, lieber Oleg, wo du doch so viele gute Freunde hast: Was kostet es, einen Polizisten in diesem unseren Lande hier zu kaufen.“

„In diesem chier? In schöne Sachsen?“

„Ja. Dass das in Moskau billiger ist, weiß ich. Aber wie viel kostet das? Zum Beispiel, wenn ein paar gute Freunde wissen wollen, was im Polizeipräsidium los ist?“

„Kann ich nicht sagen. Bin braver Staatsbürger. Aber wenn ich sagen müsste …“

„Na? Sag’s doch!“

„Habt doch gute deutsche Wort dafür. Musst du nur Polizist knapp halten, dass er sich ärgert. Und wenn er sich ärgert, dann kriegst du ihn mit Peanuts. Hat doch gesagt euer große Bankchef da.“

„Hat er gesagt“, bestätigte Herr L. „Kommt aber wohl darauf an, wer da bezahlt. Ich würde mal so sagen: Peanuts für Haifische, stimmt’s?“

„Komm ich nicht mit. Glaubst du, Chaifisch hat Polizist gekauft?“

„Möglich.“

Nur eine Frage rumorte noch in L.s Kopf. Hatte er selbst tatsächlich die Raubtiere aufgescheucht? Oder hatte längst jemand anders dafür gesorgt? Die Antwort würde er vielleicht noch heute bekommen. Denn wenn seine Vermutung stimmte, dann würde der kauzige Ex-Kommissar in der Asservatenkammer des Polizeipräsidiums ein hübsches leeres Fach finden. Einen Vorgang ohne Inhalt. Vielleicht noch mit einer neckisch platzierten Praline. Und niemand würde sagen können, wo die Beweismittel aus dem Todesfall „Löwengehege“ geblieben wären.

Aber das waren jetzt nur Vermutungen. An einem idyllischen Plätzchen, dessen Stille sogar Oleg zu würdigen wusste.

„Schade, dass die hier lauter Klötzer hinbauen wollen. Wie kann man nur so ein schönes Fleck Land verkaufen.“

Das Bauschild hatte er also auch gesehen.

„Ich glaub nicht, dass es jemand verkauft hat.“

„Meinst du: Einfach verschenkt? Unter Freunden?“

„Eine Hand wäscht die andere, weißt du doch. Wer schönes Land zu vergeben hat, hat bald ganz viele Freunde. Dereinst, in längst vergangenen Zeiten, mein lieber Oleg, war der Herr Fuchs ein Mann, der viele schöne Stückchen Land zu verwalten hatte.“

„Ich dachte, chier gehts um Chaifisch.“

„Dein kleiner verfressener Haifisch hat dieses hübsche Stück Land gekauft. Hast du es nicht gelesen? SHARK Corp.. DER BAUHERR IHRER TRÄUME.?“

„Ist doch aber Wassergrundstück. Ist das nicht verboten?“

„Nicht dass ich wüsste. Weißt du, seit damals hab ich immer mal wieder so einen dämlichen Traum. Geh ich ganz allein durch eine Stadt. Ganz leer alles, nur lauter Schaufenster. Und immer wenn ich einen Schritt mache, macht es Bing.“

„Bing?“

„So wie eine alte Ladenkasse. Immer: Bing. Und auf einmal eine Stimme von der Seite. Oder von hinten, was weiß ich: ‚Sie haben Ihr Limit erreicht. Verlassen Sie die Straße.‘ – Aber ich kann die Straße nicht verlassen. Und als ich anfange zu laufen, macht es immer schneller Bing, Bing, Bing. Und dann …“

„Dann war’s eine schöne Blondine mit Klackerschuhen?“

„Nein. Dann kam ein Kassierer mit einem Sack …“

„War ein Alptraum.“

„Nein. Ich glaube, das war nur die Wirklichkeit. Sie kaufen dir die ganze Landschaft unterm Hintern weg. Und dann verlangen sie Geld dafür, dass du auf ihren Straßen laufen darfst. Oder ihren blöden Seegrundstücken stehst. Guckt mal …“

Und tatsächlich kam ein kleines schwarzes Auto auf die Wiese gefahren, so ein Streifenfahrzeug vom Wachdienst, und ein blasses Bürschchen im Schwarzmann stieg aus und begann gleich grimmig zu rufen: „Was machen Sie hier? Das ist Privatgelände! Wer hat Ihnen ….“

Aber wahrscheinlich hatte er einen schlechten Tag oder die falsche Brille auf. Als Olegs Oleg sich vor ihm aufstellte, schaute er jedenfalls etwas verwirrt in die Höhe. „Was kostet denn dein Privatgrundstück chier?“

„Ist nicht meins. Verschwinden Sie. Sonst muss ich  …“

„10 Euro? 50 Euro? 100? Chast du eine gute Preis? Kann ich kaufe?“

Aber darauf ging der Kleine nicht ein. Er schaute nur etwas verstört, als Oleg begann, ganz langsam Jacke und Hemd auszuziehen. Was seine bärigen Muskeln erst einmal so richtig zum Vorschein brachte. Das ging dann ganz flott, wie der Kleine, als hätte er es sich schnell überlegt, zu seinem Wagen flitze und davon sauste. Während Oleg auch noch den Rest auszog und dann über den Steg mit großem „Churraaa!“ ins Wasser sprang. Sehr zum Entsetzen von Maik, dem Reiher, eines Hechtes und mehrerer Stockenten.

„Dein Kassierer war aber pflegeleicht“, sagte Oleg zu Herrn L.

„War ja auch kein echter“, sagte L. „Die echten bringen immer gleich ihren Rechtsanwalt mit.“

„Ich sehe, du liebst Rechtsanwälte.“

„Nein. Ich liebe Haifische. Aber Rechtsanwälte kann ich nicht ab.“

Und draußen im Teich drehte fröhlich prustend ein Haifisch namens Oleg seine Runden.

„Könnt ich ewig hier sitzen“, sagte Oleg.

Und sicher war es Zufall, dass nachher auf dem Bauschild keine hübschen Wohnklötzer mehr zu sehen waren. Nur eine eindringlich rot geschriebene Warnung: „VORSICHT HAIE!.“

„Ich war’s nicht“, sagte Oleg.

„Ich auch nicht“, sagt L.

Nur der andere Oleg klapperte mit den Zähnen. Aber der kann es auch nicht gewesen sein.

Alle Teile der Serie zum Nachlesen.

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar