In dieser Woche wurden wir ja regelrecht überschüttet. (Fast) Jeder von uns bekam ein Päckchen geschickt. Direkt vom MDR. Das passiert selten. Meistens kommen die Schnitzelchen per E-Mail, wir gucken uns das an, kratzen uns am Hinterkopf und fragen uns: Ist das wirklich das, was die Leute interessiert? Na gut, das blieb uns auch diesmal nicht erspart.

Ein nettes Anschreiben von Ines Schulz steckte drin (Hauptabteilung Kommunikation des MDR), eine Faltkarte mit Programmtipps und ein Stick im Scheckkartenformat. Alles rund um die ARD-Themenwoche 2017: „Woran glaubst du?“

Glaub ich nicht, hab ich gesagt. Ist es jetzt wirklich schon so weit?

Lies erst mal, redeten mir meine Kollegen zu. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm.

Also Chipkarte einstecken, Dateien öffnen, lesen. Lesen. Eine „Pressemappe“ steckte drin: 100 Seiten, bunt bebildert, wie man das von MDRs kennt. Denn der heimelige Heimatsender hat für die ARD diese Themenwoche übernommen. Lag wahrscheinlich irgendwie nahe, wo doch so viele Bischöfe und Kardinäle im Rundfunkrat sitzen.

Aber 100 Seiten Pressemappe? Die gar keine Pressemappe ist, sondern eine Werbebroschüre für die Themenwoche mit lauter Vor- und Geleitworten. Salbungsvoll natürlich. Ich bin wirklich froh, dass ich in diesen Heiligen Hallen nicht arbeiten muss.

Rundfunkpfarrerin Karola Wille zum Beispiel schreibt: „Wir nähern uns der Frage ‚Woran glaubst Du?‘ von verschiedenen Seiten. Auf der individuellen Ebene wollen wir dazu anregen, über die Grundpfeiler des eigenen Lebens nachzudenken: Was gibt meinem Leben Sinn? Was ist mein Halt? Ist mir etwas heilig?“

Tut mir leid, bei der Predigt bin ich ausgestiegen.

Oder Wolf-Dieter Jacobi, Vorsitzender der ARD-Fernsehkommission und Programmdirektor MDR: „Auch ein besonderes Multimedia-Projekt wird die vielen Gesichter des Glaubens zeigen: Jeder ist eingeladen, die Frage ‚Woran glaubst Du?‘ für sich zu beantworten. Sämtliche Social Media-Kanäle der ARD stehen dazu bereit. Am Ende fließen alle Gedanken in einer großen Online-Karte zusammen, in der wir entdecken können, wie vielfältig die Glaubenslandschaft in Deutschland 2017 ist.“

Du Heiliger Bimbam. Wird jetzt gleich der Weihrauchwedel herausgeholt? Die esoterische Lockenwelle?

Was da in den Köpfen unserer Fernsehmacher durcheinanderläuft, das macht Nathalie Wappler, Vorsitzende der ARD-Hörfunkkommission und Programmdirektorin MDR, klar, wenn sie vor sich hinbetet: „Wir erleben gerade, dass sich in Teilen der Gesellschaft Überzeugungen radikalisieren. In dieser Situation will die ARD einen gesellschaftlichen Dialog befördern, der auf weltanschauliche Toleranz als Grundhaltung abzielt. Was der eine glaubt, mag dem anderen wunderlich erscheinen oder ihn gar befremden – das gilt es grundsätzlich auszuhalten und zu akzeptieren. Gleichzeitig aber geht es darum, die Grenzen des Tolerablen auszuloten und die Regeln und Grundsätze des Zusammenlebens in der Gesellschaft anzusprechen. Dies ist Teil des Programmauftrags der Radiosender der ARD und ein Ziel der diesjährigen ARD-Themenwoche.“

Hier geht also einiges durcheinander: Religion wird mit Toleranz verwechselt, Glauben mit Moral.

Auf die Idee muss man erst mal kommen, wenn man den „gesellschaftlichen Dialog befördern“ will, und dann ausgerechnet auf Glauben kommt.

Nein. Ich finde es gar nicht schlecht, über diese Dinge nachzudenken. Aber bitte ohne Weihrauch, ohne dieses Moralgetue. Denn unsere Tanzgesellschaft hat natürlich Dialog-Probleme. Aber die haben wenig bis nichts mit fehlender „weltanschaulicher Toleranz“ zu tun. Zumindest nicht, was Kirche und Glauben betrifft.

Und auch die etwas später auftauchende krachlederne Gleichsetzung Glauben und Gewalt erzählt eigentlich nur davon, wie unsere Heimatsender die politischen Ereignisse und Nachrichten der letzten Jahre so für sich und das beschwipste Publikum interpretiert haben. Was übrigens dazu beigetragen hat, dass ein Bild von einem terroristischen Islam entstand, obwohl alle Ursachen dieser Entwicklung rein politische waren, gut bezahlt von Interessengruppen, gefüttert von Waffenfabrikanten und befeuert von Politikern, die auf Konflikte nur zu gern mit Bomben antworten.

Und dann haben die Macher der Themenwoche auch noch ein paar Daten gesammelt zum Glaubensverständnis der Deutschen. Und sie haben sich die Frage gestellt, ob Glauben und Werte tatsächlich so zusammenhängen, wie es immer wieder behauptet wird. Sie haben ja ein ideales Testfeld: die Ostdeutschen. Ja: Das sind diese ungläubigen Bewohner der Gegenden jenseits von Glauchau und Rostock.

Wer mag, kann nachlesen: „Heute ist im Osten Deutschlands nur noch jeder Fünfte Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche. Die Austrittszahlen bleiben beständig hoch. Doch hat das auch Einfluss auf das soziale Verhalten und die gelebten Werte? Welche Folgen hat die verbreitete Konfessionslosigkeit für die Lebensentwürfe und Wertemuster der Menschen im Osten Deutschlands, insbesondere der Jugendlichen?“

Und dann hat man noch ein paar Regionen direkt verglichen und glaubt, tatsächlich eine Beziehung entdeckt zu haben: „Eine eindeutige Antwort kann es nicht geben, zu groß ist der Einfluss weiterer Faktoren wie Einkommensverteilung, Bildungsstand und Zukunftsperspektive auf diese Fragestellungen. Dennoch gibt es einige Indikatoren, die einen Hinweis darauf geben, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen religiöser Bindung und sozialem Verhalten in Deutschland und insbesondere in Ostdeutschland gibt.“

Zumindest in der Pressemappe und im beigegebenen Datendossier habe ich diese Korrelation nicht gefunden. Ich hab sogar extra die Brille aufgesetzt. Aber vielleicht gibt’s ja bei MDRs andere Brillen. Auch wenn man annimmt, dass Teenager-Schwangerschaften vielleicht etwas mit den Moralvorstellungen bestimmter Kirchen zu tun haben könnten (in katholischen Gegenden gibt es tatsächlich weniger Teenager-Schwangerschaften, wer hätte das gedacht?) oder gar „uneheliche Geburten“ von einer besonderen Moralvorstellung erzählen (die Ostdeutschen heiraten einfach seltener – und „uneheliche Geburt“ klingt trotzdem wie eine Anklage), einer irgendwie unmoralischen, oder wie?

Eigentlich geht es doch um die Frage: Wie modern sind eigentlich unsere Gesellschaften? Und was kennzeichnet moderne Vorstellungen von Leben und Partnerschaft eigentlich aus?

Ja, sorry, das darf man das deutsche Pantoffelkino nicht fragen. Sonst fällt demnächst der Fernsehpfarrer aus.

Sie merken schon: Sofort verändern sich Thema und Blickwinkel völlig und das ganze Hinterposemuckelsche in der Weltsicht unserer öffentlich-kirchlichen Sender wird deutlich. Wo man Religion und Moral einfach nicht auseinanderbekommt und sich nicht vorstellen kann, dass eine aufgeklärte Gesellschaft ihre Wertvorstellungen ganz ohne Religion entwickeln kann. Und muss. Denn dazu haben wir ja unseren Verstand, sagte mir mein Mathe-Lehrer immer: Streng dich doch mal an Leolein, es gibt Regeln, beim Rechnen und beim Mädchenärgern.

Und vor allem – was bei unseren Öffentlichen Glaubensanstalten selten bis nie vorkommt – wie macht man das, unsere Gesellschaft zu verändern, dass sie den ungezähmten Wilden (meinen Freund Maxe zum Beispiel) dazu bringt, sich wie ein aufgeklärter und toleranter Mensch zu benehmen.

Ich weiß, manche packen es nie.

Intoleranz ist – so weit ich das in meinem nun wirklich nicht mönchischen Leben erleben konnte – nicht nur ein individuelles Problem, wie es einige der Sendungen in dieser wolkigen Themenwoche suggerieren. Es ist auch ein Gruppenproblem. Früher war’s Maxes Familie, wo manchmal ein paar leere Bierkästen eine nicht unwichtige Rolle spielten. Heute seh ich dieselben Verhaltensweisen sogar in religiös angehauchten Parteien (Wir sind natürlich immer die Guten.) und auch in eigentlich anständigen Ämtern und Staatsbehörden, wo Leute mit christlicher Armesündermiene öffentlich Intoleranz vorleben. Aber immerfort Wasser predigen.

Diese Zwiezüngigkeit hat mich schon immer aufgeregt. Das Thema hätte – wie man sieht – eine Menge Zündstoff geboten.

Draus gemacht hat man wieder einen kleinen esoterischen Jahrmarkt. Der beginnt morgen. Am Heiligen Sonntag, 11. Juni.

Nachdenken über …

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