Ich habe da so ein Gefühl. Natürlich kann es trügen. Wie jedes Gefühl trügen kann. Es ist dieser Moment in der Talkshow von Sandra Maischberger, in dem Wolfgang Bosbach aufspringt und embrassiert die Talk-Runde verlässt. Auf den ersten Blick nur eine völlig eskalierte Talkrunde, passend zu den Hamburger Ereignissen um G20. Auf den zweiten Blick ein Hoppla-Erlebnis für die mögliche Zukunft des Journalismus.

Denn was ist da eigentlich passiert? Dass ein gestandener Politiker in Rage so eine Diskussionsrunde verlässt, ist nicht neu. Das ist auch zuvor schon passiert. Auch erfahrenen Politikern, die sich in ihrer Ehre gekränkt fühlten, von dem Gesprächspartner zu Unrecht angegriffen oder einfach in ihrer Eitelkeit verletzt. Bosbach ist seit 42 Jahren in der Politik, ist die bekannteste Gestalt aus dem Berliner Kreis der CDU. Einer sehr rechten Gruppe in der Unionsfraktion, wo man gerade bei Sicherheitsthemen zu extremen Positionen tendiert. Bosbach natürlich auch, der schon seit dem Jahr 2000 eine noch stärkere Überwachung in Deutschland fordert.

Er ist ein Mann, der sich nach all den Jahren im Bundestag auf einer Position verortet, auf der er glaubt, ein Thema so professionell zu beherrschen, dass er sich von niemandem mehr dreinreden lassen möchte. Bei anderen Politikern beginnt so eine Haltung schon früher zu entstehen: Sie schaffen sich Netzwerke, die genauso denken wie sie, sie sammeln Leute um sich, die ihre Haltungen unterstützen.

Nicht nur „besorgte Bürger“ leben in ihren Filterblasen, auch Politiker. Was so lange gutgeht, wie sie immer wieder zur Korrektur gezwungen werden – in der Regel durch Wahlniederlagen und neue Regierungskonstellationen.

Aber was passiert, wenn eine Partei so lange regiert wie die CDU?

Und nicht einmal ein politischer Sparring-Partner in Sicht ist, der ihre Art, Themen wie Sicherheit zu behandeln, konstruktiv infrage stellt? Der einem übermächtigen Bundesinnenminister ein innenpolitisches Schwergewicht entgegensetzen kann, das alles, was der Minister äußert, prüfen und hinterfragen kann?

Dann entsteht ganz sichtlich das Gefühl bei denen, die da so lange und unangefochten regieren, dass alles richtig ist, was sie tun. Und dass jedes Hinterfragen der Ergebnisse schon nahe an Majestätsbeleidigung grenzt. Die innere Korrektur ist ausgeschaltet. Es entsteht ein Raum der kritiklosen Wir-machen-das-einfach-Mentalität. Genau das, was mit G20 in Hamburg passiert ist. Alle kritischen Stimmen, die es im Vorfeld zu hören gab, wurden vom Tisch gewischt. Man hat einfach gemacht.

Und hat ein Ergebnis bekommen, das so überhaupt nicht zu dem passen will, was man vorher alles behauptet hat. Normalerweise setzen sich dann die Verantwortlichen im stillen Kämmerlein hin und untersuchen dann gründlich, was warum nicht so geklappt hat wie erwartet.

Und zwar: ergebnisoffen.

Wer sein eigenes Tun nicht mehr in der Lage ist infrage zu stellen, der wird zum unkontrollierbaren Radikal. Was in der Politik eigentlich nicht passieren darf.

Nur: Statt sich hinzusetzen und eine professionelle Fehleranalyse zu machen, hatten alle im Fall Hamburg politisch Verantwortlichen (bis hin zum überforderten Bundesinnenminister) nichts Eiligeres zu tun, als mit dem Finger auf die randalierenden Linksradikalen zu zeigen: „DIE sind schuld!“

Da rechnet man ganz offiziell mit 8.000 anreisenden gewaltbereiten Linksradikalen – und dann kommen nur geschätzte 1.500 und trotzdem entgleist die Sache. Da kann kein Einsatzleiter, kein Polizeipräsident, kein Innenminister mehr sagen: „DIE sind schuld!“

Da ist die eigene Strategie gescheitert. Oder noch etwas zugespitzt: das eigenen Denken. Jene Art Denken, in dem Bosbach und seine netten Freunde zu Hause sind.

Was aber frappiert an diesem Bosbach-Moment so?

Hat der Mann nicht alle Zeit der Welt? Er muss keinen Wahlkampf mehr machen, denn er tritt für den neuen Bundestag nicht mehr an, wird nur eher so eine Art innenpolitischer Berater für die neue CDU/FDP-Regierung in NRW. Und aus seiner Warte (und der seiner innenpolitischen Kollegen in der CDU) wurde doch alles richtig gemacht. Seit Tagen fluten die eiligen und auf Reichweite besessenen Medien ja die Welt mit lauter Statements von Unionspolitikern, die immer härteres Vorgehen gegen Linke und Autonome und Linksradikale sowieso fordern.

Sie dominieren die Diskussion. Selbst Bürgermeister, die nichts mit Hamburg zu tun haben, werden zum Kotau und zur Erklärung aufgefordert, dass sie sich strikt gegen jegliche Gewalt verwahren.

Und dann rastet Wolfgang Bosbach aus und will sich die Kritik an der Hamburger Polizeistrategie nicht bieten lassen.

Steht auf und geht.

Als wenn in diesem Moment die ganze Hamburg-Diskussion gekippt wäre. Auf einmal reißt ein Vorhang auf und der Zuschauer sieht: Da sind in Hamburg nicht nur ein paar gewalttätige Linke ausgeflippt. Bei einem Hardliner der CDU-Innenpolitik, der selbst an Vorbereitungssitzungen teilnahm, liegen nun die Nerven blank. Er ist nicht fähig, seine Position ruhig zu begründen. Schon gar nicht im Zustand der Kritik. Er hält das nicht aus, denn er vermag die Kritik an der Polizeistrategie nicht wirklich zu widerlegen. Immer nur wieder zu wiederholen, dass man hinter seiner Polizei stünde und die verletzten Polizisten bedaure, reicht nicht.

Womit sich das Gepolter all der Medien, die in den vergangenen Tagen genauso wie die CDU-Wortführer geharnischte Predigten und Verdammungen zu den reineweg linken Krawallen veröffentlicht haben, als fadenscheinig erweisen. Da haben eine Menge Medien  (unsere geliebten Regionalzeitungen mal wieder mittenmang) selbst Politik gemacht, die Stimmung angeheizt und Vorurteile geschürt.

Nur eins haben sie unterlassen: Eine ruhige, gründliche Fehleranalyse. Die tauchte dann eher in den etwas liberaleren bundesweiten Medien auf. Aber auch dort nicht überall. Und auch nicht wirklich so, dass man vermuten durfte, dass sie es noch wirklich ernst meinen mit einer gründlichen Analyse dessen, was uns mittlerweile als Politik geboten wird.

Deutliches Zeichen dafür, wie sehr viele Medien mittlerweile nur noch Getriebene sind.

Man lässt sich von den Ereignissen diktieren, was berichtet wird. Und von überdrehten Meldungen in den sozialen Netzwerken lässt man sich Tempo und Sichtweise diktieren.

Mit dem Eindampfen der Redaktionen hat man etwas Wichtiges verloren: das Misstrauen in die Wahrnehmung dessen, was passiert. Obwohl man das mal kannte: Trau nie dem ersten Eindruck, ist eigentlich eine der wichtigsten journalistischen Regeln. Trau keiner Pressemitteilung, wenn dir der Bezugsrahmen und die Hintergrundinformationen fehlen.

Trau ihr erst recht nicht, wenn darin mit Emotionen gespielt wird. Was heute selbst auf offizielle Pressemitteilungen aus Landesregierung und Bundesministerien zutrifft. Auf die aus Abgeordnetenbüros sowieso.

Die Gewichte haben sich in den vergangenen 20 Jahren völlig verschoben: während Politik und Unternehmen ihre PR-Abteilungen massiv ausgebaut haben, sind die Recherche- und Faktencheck-Abteilungen der Medien rücksichtslos eingedampft worden. Wer am Newsdesk an der Tastatur sitzt, hat niemanden mehr hinter sich, an den er fragwürdige Meldungen „schnell mal“ zurückspielen kann, damit die Fakten geprüft werden können. Das schafft er entweder allein – oder es gehen Meldungen online, die mit Seriosität nicht mehr viel zu tun haben. Meistens schaffen es die Getriebenen am Newsdesk überhaupt nicht.

Denn sie befinden sich in einem permanenten Hasenrennen mit anderen Getriebenen in anderen Redaktion; jeder will der Erste sein, wenn es um die „brandheiße Nachricht“ geht.

Ich weiß nicht, ob das ewig so gutgehen wird. Diese Art Journalismus zerstört sich selbst, weil sie ihr wichtigstes Gut zerstört: ihre Glaubwürdigkeit.

Das Erstaunliche ist, dass sich gerade konservative Politiker auf dieses Spiel eingelassen haben und mit dieser Ãœberhitzung und Emotionalisierung der Politik glauben, ihren Weg zur Dominanz in den politischen Diskussionen gefunden zu haben.

Aber wie lange geht das gut?

Bis zur nächsten Talkshow, in der einer dieser Unkritisierbaren aufspringt und den durchaus stimmigen Eindruck des Überfordertseins hinterlässt? Nicht nur Wolfgang Bosbach zeigt sich damit unsouverän – dazu war das Thema zu hoch aufgehängt. Dieser Mann, der oft genug als DER Innenexperte der CDU gehandelt wurde, zeigte mit seinem Abgang, dass all die gespielte Ernsthaftigkeit der deutschen Innenpolitik nur Show ist: Ein bisschen Kritik reicht aus, um sichtbar zu machen, dass dahinter alles nur Provisorium ist, notdürftig zusammengebunden, im Praxistest so ganz unübersehbar gescheitert.

Es sind sichtlich nur Dilettanten, die da augenblicklich Innenpolitik in Deutschland spielen. Der Bürger darf zu Recht Angst haben. Aber nicht vor den linksradikalen Krawallos – sondern vor den Dilettanten in Spitzenämtern, die nicht einmal die Grundlagen ihres Tuns begriffen haben. Es überrascht eher, dass das erst in einer Talkshow so deutlich sichtbar wird.

Aber vielleicht überrascht es auch nicht. Denn wenn selbst einstmals ressourcenstarke Medien kaum noch die professionellen Mannschaften haben, die fortwährend auch die Arbeitsstrukturen der Regierenden unter die Lupe nehmen, dann bekommt man so eine Schieflage.

Dann gerät aber auch Politik in Schieflage, leben Politiker immer mehr in einer Blase, in der sie das Gefühl haben, die Dinge zu beherrschen, weil nichts und niemand mehr mit ernsthafter Kritik an sie herankommt. Der Bürger sowieso nicht.

Aber Hamburg hat gezeigt, wie schnell diese in Watte gepackte Politik scheitert.

In einer kleinen Talkshow-Szene wird deutlich, warum so eine Gesellschaft eigentlich richtig kritische Medien braucht, die eben nicht alle „brandheißen Geschichten“ machen, dafür wieder etwas tun, was eine Demokratie dringend braucht: Politik immer wieder, tagtäglich, nervend und gründlich in ihrer Funktionsweise und ihren Ergebnissen zu befragen und zu hinterfragen.

Ich weiß: Das mögen viele politisch Handelnde nicht. Das ist so ärgerlich. Aber es ist die eine, so wichtige fortwährend Korrekturarbeit, die Medien zu leisten haben, wenn sie wirklich eine Rolle spielen wollen in einer (noch funktionierenden) Demokratie.

Und es sieht ganz so aus, als ob diese Rolle in nächster Zeit noch viel wichtiger wird. Und dass sie jede Unterstützung braucht, die die Bürger zu geben bereit sind. Denn ganz offensichtlich mögen gerade wirklich mächtige Politiker kein Korrektiv. Aber ohne den täglichen Druck zur Korrektur gerät Politik auf ganz seltsame Wege. Und die meisten davon sind für unsere Gesellschaft fatal und selbstzerstörerisch.

Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

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Keine Kommentare bisher

“Und es sieht ganz so aus, als ob diese Rolle in nächster Zeit noch viel wichtiger wird. Und dass sie jede Unterstützung braucht, die die Bürger zu geben bereit sind.”
Ja. Und mit Blick auf die Türkei müsste das eigentlich langsam jeder kapieren. Genau das ist es, was mir Angst macht, dass die kleinen, bissigen Vollblutzeitungen (und da zähl ich euch ganz weit nach oben) verschwinden und nur noch die Panikschreiber von BILD und Fokus übrigbleiben. Eine Horrorvorstellung, das darf auf keinen Fall passieren.

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