Es ist schon erstaunlich, wie viele Dilettanten sich heutzutage in die Politik verirren. Es scheint tatsächlich ein ziemlich verachtetes Gewerbe zu sein, wenn es Menschen wie Donald Trump an die Spitze des mächtigsten Staates der Erde spült. Na gut, das amerikanische Wahlsystem spielt dabei eine Rolle. Aber auch der Blick nach Europa zeigt, wie schnell es Dilettanten zu Präsidenten bringen. Und die haben alle ein Problem mit der Wahrheit.

Zwar haben auch die eher seriösen Politiker eines damit. Macht korrumpiert. Und sie macht ängstlich. Man bekommt es mit sensiblen Informationen zu tun, ganze Abteilungen erwarten geradezu, dass alle Dokumente mit „Geheim“, „Streng geheim“ oder noch schärfer bestempelt werden. Ganze Aktenberge verschwinden für Jahrzehnte in Giftschränken und gesperrten Archiven. Das ist nicht nur bei Trump so. Nur dass der Mann so unfähig ist, dass selbst die Leute, die er selbst in seine Nähe geholt hat, sich gezwungen sehen, mit Vertretern der Medien über die Dinge hinter den Kulissen zu plaudern. Höchst besorgt. Ein derart unbelehrbarer Präsident kann auch die stärkste Nation der Welt irreparabel schädigen.

Das ist wohl das Hauptmerkmal von Leuten, die in ihrer Eitelkeit die eigenen Fähigkeiten derart weit überschätzen. Wie gesagt: Es ist beängstigend, wie viele solcher Typen derzeit an Staatsspitzen gelangen konnten.

Dabei haben sie nicht einmal etwas zu verbergen. Ihre Lust an der Zerstörung gesellschaftlicher Sicherheitssysteme ist offenkundig. Sie reden ständig darüber. Alle Welt kann ihnen zuschauen, wie sie ihre Verachtung für Andersdenkende, Richter, Professoren, Wissenschaftler, Journalisten ausleben und mit Menschen umgehen, als seien sie nur störende Möbelstücke.

Niemand hat ihnen je erzählt, dass alle die Dinge, die sie so fürchterlich finden, extra geschaffen wurden, um zu verhindern, dass sie unsere Gesellschaft demolieren. Nicht nur ihren Machtrausch. Die Regeln sind dazu da, jeglichen absoluten Machtanspruch zu bremsen und selbst die rücksichtslosesten Typen nicht nur juristisch zu binden, sondern auch durch Öffentlichkeit. Denn wenn man gezwungen ist, öffentlich zu regieren, dann muss man die Regeln akzeptieren. Dann muss man die gewählten Parlamente einbeziehen und seine Anordnungen und Geldausgaben rechtfertigen.

Ich weiß: Das tun auch weniger machttrunkene Politiker ungern. Das nervt so. Und es kostet Macht. Gewaltenteilung bedeutet Machtverlust. Damit es keine neuen Napoleons, Sultane und Führer gibt.

Deswegen reagieren Leute in Machtapparaten immer wieder gekränkt, beleidigt und erbost darauf, wenn Dinge über ihre Arbeit nach außen dringen, die sie gern verschwiegen hätten. Die berühmte „Spiegel-Affäre“ basiert auf solch einem Fall. Oder der berühmte „Weltbühne“-Prozess 1931 vorm Reichsgericht. In beiden Fällen ging es um Aufrüstungen. Da sind Mächtige besonders sensibel. Denn wer seine politische Legitimität nicht in guter und transparenter Regierungsarbeit findet, die er seinen Wählern auch gut erklären kann, der setzt auf die altbewährten Machtmittel: Geheimdienste, Armee, Polizeigesetze. Und auf Paragraphen –  gegen Hochverrat und Geheimnisverrat.

Erst wenn Mächtige das Regieren zum Geheimnis erklären, haben sie einen Grund, gegen Geheimnisverräter drakonisch vorzugehen.

Wer Dinge aus den Tiefen der Apparate verrät und dann gar noch belastende Dokumente herausschmuggelt – ist der noch ein guter Bürger? Oder ein Verräter? Und wen verrät er? Einen überkandidelten Präsidenten? Eine heimlichtuerische Truppe von Leuten, die heimlich aufrüsten, während öffentlich Notstandsgesetze ausgerufen werden?

Man sieht ja schon: Je größer die Geheimnistuerei, umso gravierender der Verstoß, wenn aus den Heimlichkeiten geplaudert wird. Weswegen ja Edward Snowden bis heute in Moskau festsitzt. Was hat er bewirkt? Eine Flut von Berichten über die Vorgänge bei der NSA und die serienweisen Rechtsbrüche dabei. Aber gejubelt hat nicht mal die Bundesregierung. Man hatte ja die Rechtsbrüche zumindest geduldet. Und möglicherweise auch unterstützt. Wenn einer erst mal mit Geheimniskrämerei anfängt, kommt er da nicht so leicht wieder raus.

Deswegen ist natürlich das, was Trumps neuer Pressesprecher Anthony Scaramucci gerade zelebriert hat, von echt trumpschem Kaliber: Erst mal Drohungen gegen Leaker auszusprechen. Wer plaudert, fliegt. Außerdem sei es – na hoppla – unamerikanisch. So schnell verwandelt sich die gewollte Intransparenz von Regieren in etwas, was schon beinah an Landesverrat grenzt.

Und was hält man als Medienmacher davon? Brauchen wir Leaks? Helfen sie uns weiter? Kriegen wir nur so gute Geschichten?

Natürlich gibt es auch ohne Leaks aufmerksamen Journalismus. Zumindest da, wo sich die Redakteure nicht einschüchtern lassen und nachfragen, Fakten sammeln, am ganzen Bild arbeiten. Denn der Wunsch der Mächtigen ist ja: Dass die Außenwahrnehmung genau so ist, wie sie sich das wünschen. Nur ja keine Munition liefern, die ihr Tun angreifbar macht. Deswegen versuchen sie, die vollkommene Kontrolle über alle Kommunikationskanäle zu bekommen. Alle.

Was auch nicht neu ist. Kein geringerer als Heinrich von Kleist hat sich damit im fernen Jahr 1809 schon beschäftigt.

„Die französische Journalistik ist die Kunst, das Volk glauben zu machen, was die Regierung für gut findet“, heißt es in § 2 seines „Lehrbuchs der französischen Journalistik“. Er meinte damit wirklich die beiden großen Zeitungen, die damals dafür sorgten, dass das französische Volk möglichst wenig über die Misserfolge des allmächtigen Napoleon erfuhr.

Die beiden wichtigsten Paragraphen dürften einigen Regierenden und Medienmachern heute noch immer sehr vertraut vorkommen.

  • 5 „Was das Volk nicht weiß, macht das Volk nicht heiß.“
  • 6 „Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr.“

Die Methoden sind feiner geworden. Keine Frage. Aber es funktioniert. Die etwas klügeren Staatsleute wissen, dass man die trumpschen Holzhammermethoden gar nicht braucht. Es geht viel feiner. Man muss nur selbst seine Informationsmacht nutzen, den Leuten eine „etwas andere Sicht auf die Dinge“ klarzumachen. Das akzeptieren sie dann schon, wenn es nur oft genug gesagt wird. Und schön und reichweitenstark.

Nicht wahr? Stichwort Hamburg. Polizei und Regierende haben alles richtig gemacht. Nur die „Chaoten“ haben sich falsch verhalten. So einfach kann es sein. Die meisten Bürger lieben einfache „Wahrheiten“. Wie war das mit den verletzten Polizisten in Hamburg?

Kleist: § 15 „Hierbei braucht man nicht notwendig zu lügen. Man braucht nur z. B. die Blessierten, die man auf dem Schlachtfelde gefunden, auch unter den Gefangenen aufzuführen. Dadurch bekommt man zwei Rubriken; und das Gewissen ist gerettet.“

So geht das.

Und da sich in modernen Zeiten viele Medien an die breit gestreuten Schnellnachrichten halten, geht das ruckzuck: Das amtliche Bild gilt.

Und da es millionenfach verbreitet wird, ist es am Ende (fast) das einzige. So moderiert man alles ab, was eigentlich schiefgegangen ist. Deswegen hat Trump dann auch seinen Holzhammer Spice durch den eloquenten Herrn Scaramucci ausgetauscht. Der beherrscht das Spiel mit dem Abmoderieren vielleicht besser. Obwohl seine Drohungen gegen mögliche Leaker nicht davon erzählen. Da traut man den eigenen Leuten nicht und fürchtet tatsächlich die Presse. Als wenn die Medien dem eitlen Herrn Trump die Arbeit verdorben haben und nicht seine eigene Unfähigkeit.

Was sagt uns das?

Je unfähiger die Präsidenten, umso mehr neigen sie zu Zensur und grimmigem Umsichwüten. Und umso mehr schreiben sie der Presse eine politische Macht zu, die die Medien schon seit Napoleon nicht mehr haben. Sie sind nur ein kleines Korrektiv. Und das funktioniert nur, wenn es ernst genommen wird – nicht nur von den Lesern. Aber gerade von denen.

Es sind die Leser, die ein Medium stark machen. Nur sie. Wenn sie sich nicht dazu bekennen und mit den Geschichten aus den Geheimkabinetten der Macht etwas anfangen, dann werden Medien zu reiner Unterhaltung. Dann verlieren sie das bisschen Macht, das sie sich erarbeitet haben.

Jeden Tag von Neuem erarbeiten müssen. Denn die Gegenseite hat ganz andere Möglichkeiten. Pressearbeit heißt auch bei uns schon lange Presseverhinderungsarbeit.

Und wie macht man das?

Man produziert die Wahrheit gleich selbst.

„Dem Volk eine schlechte Nachricht vorzutragen?“, fragt Kleist. § 23: „Auflösung: Man schweige davon (§ 5) bis sich die Umstände geändert haben (§ 16). Inzwischen unterhalte man das Volk mit guten Nachrichten …“

Die Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

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