Einen schönen Stein hat die Otto-Brenner-Stiftung in den deutsch-deutschen Teich geworfen, als sie am 3. März das Arbeitspapier „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“ veröffentlichte. Untertitel: „Schreiben Medien die Teilung Deutschlands fest?“ Geschrieben hat es der Leipziger Journalist Lutz Mükke, der sich mit dem Thema schon länger beschäftigt.

Den Fokus legt Lutz Mükke auf die bestehenden Medienstrukturen in Ostdeutschland. Im Grunde steckt seine Grundthese in diesen Sätzen von Jupp Legrand, dem Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung: „Die überregionale westdeutsche Qualitätspresse wird hier so gut wie nicht gelesen. Ist die Ursache darin zu sehen, dass sie zu lange im besserwisserisch-belehrenden „Auslandsduktus“ daherkam und nie ernsthaft das Anliegen verfolgte, Ostdeutschland und die Ostdeutschen zu repräsentieren und zu integrieren? Die großen Medienhäuser aus Hamburg, München und Frankfurt investierten jedenfalls denkbar wenig in Infrastruktur und Personal im Osten. Gleichzeitig konnte sich kein originär ostdeutsches überregionales Leitmedium etablieren, das im gesamtdeutschen Diskurs ostdeutsche Perspektiven hätte einbringen können.“Steckt das Problem also in den Strukturen, die Lutz Mükke in seinem Arbeitspapier sehr eingehend analysiert, auch wenn er immer wieder feststellen muss, dass es aktuelle Studien so gut wie keine gibt. Auch das ist ein Fazit, auch wenn er es nicht extra betont: Die ostdeutsche Medienlandschaft interessiert aus west-/gesamtdeutscher Perspektive nicht die Bohne.

Und strukturell sind es auch nicht die Ostdeutschen, die bestimmen, wer in der von Mükke analysierten Medienlandschaft das Sagen hat. Kurz zusammengefasst im Einstieg von Jupp Legrand:

„In den Führungsetagen der wichtigen bundesrepublikanischen Leitmedien sind so gut wie keine Ostdeutschen zu finden.

Fast alle Regionalzeitungen, die im Osten erscheinen, sind in Besitz westdeutscher Medienunternehmen.

In den Chefetagen der großen ostdeutschen Regionalzeitungen sind Westdeutsche ähnlich überrepräsentiert wie vielerorts beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Bei der Ausbildung von Journalist/-innen sieht es nicht besser aus: Journalistenschulen bilden kaum Nachwuchs mit ostdeutschem Hintergrund aus.“

Schon der Beginn 1990: ein großer Ausverkauf

Dabei war der Verkauf der ostdeutschen Regionalzeitungen, die flächendeckend regelrechte Monopolstellungen in ihrem Verbreitungsgebiet hatten, damals – 1990 – ein lukratives Geschäft. Noch schneller als in anderen Branchen verkaufte die Treuhand die ehemaligen Parteizeitungen für insgesamt 1,2 Milliarden DM an westdeutsche Verleger und Verlage. Anfangs noch mit der Auflage der Diversifizierung: Die Käufer sollten jeweils nur eine Zeitung kaufen. Aber das war schnell obsolet. Große westdeutsche Zeitungshäuser sicherten sich ganze monopolisierte Verbreitungsgebiete.

Und sie machten dann etwas, was es so im Westen nicht gab: stillschweigend schlossen sie Stillhalteabkommen. Jeder beschränkte sich in der Berichterstattung nur auf sein angestammtes Verbreitungsgebiet. Man wollte sich nicht ins Gehege kommen. Was unter anderem dazu führte, dass es im Osten nie wirklich eine kritische Presselandschaft mit unterschiedlichen Sichtweisen und Kontroversen gab.

Eine regelrechte Burgfriedenpolitik, mit der die westdeutschen Zeitungsbesitzer vor allem ihr Geschäft sichern wollten. Denn mit Auflagen von teilweise über 500.000, 600.000 Exemplaren waren die ostdeutschen Regionalzeitungen echte Gewinnbringer. Die Investitionen in neue Druck- und Verlagshäuser Anfang der 1990er Jahre rechneten sich sofort.

Denn die einstigen SED-Bezirkszeitungen brachten nicht nur einen riesigen Stamm treuer Abonnenten mit – sie wurden auch auf dem Anzeigen- und Beilagenmarkt schnell zu Monopolisten. Damit erwirtschafteten sie für ihre westdeutschen Besitzer in der Regel nicht nur zweistellige Millionengewinne jedes Jahr – zumindest bis Anfang der 2000er Jahre –, sie retteten so manchem westdeutschen Zeitungstitel, der rote Zahlen produzierte, das Überleben.

Die 1990er Jahre waren Goldene Zeiten für deutsche Zeitungsverleger. Die Krise begann 2001, als das Internet so langsam begann, den klassischen Zeitungen das Anzeigengeschäft abzunehmen. Anfangs die lukrativen Kleinanzeigen, die bei so mancher Zeitung mehr Einnahmen erbrachten als die bunten Beilagen im verlagseigenen Anzeigenblatt. Später verschwanden auch die Anzeigen der lokalen Wirtschaft nach und nach aus der Zeitung. Die Seitenzahlen schrumpften, die Redaktionen wurden ausgedünnt.

Wo blieb die große ostdeutsche Wochenzeitung?

Und der Osten wurde zur „massenmedial multiplen Problemzone“, wie Mükke schreibt.
Wobei er zu Recht auch diskutiert, warum es im Osten nicht gelungen ist, eine schlagkräftige überregionale (Wochen-)Zeitung zu etablieren. Hätte nicht die „Wochenpost“ zur ostdeutschen Variante der „Zeit“ werden können?

War diese einst beliebteste ostdeutsche Zeitung nicht auf dem besten Weg, es zu schaffen? Sie wurde schon 1996 eingestellt, war dann noch eine Zeit lang eine Art Beilage der „Woche“, die den durchaus ambitionierten Versuch unternahm, eine echte deutsch-deutsche Wochenzeitung zu werden. Aber auch das scheiterte. Sie verschwand 2002 vom Markt.

Und die ostdeutschen Fernsehanstalten, so Mükke, konnten die Lücke nicht füllen. Sie haben die regionale Nische nie verlassen und deshalb spielen ostdeutsche Redakteure auch so gut wie keine Rolle in der bundesweiten Berichterstattung von ARD und ZDF. Die Karikatur, die Gerhard Mester gezeichnet hat, bringt ja nicht nur das ostdeutsche Empfinden zum Ausdruck, wie man die bundesweite Berichterstattung über den Osten empfindet.

Sie zeigt ja auch einen Teil der deutsch-deutschen Misere des Jahres 2021: den Blick auf die deutsche Einheit, die gemeinsamen Werte, das, was gültig ist. Eben aus Perspektive fast ausschließlich westdeutsch sozialisierter Redakteure und Moderatoren.

Das kurze Jahr wirklich eigener Medien

Aber da ist noch etwas anderes, das Mükke auch erwähnt und was mit dem zunehmenden Frust der Ostdeutschen über „ihre“ Presselandschaft zu tun hat: Denn da gab es 1990 für eine ganz kurze Zeit einen Moment der Selbstermächtigung. Denn demonstriert hatten die DDR-Bürger im Herbst 1989 ja auch gegen Zensur und Bevormundung durch eine gelenkte SED-Presse.

Ein Ergebnis dieser Selbstermächtigung war die Gründung neuer, unabhängiger Zeitungen. So wie in Leipzig der DAZ, der „Anderen Zeitung“. Sie zeigten für einen ganz kurzen historischen Moment, wie viel kritischer Journalismus möglich sein kann in einem Land, in dem die Presse über 40 Jahre lang gegängelt und reguliert war.

Aber diese Versuche scheiterten alle nach relativ kurzer Zeit, weil sie es nicht schafften, sich finanziell zu stabilisieren. Denn anders als die großen Zeitungsverleger aus dem Westen hatten sie keine mit Millionen gefüllten Kriegskassen, mit denen sie sich am Markt etablieren konnten. Einem Markt, der – aus unternehmerischer Sicht – schon gesättigt war, weil die Regionalzeitungen praktisch das Monopol hatten.

Quoten für ostdeutsche Journalist/-innen?

Mükke macht am Ende seiner Analyse neun Vorschläge, wie man die Sache vielleicht doch noch korrigieren könnte. Etwa diesen: „Die Diskussion über Quoten für Ostdeutsche sollte gesamtgesellschaftlich als Gerechtigkeitsdiskussion ernst genommen werden. Führungskräfte und Personal-Abteilungen in Unternehmen, Organisationen, Wissenschaftseinrichtungen und Verwaltungen sollten diesbezüglich insbesondere in Ostdeutschland stärker sensibilisiert und aufgefordert werden, das demokratiefeindliche Phänomen der Unterrepräsentation Ostdeutscher stärker zu beachten.“

Oder diesen: „Die westdeutsche überregionale Qualitätspresse sollte sich öffentlich mit der Frage auseinandersetzen, weshalb sie im Osten seit 30 Jahren kaum Absatz findet.“

Würden wir nicht seit 17 Jahren diese so unpassende Leipziger Internet Zeitung machen, würde ich dem ja vielleicht zustimmen. Aber gerade weil wir diese Erfahrung gemacht haben, nagt der Zweifel. Denn all das, was Mükke vorschlägt mit Quoten und Forschung oder gar finanzieller Förderung zu ändern, sind westdeutsche Medien.

Oder westdeutsch gedachte und dominierte Medien. Das wäre wie eine Selbstverpflichtung. Und seit 1991 wissen wir, dass Selbstverpflichtungen nichts bringen – auch nicht im ach so hehren Pressewesen, wo mit genauso harten Bandagen gekämpft wird wie im Einzelhandel (wer findet da die ostdeutsche Vielfalt?), im Automobilbau oder in der Süßwarenproduktion (schöne Grüße an die ehemaligen Haribo-Mitarbeiter/-innen in Wilkau-Haßlau).

Denn es gehört zu den ganz großen Illusionen, dass in der ostdeutschen Medienlandschaft 1990 nicht genau dasselbe passiert wäre, was mit der kompletten einstigen DDR-Wirtschaft passiert ist. Denn gekauft haben das Wertvollste und Gewinnbringende fast ausschließlich westdeutsche Erwerber, die über das nötige Kapital oder das schöne Image verfügten.

Womit selbst die Betriebe zur „verlängerten Werkbank“ wurden, die sogar rentabel und wettbewerbsfähig waren. Die wirtschaftlichen Entscheidungen fallen allesamt in westdeutschen Unternehmenszentralen. Auch die teilweise geradezu brachialen, wenn jetzt im Osten die Zeitungslandschaft „bereinigt“ wird, weil die Käuferzahlen abgestürzt sind und die einstmals gewinnträchtigen Blätter trotz aller Sparmaßnahmen drohen, ins Minus zu rutschen.

Was Lutz Mükke nicht analysiert, sind die scheinbar eher weichen Faktoren, die ein Medium ausmachen. Denn dass die Regionalzeitungen im Osten einen derartigen Vertrauensschwund haben und die Ostdeutschen den Medien noch viel weniger vertrauen als die Westdeutschen, hat nur bedingt mit Marktmacht und Monopol zu tun. Sondern eher mit (verlorenem) Vertrauen.

Heiko Hilker, Medienexperte aus Sachsen, deutet es zumindest an, wenn ihn Lutz Mükke zitiert: „Heiko Hilker erklärt, Massenmedien können ihren Auftrag, Vielfalt in einer lebendigen Demokratie zu sichern, nur gerecht werden, wenn Tiefe und Qualität der Informationen und Hintergründe von Meinungsverschiedenheiten komplex aufgearbeitet würden. Je komplexer also eine Frage sei, so der Institutsleiter und ehemalige Medienpolitiker, umso notwendiger ist die vielfältige Aufarbeitung der vorhandenen Wertungen und Erfahrungen.“

Es sind nicht nur die großen westdeutschen Medien, in deren Berichterstattung sich die Ostdeutschen gar nicht oder falsch dargestellt wiederfinden. Es sind auch die hier ansässigen Medien. Fast hätte ich geschrieben „heimischen“. Aber das Gefühl, es hier mit heimischen, wirklich tiefverwurzelten Medien zu tun zu haben, haben immer weniger Ostdeutsche. Und das hat ganz wenig mit Pantoffelgefühl und Schrebergartenberichterstattung zu tun.

Eher mit zwei nicht ganz unwichtigen Fragen, die Lutz Mükke stellt: „Erfüllte der ausgeprägte Chauvinismus überregionaler westdeutscher Leitmedien in den Ost-West-Machtkonstellationen der Bundesrepublik nach 1989 Funktionen? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den Nachwende-Erfahrungen und dem Misstrauen vieler Ostdeutscher in demokratische Institutionen und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?“

Aber um darauf vielleicht eine Antwort zu finden, muss man die Perspektive ändern. Was ich in diesem Artikel zumindest mal versuchen werde.

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Es gibt 4 Kommentare

(“Katapult Magazin” im zweiten Satz ersetzen durch “Katapult-MV”, also dem, was sie als “Tageszeitung” und Konkurrenz zum Nordkurier usw. in wirklich großer Manier angekündigt haben, bis heute allerdings nur kleine Datenartikel im Melderformat liefern, weit weg von dem was eine richtige Tageszeitung liefert)

Definitiv eine tolle Geschichte und der Erfolg ist dem Gründer und Arbeitstier Benjamin Fredrich auch sehr zu gönnen. Ich habs abonniert und unterstütze auch das Katapult-Magazin.
Wobei ich mit Superlativen wie “explodiert” anders hantieren würde. Klar, die Abonnentenzahl ging steil nach oben, insofern exponential, aber eine Zeitung wie die Sächsische verkauft noch ein paar Zehntausend Stück mehr. Und das jeden Tag, und nicht vierteljährlich.

Und auch wenn die Daten- und Kartenarbeit des Katapult-Magazins meist eine Gute ist, ist die Relevanz für die meisten Leute begrenzt. Die Themen sind halt eher sozialogisch-links-grün, gern auch mit Sternchen oder Doppelpunkten überall. Insofern ist eine echt große ostdeutsche Geschichte auch die, die sich über Jahrzehnte täglich behaupten kann und Leserrelevanz erreicht.

Es ist zwar kein Wochenmagazin, aber “Katapult” aus Greifswald zählt zu den größten “ostdeutschen” Erfolgsgeschichten der letzten 5 Jahre – inzwischen ist es nicht nur eiinn Quartalsheft mit explodierenden Abo-Zahlen, sondern es gibt auch eine eigene Regionalzeitung in Meck-Pomm und einen Verlag. “Katapult” ist erfolgreich, weil es auf Datenjournalismus setzt, aber vielleicht auch, weil es sich um Ost und West – im guten Sinne – wenig kümmert.

Osten kommt nicht vor in den Medien!? Welcher Osten?
Diese Diskussion habe ich schon nicht verstanden, als es letztens in SA um die Frage Rundfunkgebühren hoch herging. Da hat dann ein MP Haselhofft wütend gefordert: “Er will mehr Ostberichterstattung im ÖR, sonst zahlt er nicht!”
Was er genau wollte unklar. Will er mehr über die Versäumnisse der CDU aus den 90ern hören ala:
https://www.deutschlandfunk.de/sanierung-von-ddr-altlasten-giftiges-erbe-in-bitterfeld.724.de.html?dram:article_id=445577
oder sowas:
https://www.mdr.de/meine-schlagerwelt/inka-bause-134.html

Ganz ehrlich, ich finde es nicht, dass der Osten in den Medien nicht berücksichtigt ist. Und es geht auch nicht immer um Nazis. Zumindest nicht im ÖR. Im Zeitungsmarkt sieht es garantiert anders aus. Klar die Führung der privaten Verlage sitzt im Westen. Beispiel Die Entwicklung der eLVauZet, ja die war schon in den 90ern mies. Am Ende müssen wir weil OST, für diese Schmalspurgazette eLVauZet eintreten, NO! Denn bei der eLVauZet kann man bis heute beobachten, wie unter der Maßgabe Zentralisierung alles vom Lokalen/Regionalen wegverlagert wird. Aber ist das ein Ostphänomen? Von derlei können alle REgionen europaweit berichten. Hier den Osten speziell zu thematisieren, ist heute, wo alles in den Brunnen gefallen ist, nicht das Papier wert.
Der MP Haselhofft hatte in den frühen 90ern garantiert nix dafür übrig, DT64 zu erhalten oder in ein selbstbestimmtes Medium im MDR zu überführen. Das mal als Beispiel. Ganz anders im Brandenburgischen.

Letzter Punkt: Der Blick auf den Zeitungsmarkt lässt vollkommen außer Acht, was online passiert. Und wie Inititativen und Projekte dem Abgesang der Tages- und Regionalzeitung in vielen Beispielen entgegen wirken. Beispiel LZ, die ganzen Bloggs etc.
Und auf Youtube etc. gibt es dann noch ein ganz anderes Universum, mit allem Schattenseiten auch aus dem Meinungsspektrum des Ostens. Und ich glaube deren Wirkung ist nicht zu unterschätzen!

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