Wann wurde eigentlich der Journalist erfunden? War er immer schon da und hat sich nur verkleidet? Man kommt ja so ins Nachdenken im Advent. Wenn man Wikipedia glaubt, gab es sogar Präjournalisten. Also Journalisten vor der Geburt der eigentlichen Spezies. Der eigentliche Berufsstand ist ein echtes Kind der Aufklärung, der französischen natürlich. Steckt ja auch im Namen: der Jour und das Journal.

So um 1750 setzt Wikipedia die Entwicklung des eigentlichen Journalisten an, auch wenn die Berufsbezeichnung noch nicht das beschrieb, was heute alles drinsteckt. Aber das hat seine Gründe.

Der Name war schon früher da. Das Suchwerkzeug Ngram von Google verzeichnet eine erste Erwähnung des journaliste in einem Buch im Jahr 1620. Das war wohl die Schwalbe, aber der Frühling begann erst viel später. Ab 1696 ging das los, dass die Spezies in Büchern immer wieder mal ernsthaft erwähnt wurde. Zur Funktionsweise von Ngram: Das Werkzeug liest alle verwendeten Worte in den von Google eingescanten Büchern aus. Man kann das nach Sprachen filtern. In diesem Fall sind es die französischen Bücher, die interessieren. Denn da sind sich auch die Wissenschaftler einig: Wenn der Journalist irgendwo geboren wurde, dann war das in Frankreich. So ab 1750 mehren sich die Erwähnungen des Berufsstandes, der damals noch kein eigenständiger war. Es gab noch nirgendwo ein eigenes Presserecht.

Wer ein Journal herausbrachte – als Verleger oder Herausgeber – ging in der Regel das volle Risiko ein. Passte der Zensur etwas nicht, hing die ganze Existenz dran. Wer damals für Journale schrieb, war eher seltener ein Journalist. Er nannte sich in Frankreich eher homme de lettres oder littérateur. Daraus wurde dann der deutsche Literat. Auch sie schrieben für Journale. Der Journalist aber war – so erzählt es Denis Diderot 1765 in Band 9 der “Encyclopédie”, einer, der vor allem Auszüge aus Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst verfasste und dazu ein Urteil schrieb, also eher das, was man heute Rezensent nennt.

Aber das ändert an den Ansprüchen ja nichts. Das hat schon Diderot so gesehen, der wohl gern solche Journale las (die damals in den gebildeten Schichten Frankreichs sehr beliebt waren), sich aber wohl auch immer wieder über dumme Besprechungen und Urteile ärgerte. Und so wünschte er sich auch vom journaliste: “Trotzdem wäre es nicht ganz ohne Verdienst, wenn er die nötigen Talente für die Aufgabe besäße, die er sich gestellt hat. Ihm lägen dann die Fortschritte des menschlichen Geistes am Herzen, er liebte die Wahrheit und bezöge alles auf diese beiden Gegenstände.”

Das gilt bis heute. Für den ganzen Berufsstand.
So hätte es Diderot auch über seine Autoren der “Encyclopédie” schreiben können. Das ist der Maßstab, mit dem sie ihre Artikel schrieben. Und schrecklich aneckten bei einigen honorigen Leuten, denen die Wahrheit dann doch etwas zu deutlich war. Die gibt es immer. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass der Band mit dem Stichwort “journaliste” mit acht Jahren Verspätung erschien. Was nicht am Stichwort “journaliste” lag, denn den Band 8 hatte es eigentlich erwischt: “H – Itzehoa”. Da standen Worte drin, die damals brandgefährlich werden konnten: Intoleranz, Inquisition, Irreligiös. Aber auch Menschlichkeit – “Humanité”.

Die französische Revolution kündigte sich mit Worten an. Mit wichtigen Worten, die bis heute die Grenze ziehen.

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Der Blick auf Google Ngram zeigt: Seinen Höhenflug begann der journaliste genau im Jahr 1789. Seitdem ist der Begriff im Schwung. Seitdem hat er auch seinen Inhalt verändert und erweitert. Seitdem ist er nicht nur ein (hoffentlich klug urteilender) Rezensent, sondern einer, der auch politisch Partei ergreift. Das wird ihm gern angekreidet. Meist von Leuten, die keine Scheu kennen, Partei zu ergreifen. Meist die andere. Aber die gesellschaftlichen Umwälzungen der Jahre 1789, 1830, 1848 sind ohne den politisch Position beziehenden Journalisten undenkbar. Wenn man politische Diskussionen will, muss klar sein, wer es von welcher Position aus und mit welchen Argumenten sagt. Raisonnement nannte man das damals in Frankreich, bei Dieter Paul Baumert wurde 1928 daraus der “räsonnierende Journalismus”.

Zum deutschen “räsonnierenden Journalismus” gehören einige der Besten, die man in diesem Genre finden kann – Heinrich Heine und Ludwig Börne zum Beispiel. Diesen Stil erreichen heute im seltensten Fall mal die besten Kommentarschreiber. Der moderne, arbeitsteilige Journalismus setzte sich erst nach der Revolution von 1848 durch. Erst da überflügelte der journaliste den homme des lettres. Der moderne Reporter entstand, der Korrespondent und der Redakteur.

Der 2. Weltkrieg brachte eine weitere Verschiebung der Bedeutungen. Bis dahin war der Mann, der für eine Zeitung schrieb, vor allem Redakteur, zumeist fest angestellt und schreibgewandt. Doch seitdem haben viele Journalisten die feste Redaktion verlassen und sind – als Autoren oder Fotografen oder in anderen Metiers – draußen auf der Spur der Geschichten. Der Journalismus ist zu einem umfassenden Begriff für das ganze Gewerbe geworden.

Und bis heute gilt, was Diderot 1765 schrieb: “Möge er die Dinge auf die Prinzipien zurückführen, nicht aber auf den eigenen, besonderen Geschmack, nicht auf vorübergehende Umstände der Zeit, nicht auf den Geist der Nation oder einer besonderen Körperschaft und nicht auf die üblichen Vorurteile.”

Das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist jetzt genau 250 Jahre alt. Und gilt noch immer. Besonders die hübschen Stellen mit der “besonderen Körperschaft” und den “üblichen Vorurteilen”.

Wikipedia über den Journalisten:

http://de.wikipedia.org/wiki/Journalist#Geschichte

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