LeserclubManchmal müssen erst verschiedene Erkenntnisse zusammenkommen, um endlich die richtige Spur zu finden. Wir sind ja im Jahr 1.000 der Ersterwähnung Leipzigs ... Sind wir? Bisher galt die Erwähnung Leipzigs in der Chronik des Thietmar von Merseburg als der Beleg für die früheste Erwähnung. Das soll ja mit gewaltigem Brimborium gefeiert werden in diesem Jahr. Und wieder einmal wird es das falsche Jubiläum im falschen Jahr sein.

Mittlerweile herrscht auch unter Leipzigs Stadtführern heillose Verwirrung. Jahrzehntelang hatten sie sich daran gewöhnt, den Teilnehmern ihrer Führungen zu erklären, dass der Name Leipzig vom slawischen Wort für Linde, Lipa, abgeleitet sei. Die Theorie ist seit dem 17. Jahrhundert im Schwange, als Leipziger Gelehrte glaubten, das Rätsel des Namens dadurch knacken zu können, dass sie eine slawische Wortwurzel suchen.

Das Problem war nur: Sie gingen vom falschen Leipzig aus. Dem Leipzig mit dem harten p. Doch diese Schreibweise ist erst seit ungefähr 1190 belegt, just für die Zeit, als aus einer slawisch sprechenden Stadt eine deutschsprechende Stadt wurde. Ausgerechnet die Slawen aber hatten den Ort immer mit weichem b geschrieben und wohl auch gesprochen. So, wie er auch in der Chronik des Thietmar von Merseburg auftaucht:

urbe libzi

Das urbe verweist dabei schon auf einen existierenden Burgward aus der ottonischen Zeit: Mit diesen befestigten Anlagen wurde das während der Ostexpansion unterworfene Gebiet der Elbslawen gesichert. Die Burgwarde entstanden nicht irgendwo in der Pampa, sondern zumeist direkt an existierenden slawischen Siedlungen und oft auch wichtigen Verkehrswegen. So war das auch mit Libzi. Dass 1015 hier Bischof Eido überhaupt strandete und starb, hatte mit der Rolle des Ortes an der wichtigen Straße von Meißen nach Merseburg zu tun – die später den Titel Via Regia bekommen sollte. Die aber – wie eigentlich alle wichtigen Handels- und Heerwege – schon Jahrhunderte vorher existiert hatte.

Das Gebiet war keine weltvergessene Ecke. Die Frage war immer nur: Gibt es irgendwelche Dokumente, die belegen, dass dieser Ort schon vorher existierte? Vor Thietmars Erwähnung für den 20. Dezember 1015?

Schön wäre es natürlich gewesen, wenn zwischenzeitlich einfach mal eine schöne Liste aller Burgwarde aufgetaucht wäre, etwa aus der Zeit Heinrich I., der von 919 bis 936 regierte. Bis jetzt ist das nicht der Fall. Die Slawen, die das Gebiet seit dem 6. oder 7. Jahrhundert besiedelt hatten, haben erst recht nichts aufgeschrieben.

Mit der Frage, ob der Name Leipzig tatsächlich aus dem Slawischen kommt, haben sich Leipzigs Onomastiker, die Namenskundler an der Uni, seit Jahrzehnten beschäftigt. Insbesondere Hans Walther hat sich intensiv den frühen Namensformen für Libzi, Libiz, Libz gewidmet. Darauf ging Karlheinz Hengst 2010 noch einmal genauestens ein, als er zur Würdigung von Walthers 90. Geburtstag noch einmal den ganzen Wissensstand zur Herkunft des Namens aufarbeitete. Das Ergebnis war recht klar: Nein, von Lipa kann der Name Leipzig nicht kommen. Trotz oder gerade wegen der nachweisbaren Konsonantenverschiebung vom schönen weichen sächsischen (damals also einem sorbischen) b zum harten norddeutschen (damals sächsischen) p.

Onomastiker nehmen solche Konsonantenverschiebungen sehr ernst. Damit lassen sich einige wichtige gesellschaftliche Transformationen in der deutschen Geschichte erfassen.

Aber wo kommt der Name dann her, wenn er nicht von Linde kommt?

Walther und Hengst kamen zu der Schlussfolgerung, dass in dem Namen eine alte indogermanische Wortwurzel steckt: *leibh, was mit rinnen, tröpfeln, fließen zu tun hat.

Ihre These stützen sie auch durch die Tatsache, dass der Name augenscheinlich nicht mit einer slawischen Ortsgründung zu tun hat – und wer sich in der Region umschaut, findet die Orte mit echten slawischen Ursprüngen zuhauf – von Gohlis bis Connewitz, von Schkeuditz bis Kieritzsch.

Es gibt aber auch Namen in der Region, die eindeutig älter sind. Und dazu gehören – wie in anderen Gegenden Deutschlands auch – natürlich sämtliche Landmarken, die auch dann noch da sind, wenn Völker wandern, neue Eroberer kommen oder neue Siedler. Alles geschehen in der Region, über die wir sprechen. Zu diesen landschaftlichen Namen gehören um Leipzig auf jeden Fall die Flüsse: Elster, Pleiße, Luppe und Parthe. Alles uralte Namen, die eindeutig ihre Wurzeln haben in dem, was man heute so lax indoeuropäische Sprachen nennt. Das Keltische und alle germanischen Sprachen haben hier ihre Wurzeln. Und bevor die Völkerwanderung das Gebiet um Elbe und Oder fast völlig entblößte, waren es germanische Stämme, die hier siedelten.

Und der Name Libzi deutet darauf hin, dass hier eine markante landschaftliche Stelle bezeichnet wurde, betont Hengst. Ein Ort also, der seinen Charakter auch nicht veränderte, wenn die Bewohner wechselten.  Ein Ort am Wasser. Und zwar nicht an irgendeinem. Denn auch im alten Germanien entstanden wichtige Orte nicht irgendwo im Abseits, sondern an wichtigen Verkehrsknotenpunkten. Darauf deuten viele alte germanische Ortsnamen hin, die den Wortteil -furdum für Furt führen.

Aber ein -furdum steckt ja nicht in Libzi. Auch in der möglichen germanischen Urform Libja, wie sie Hengst annimmt, nicht.

Dafür etwas anderes.

Aber wie es einem so geht, wenn man über einzelne Puzzlesteine stolpert, wenn man nicht weiß, wo sie hingehören: Es dauert eine Weile, bis es klick macht und die Dinge zusammen kommen, die zusammen gehören.

Fünf Jahre in diesem Fall. Auch wenn der nächste Puzzle-Stein auch schon 2010 zum Vorschein kam.

Dazu mehr im 2. Teil

Lesetipp zu diesem Indiz Nr. 1: Leipziger Geschichtsverein (Hrsg.) “Leipziger Stadtgeschichte. Jahrbuch 2010”, Sax Verlag Markkleeberg und Beucha 2011, 15 Euro

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar