LeserclubAber wie war das nun mit diesen römischen Händlern? Wer könnte sich für das interessiert haben, was sie aus dem fernen großen Germanien, der Germania Magna, und möglicherweise diesem lebendigen Hotspot am Zusammenfluss von Elster, Parthe und Pleiße hätten erzählen können? - Ein Name fasziniert dabei die Forscher seit Jahrzehnten: Claudius Ptolemäus.

Der griechische Gelehrte, den man heute als vielseitigen Universalgelehrten kennt, lebte vor 1.900 Jahren – nicht in Griechenland, sondern wahrscheinlich am wichtigsten Ort des Wissens der gesamten antiken Welt und natürlich auch des gewaltigen römischen Reiches: in Alexandria in Ägypten, wo die berühmte Bibliothek stand, derer sich ein wissensdurstiger Mann wie Ptolemäus eifrigst bedienen konnte.

Schüler lernen ihn heute meist noch als “Erfinder” des Ptolemäischen Weltbildes kennen – dem, wo die Erde im Zentrum des Weltalls steht und nicht die Sonne. Dabei stand er im Widerspruch zum größten Teil seiner Forscherkollegen, die damals sehr wohl der Überzeugung waren, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum unseres Sonnensystems stehe. Dass einige der falschen Auffassungen von Ptolemäus – der selbst ein begnadeter Mathematiker, Astronom und Geograph war – noch rund 1.500 Jahre lang das europäische Denken dominierten, hat natürlich einerseits mit dem Siegeszug der christlichen Kirche zu tun (die einige Thesen der Wissenschaft einfach mal für ein paar Jahrhunderte zu Dogmen erklärte), aber auch mit der Tatsache, dass ein Großteil der antiken Literatur verloren ging – unter anderem mit dem gerüchteumwobenen Brand der Bibliothek von Alexandria.

Von vielen wichtigen Autoren sind nur noch fragmentarische Schriften oder Zitate in Werken anderer Autoren überliefert.

Und Ptolemäus war zumindest eines gut zu schreiben: Er versuchte auf seinen Gebieten tatsächlich das gesamte Wissen der Zeit zu sammeln. Dazu gehört auch die Geographie.

Und das war dann 2010 Thema einer kleinen Sensation. Altphilologen, Mathematikhistoriker und Geodäten vom Institut für Geodäsie der TU Berlin legten damals eine Karte vor, in der sie eine der interessantesten Karten von Ptolemäus, die zur Germania Magna, neu berechneten. Ein Mammutwerk, in dem sie die von Ptolemäus angegebenen Längen- und Breitengrade entzerrten und die Eichpunkte, aus denen er die Karte Germaniens zusammengebaut hatte, neu sortierten. Eine Sensation, nannte es der Verlag, der dazu das Buch “Germania und die Insel Thule“ herausbrachte.

Denn bis dahin war diese Karte ein regelrechtes Rätsel für die Forscher gewesen.

Was auch gar nicht anders sein kann. Denn Ptolemäus hat Germanien nie bereist. Aber er scheint sich alle verfügbaren Informationen, die es dazu im römischen Reich gab, besorgt zu haben. Vielleicht standen sie ihm sogar in der Bibliothek von Alexandria zur Verfügung. Die Berliner Forscher und der “Spiegel”, der über die kleine Sensation berichtete, nehmen an, dass einerseits die Berichte von Händlern in Ptolemäus’ Karte einflossen, aber auch die von Militärkartographen. Die Römer betrieben ja das Militärhandwerk wie eine Wissenschaft.

Und augenscheinlich lag eine Menge Material vor, das Ptolemäus in seiner Karte verarbeiten konnte – Meere, Inseln, Flüsse, Halbinseln gibt er allesamt richtig an – nur irgendwie verzerrt. Das war es, was den Forschern Kopfschmerzen machte. Vor allem, weil seine Karte auch gespickt war mit Ortsnamen in diesem scheinbar so wilden Germanien. Alles erfunden? Reine Phantasie? Oder waren das echte Namen für tatsächlich existierende Orte?

Den Forschern der TU Berlin scheint es tatsächlich geglückt zu sein, die Karte des Ptolemäus so zu entzerren, so dass sie Sinn ergibt und die von ihm vermerkten Orte mit einer möglichen Abweichung von 15 Kilometern genau da landen, wo sie sich damals befanden.

Und das ergab dann auch bei der sächsischen Forschergemeinschaft ein kleines Aufmerken. Denn bis dahin hatten einige vermutet, dass Leipzig eher mit Luppia auf der Karte des Ptolemäus identisch sein könnte. Passt doch schön: Bei Leipzig gab es ja immer ein paar Luppen.

Doch die Entzerrung brachte einige Überraschungen mit sich. Auch die Zuordnung von Luppia zu einem der damaligen drei wichtigen Orte in Germania Manga, lokalisiert beim heutigen Bernburg, Ortsteil Waldau.

Aber verblüffend war auch, dass trotz der Entzerrung Leipzig nicht von Prolemäus’ Karte verschwand. Genausowenig wie andere heute immer noch wichtige Orte wie Riesa, Magdeburg, Dresden und Jena. Was auch dafür spricht, dass diese Orte (oder ihre Vorgänger) auch damals schon an wichtigen Flussübergängen lagen. Man darf nicht vergessen: Über Jahrtausende waren Menschen auf natürliche Querungsmöglichkeiten an Flüssen angewiesen. Sie waren für jede Art Verkehr wichtig und damit auch die idealen Orte für Märkte und Siedlungen.

Und so taucht auch Leipzig aus der Tiefe der Geschichte auf. Und es ist Ptolemäus, der den Namen überliefert, den der Ort damals wohl trug: Aregelia.

Um 150 hat Ptolemäus seine Karte gezeichnet. Wir sind am Beginn der jüngeren Römischen Kaiserzeit, für die Sachsens Archäologen im Raum Leipzig eine einzigartig dichte Besiedelung ausgemacht haben.

Das ist Indiz Nr. 3.

Das aber selbst noch Rätsel aufgibt: Ist Aregelia nun ein Phantasiename oder hat der irgendetwas mit dem heutigen Namen von Leipzig zu tun? Nur dann wäre  ja die Aussage belastbar, dass es Leipzig damals schon gab.

Da brauchte es dann doch noch vier Jahre, bis ein Wort aus einem anderen “Spiegel”-Beitrag für das kleine Klick sorgte.

Aus der Archäologie und der Geografie des alten Ptolemäus kehren wir zurück in die Onomastik. Und landen in Hamburg.

Lesetipp für Indiz Nr. 3: Andreas Kleineberg /Christian Marx/Eberhard Knobloch/ Dieter Lelgemann: „Germania und die Insel Thule“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, 29,90 Euro.

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