Guten Morgen, bin gerade über Ihren Sermon gestolpert, wunderbar Sie treten mit ihrem Artikel genau in der Tradition ehemaliger Stasi-Denunzianten auf, „auf der Suche nach etwas, was unbedingt anstößig im Sinne der heutigen Zeit sein muss“! Die permanent drohende braun-schwarze Gefahr!

Was die Leute dort beim Umzug gemacht haben, nennt sich Reanactment, sozusagen Geschichte nachgestellt! Ist aktuell ganz hipp und manche machen einen auf preußische oder franz. Truppen aus der Völkerschlacht, manche machen einen auf Indianer und manche beschäftigen sich eben mit dem Sammeln von Uniformen und Fahrzeugen der Deutschen Wehrmacht. Die Fahrzeuge tragen keine Kriegskennzeichnung, die Helme soweit ich sehen konnte auch keine H…..kreuze, Die Waffen sind keine Waffen, da ohne Funktion nicht mehr als Waffe zu bezeichnen, schlicht und einfach DEKO!

Mal beim Ordnungsamt nachfragen, bevor man den Journalistenschnabel aufreißt. Und nun habt ihr „Nazijäger“ ein Hakenkreuz entdeckt, vielleicht ist dem Mann der Abdeck-Aufkleber ja abgefallen!? Habt ihr eigentlich keine anderen Probleme, war bestimmt kein Wolfsschanzentreffen?

Schreibt mal darüber, wie schlimm es ist, das immer mehr Menschen in diesem Land von der Tafel leben müssen! Die Tatsachen so herbeizerren und dann aber nicht „Lügenpresse“ genannt werden wollen! Ihr seid nicht besser wie „Neues Deutschland“, hoffentlich bereinigt euch der Markt! Und den Mann mit voller Darstellung des Gesichtes zu zeigen, unter eurer Konstruktion des Hintergrundes, ist schon Gefährdung dieses Menschen! Wenn dem nun mal ein paar Autonome auflauern, weil sie den tatsächlich für einen Nazi halten, wo seid ihr da, ihr „Maul- und Tinten“-Helden?

Mit bedenklichen Grüßen

Thomas Müller

Antwort der Redaktion

(von Michael Freitag)

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, welche Sie gern auf diese Veröffentlichung hin noch ergänzen können. Per E-Mail konnte Sie diese Antwort leider nicht erreichen. Wie (fast) jede solche Wortmeldung, beantworten wir diese gern, auch mal ausführlicher und manchmal auch öffentlich – so wie hier – da Sie viele verschiedene Aspekte einer an sich kleinen Geschichte ansprechen. Dass Sie über den Artikel gestolpert sind, demnach unsere Zeitung nicht kannten, zeigt sich im letzten Teil Ihres Schreibens, in welchem Sie Berichterstattung über soziale Probleme auf der L-IZ.de einfordern, welche seit nun rund 12 Jahren regelmäßig stattfindet.

Wir fühlen uns demnach damit nicht gemeint. Zu Ihren Gewaltausführungen verweisen wir einfach auf unzählige Attacken auf unsere Kollegen in den vergangenen Monaten, über welche wir berichtet und gleichzeitig zur Anzeige gebracht haben. Gewalt lehnen wir in jeder Hinsicht grundsätzlich ab, ganz gleich gegen wen sich diese richten sollte.

Zur Sache: Der ganze Vorfall in Colmnitz ist schlicht eine Posse zum Kopfschütteln und so wurde sie von uns ohne weitere „Kriminalisierung“ der beteiligten Personen in unserem Beitrag vom 29. Mai 2016 auch behandelt und anschließend von weiteren Zeitungen aufgegriffen.

Leider geschieht dieser Vorfall natürlich in Zeiten von Brandstiftungen in Sachsen seit nunmehr zwei Jahren und einem erneuten Erstarken von menschenfeindlichen Tendenzen in unserer Heimat. Weshalb wir uns gestattet haben, die Schilderungen mit einem kleinen, erinnernden Geschichtsexkurs angesichts des historischen Umzuges im Ort zu versehen.

Letztlich geht es um einen Verstoß gegen dieses Gesetz, welcher aus unserer Sicht das öffentliche Interesse und die Publikation des „Sermons“ und den kleinen (zum Wehrmachtsauftreten passenden) Geschichtsexkurs über eine historische Person im hohen SS-Rang in Colmnitz rechtfertigte. Ob der Verstoß aus Unachtsamkeit (fehlende Abklebung) oder mit Absicht geschehen ist, obliegt der eventuellen Aufklärung seitens der Strafverfolgungsbehörden, hier der Polizei, welche den Fall bereits gestern aufgegriffen hat. Wie auch die deutschlandweite Presse, was uns in der Wucht zwar etwas gewundert hat, in der Menge der Beiträge angesichts der Grundthemenlage seit Monaten aus Sachsen aber logisch erwartbar war.

Natürlich zur Empörung bei denen, welche die vor allem im Gebiet Osterzgebirge, Sächsische Schweiz, also dem Dresdner Umland auftretende Radikalisierung mancher Menschen für normal halten. Und eben deshalb offenkundig nicht verstehen, was andere Menschen gerade auch vor diesem aktuellen Hintergrund so abstoßend an Militär, NS-Symbolik und den darin mitschwingenden Hass und Gewalt aus vergangenen und heutigen Tagen finden.

Dies ist im Übrigen auch keine Stigmatisierung einer sächsischen Region, es ist eine Faktenlage der vergangenen zwei Jahre, welche zu solchen Sichtweisen auf Sachsen führen. Es ist sozusagen längst das Hintergrundgeräusch geworden, wenn man über Sachsen spricht – der Imageschaden ist bereits gewaltig angesichts der Serie von Vorfällen gegen Flüchtlinge, Asylbewerber und Menschen fremder Herkunft.

Die ersten Erklärungen, welche heute aus Colmnitz gegenüber der nachfragenden Presse folgten, zeigen zudem, dass man sich zu Unrecht attackiert fühlt, nun sind wieder „die Medien“ schuld. Ursache und Wirkung werden (mal wieder) vertauscht. Dabei würde es genügen, hier auf die Polizei zu verweisen, den Vorfall doof zu finden und einen Strich drunter zu machen.

Aber offenbar steckt – betrachtet man auch Ihr Schreiben an uns – doch eine weitere Frage dahinter.

Denn was durchaus etwas erschreckt, sind weniger die nun folgenden Verteidigungsversuche der Vorgänge vor Ort, bei denen (mal wieder) niemand Kenntnisse über das Zeigen von Hakenkreuzen zu haben schien oder nun auch nichts gesehen haben will. Auch Ihr Vergleich mit dem ND – geschenkt, so funktioniert “Äpfel und Birnen”. Der Rückgriff auf die Staatssicherheit zeigt jedoch leider, wie tief sich manche Haltungen bereits gefestigt haben und unhinterfragt herausplatzen. Wir sehen darin einfach den Wunsch, uns maximal zu beleidigen, zu mehr ist dieser absurde Vergleich nicht brauchbar.

Dennoch zeigt sich so eine Haltung, welche von Unkenntnis über uns als Zeitungsmacher in Leipzig, über Journalisten allgemein und zudem über geltendes Strafrecht in Deutschland bzgl. des öffentlichen Zeigens faschistischer Symbole zeugt. Dazu auch: Eine freie Gesellschaft darf natürlich z.B. auch ein Gesetz infrage stellen oder/und in etwas ändern, welches das öffentliche Vorführen verfassungswidriger Organisationen wieder erlaubt. Zu debattieren wäre dann natürlich auch der gesellschaftliche Preis dafür. Es einfach missachten jedoch kann man nicht.

Wobei wir durchaus von einer gewissen Unbedachtheit ausgehen – echte neofaschistische Tendenzen können wir in dem Festumzug auch nicht entdecken. Vielleicht aber eine gewisse „Ist-doch-wieder-normal“ – Haltung, das schon.

Traurig sind bei Ihrem Schreiben eher die versuchten Herabsetzungen bis hin zum Thema „Lügenpresse“. Dies ist nun seit ebenfalls zwei Jahren klares und propagandistisches Sprachvokabular von NPD, AfD bis Pegida. Vokabeln, die letztlich niemanden weiterbringen und nur verschleiern, dass es a) viele verschiedene Medien und b) keine reine Lehre und „Wahrheit“ gibt. Erst recht nicht auf Seiten von Menschen, welche eigentlich immer nur „Ich“ (Wir) „gegen die Anderen“ (sind das Volk) rufen. Wir haben im Grunde nicht mal ein Problem mit dem Begriff an sich, er ist nur ein sehr oberflächlicher Kampfbegriff von neurechten Ideologen.

Nur impliziert er einen Vorsatz, welchen wir nicht haben. Deshalb vielleicht mal als schlichte Frage: Was ist in diesem Beitrag gelogen?

Zum Ende hin etwas zum „Reenactment“ und den 2. Weltkrieg: Dass dieses seit Jahren „hipp“ ist, ist uns nicht neu – bezog sich jedoch lange Jahre auf Mittelalterdarstellungen oder erblickte auch hier und da bereits früher nicht nur in Sachsen unter dem verniedlichenden Namen „Uniformfetischismus“ in Gestalt von SS-Bekleidung wieder das Licht der Öffentlichkeit. Verniedlichend wohl deshalb, weil man sich doch fragen muss, wie solche Bilder etwa Überlebende des Holocaust oder auch “einfach” Überlebende des zweiten WK und deren Nachkommen wahrnehmen?

Die neuere Geschichte mag nun bei solchen Dorffesten und Umzügen auch im Auftreten von Wehrmachtsuniformen stattfinden. Doch unterliegt dies (zum Glück) eben einer kritischeren Begleitung und Debatte, als weiter zurückliegende Ereignisse, wie eine Ritterschlacht von anno dunnemals. Dies liegt in der Natur der Sache: Geschichte wird immer diskutiert, zumal wenn sie noch relativ „frisch“, also präsent ist, sind die Wirkungen zudem (bis heute) sichtbarer, als bei weiter zurückliegenden Ereignissen. Im Falle des zweiten Weltkrieges insbesonders, darf er doch bis heute in Ausdehnung, Opferzahlen und Verbrechen an der Menschheit als das quasi pure, schreckliche Gesicht aller industrialisierten Kriege gelten.

Von den Nachwirkungen dieser Auseinandersetzungen in der neueren deutschen Geschichte, bis quer durch eine durch und durch reaktionäre und militarisierte DDR in einem geteilten Land bis heute ganz zu schweigen.

Nun jedoch das Hakenkreuz im Rahmen eines Dorffestes. Wir haben uns auch dieser Logik folgend demnach nur gestattet, darauf hinzuweisen, welche Karriere in dieser Zeit also von Colmnitz aus möglich wurde. Dies passt sogar zum Anspruch des Mit-Gründers des Heimatvereins Thomas Schumann, die NS-Zeit beim Umzug nicht außen vor lassen zu wollen, wie er heute der Presse erklärte, siehe hier im heutigen Beitrag von SPON & weitere.

Und damit wir nicht in einen allzu leichtfertigen Moralfuror angesichts der Colmnitzer Geschichte verfallen, vielleicht eben deshalb am Ende die auch für uns offenen Fragen: Ist es möglich, dass die von Ihnen beschriebene, wieder aufkommende Freude sich in Wehrmachtskluft zu werfen, mit Waffen herumzufuchteln (auch wenn sie „entschärft“ sind) und die ebenfalls neu aufkeimenden Kriegsrelativierungen, heute dargeboten unter dem Stichwort „Schuldkult“ oder „es waren ja nur 12 unglückliche Jahre“, etwas miteinander zu tun haben?

Vielleicht verstehen Sie und andere Leser dieses nun doch längere Antwortschreiben auf Ihren deftigen Einwurf als eben diese Frage.

Mit hoffnungsvollen Grüßen

Michael Freitag

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Die Aktion an sich fand ich am Anfang eigentlich eher idiotisch. Dumm in solchen Zeiten. Aber wie die Dorfgemeinschaft das verteidigt, das ist erschreckend, da fehlt es ja nicht nur an Einsicht, wie so etwas heutzutage aufgefasst wird (gerade in der Gegend). Dadurch ergibt sich erst ein richtig übles Bild.
Mir fällt da echt nur noch der Spruch mit den getroffenen Hunden ein.

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