Endlich ist er auch in Leipzig angekommen: Leonardo da Vinci, der Mann, dessen Bilder heute noch genauso faszinieren wie seine Konstruktionen und Erfindungen. Ein Renaissance-Mensch, der bis heute auch die Phantasie von Schriftstellern wie Dan Brown anregt. 2002 erschien sein Buch "Sakrileg", bekannter geworden unter dem Filmtitel "Der Da Vinci-Code". Menschen lieben das Mysterium.

Und die Vermutung, der berühmte Erfinder aus dem kleinen Nest Vinci bei Florenz habe in seinen Werken verschlüsselte Botschaften versteckt, gehört bis heute zum Repertoire der Leute, die überall in der Welt Mysterien, Geheimverschwörungen und gefährliche Botschaften vermuten. Dan Brown, der mit “Sakrileg” seinerzeit nach Jahren der Mühsal endlich einen Roman platziert hatte, der sich auch reißend verkaufte, bekam eine ganze Armada von begabten, unbegabten und oft schlicht auf der Welle nur mitreitenden Nachahmern.

Er löste aber auch eine neue intensive Beschäftigung mit der Person da Vincis aus. Es erschienen einige hochkarätige Biographien, die das Leben des Renaissance-Mannes neu beleuchteten und auch – etwa wie Nicholl – die Welt erkundeten, in der da Vinci aufwuchs, lebte und arbeitete. Und das Buch war Auslöser für die Event Marketing Service GmbH in Wien, eine eigene Da-Vinci-Wanderausstellung zu entwickeln. Die wichtigste Anregung dazu fand Christoph Rahofer, wie er im Katalog der Ausstellung erzählt, bei einem Italienurlaub in Florenz, wo er eine Handwerkerfamilie fand, die die genialen Konstruktionen Leonardo da Vincis nachbaute.

Diese Modelle dominieren die Ausstellung, die nun seit zehn Jahren auf Tour ist durch die Welt. Einmal war sie auch schon kurz in Deutschland zu sehen – damals in Berlin. Jüngst war sie in den USA, wo wieder einmal eines der Modelle so stark beschädigt wurde, dass es in die Werkstatt musste und deshalb in Leipzig nicht zu sehen ist: es ist das von da Vinci konstruierte Panzerfahrzeug.

“Aber das Anfassen und Ausprobieren ist gewollt”, sagt Ausstellungsleiter Tobis Wenz. “Nur wo man wirklich nicht dran spielen sollte, haben wir Absperrungen angebracht. Und bei einigen Modellen bringen wir Warnhinweise an.”
Am Freitag, 2. November, waren die Aufbauhelfer alle noch bei der Arbeit, als die Presse zum ersten Besuch in die Ausstellung im Kosmoshaus (Gottschedstraße 1) eingeladen war. Vor allem waren es noch einige Schilder, Verkleidungen und Hinweistafeln, die fehlten. Am Abend war dann Vernissage. Seit Samstag, 3. November ist die Ausstellung zu sehen. Schon an der Fassade wirbt sie für sich. Und schon im Vorfeld haben die Ausstellungsmacher Kontakt zur Bildungsagentur aufgenommen. Fünf Schulen haben ihren Besuch der Ausstellung schon zugesagt. Bei einer passt es genau in die sowieso geplante Projektwoche zur Renaissance.

Und welcher Bursche passt besser für so eine Projektwoche als da Vinci? Ein Riese in einer Zeit, die Riesen brauchte und “Riesen zeugte, Riesen an Denkkraft, Leidenschaft, Charakter, Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit”. Ein Zitat von Friedrich Engels, das sich auch ganz selbstverständlich im Katalog wiederfindet. Man merkt: Es sind Österreicher, die hier ihre Faszination an der Geschichte ausleben, keine Deutschen, die zu Autoren wie Engels mittlerweile ein geradezu verkniffenes Verhältnis haben. Wie zu ihrer ganzen eigenen Geschichte.

Mit da Vinci wird in der Ausstellung, die bis März 2013 in Leipzig gastiert, ein Mann gezeigt, der auch stellvertretend steht für die neu geborene Neugier, den Wissensdrang und die Experimentierfreude jener Zeit, die – statt nach dem Niedergang des Byzantinischen Reiches in Depression zu verfallen – auf einmal eine Blüte der Wissenschaften und der Kunst erlebte. Erst viel später würde man das die Renaissance nennen.

Es war auch eine Zeit, in der sich Talent auf einmal auch als Karrierefaktor auswirken konnte. Denn Leonardo, zwar aus begüterter Familie stammend, aber nur ein unehelicher Sohn, war durchaus nicht dafür prädestiniert, einst berühmt zu werden. Doch die Anlagen hatte er – war wissbegierig und hochbegabt. Und hatte vielleicht Glück, nicht in die Fußstapfen seines honorigen Vaters steigen zu müssen, sondern in der Werkstatt des ebenfalls vielseitigen Verocchio eine Lehre beginnen zu können.

Eine Lehre, die ihn frühzeitig in Kontakt brachte mit dem Künstlerleben und den zahlungskräftigen Auftraggebern der aufblühenden Metropole, die er später freilich verließ, um sich in Mailand um eine auskömmliche Stelle zu bewerben – als Baumeister, Konstrukteur und Erfinder neuer Militärmaschinen. Denn die italienische Renaissance war auch eine Zeit der Kriege. Stadtstaaten kämpften gegeneinander, fremde Mächte – wie die Franzosen – mischten sich ein, Umstürze erschütterten auch die so reichen Städte. Eine Geschichte, die man als Geschichte der Fürsten schreiben kann. Aber dann würde man den wichtigsten Aspekt nicht fassen: Es waren zuallererst – wie auch heute noch – Kriege um Wirtschaftspositionen, um Einfluss und Märkte.
Dass die Kunst im Italien des 15. Jahrhunderts derart aufblühte, hat zuallererst damit zu tun, dass nun auf einmal zahlungskräftige Auftraggeber wie die Medici da waren, die ihren Reichtum und ihre Macht auch zeigen und verewigen wollten. Es waren auch Medici-Päpste, die den Neubau des Petersdoms forcierten und dafür selbst in entlegenen Provinzen wie im fernen Sachsen den Ablasspfennig einsammeln ließen.

Eine große Zeitleiste gleich am Eingang der Ausstellung machte die Gleichzeitigkeit der Ereignisse sichtbar, die oft genug auch im Geschichtsunterricht in den Schulen untergeht. Nicht weil Lehrer es nicht zeigen wollen, sondern weil der Lehrstoff so komplex nicht gedacht ist und auch kaum Platz hat. Dass dieses Erwachen in Italien auch die Entdeckerreisen der Spanier und Portugiesen initiierte und es gerade italienisches Geld war, das die großen Fahrten nach “Westindien” erst ermöglichte, lernen die Schüler oft gar nicht erst. Können sie aber. Deswegen haben sich auch schon etliche Geschichtslehrer für die Ausstellung angemeldet.

Folgen könnten, wenn sie diese Chance für sich und ihre Schüler nicht verpassen wollen, auch Kunst- und Physiklehrer. Die wenigen, einigermaßen sicher da Vinci zuschreibbaren Gemälde, sind in der Ausstellung in Reproduktion zu sehen. Die Originale wird wohl kein Museumsdirektor, der noch bei Verstand ist, jemals wieder außer Haus geben.

Den meisten ist da Vinci vor allem als Maler ein Begriff, insbesondere als Maler der einen Mona Lisa, die im Louvre hängt. Auch wenn mittlerweile weitere Mona Lisas aufgetaucht sind. Ihm geht es da wie allen großen Malern seiner Zeit: Er arbeitete selbst mit einer Mannschaft aus Gehilfen und Lehrlingen. Auftragsbilder waren Gemeinschaftsarbeiten. Jede Werkstatt war eine kleine Fabrik. Und viele Bilder, die über Jahrhunderte Genies wie da Vinci zugeschrieben wurden, entpuppen sich heute als solche Gemeinschaftsarbeiten.

Weil die komplexe Welt der Malerei aber einfach mit hingehängten Reproduktionen so nicht zu zeigen ist, findet der Besucher neben den Bildern kleine Stationen mit iPads, wo sie sich digital in die Hintergründe einlesen und einklinken können. 15 solcher iPad-Stationen stehen in der Ausstellung, dazu noch vier PC-Stationen, an denen man sich noch umfassender mit da Vinci und seinen Erfindungen beschäftigen kann.

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Einige der Erfindungen sind auch als großes Modell zu sehen – der von da Vinci entwickelte Gleiter etwa, eine Wurfmaschine, ein komplexer Flaschenzug und eine Bogenbrücke, die gerade in ihrer Simplizität zeigt, wohin der menschliche Geist kommt, wenn er sich intensiv mit Geometrie, Zug- und Fliehkräften und – da war da Vinci einer der ersten – mit der Schwerkraft beschäftigt.

Die diversen Codices, die von da Vinci überliefert sind, zeigen einen Mann, dessen Neugier ihn weit über die Grenzen des seinerzeit wissenschaftlich Erkundeten hinaustrieb. Hunderte anatomischer Zeichnungen zeigen, wie intensiv er sich mit dem Funktionieren des menschlichen Körpers beschäftigte. Seine Flugmaschinen verblüffen bis heute, weil er wirklich – in ständigem Studium des Vogelflugs – herausfinden wollte, wie der Mensch sich einen Apparat zum Fliegen bauen könnte. So nebenbei fand er dabei auch die Grenzen des Möglichen heraus.

Da Vinci fasziniert nicht nur, weil er selbst für seine Zeit eine fast universale Neugier entfaltete. Er fasziniert vor allem, weil sein ganzes Leben exemplarisch steht für die Triebkraft, die Europa seit dem 15. Jahrhundert an die Spitze der wissenschaftlichen und ökonomischen Revolution versetzte. Welche Rolle spielte da aber die Malerei in da Vincis Leben? Hatte sie wirklich nur da Platz, wo da Vinci von all seinen anderen Tätigkeiten einmal abließ?

Die Frage kann man flapsig beantworten. Muss man aber nicht. Die Ausstellung, so eindeutig wie sie sich auf den Erfinder und Konstrukteur da Vinci fokussiert, ist auch eine Anregung, über die komplexe Persönlichkeit dieses Mannes nachzudenken, der auch deshalb geheimnisvoll ist, weil er – sowieso schon Linkshänder – auch fast alle seine Schriften in Spiegelschrift hinterließ. Er wusste auch um die Grenzen seiner Zeit und ihrer Vorurteile – und da, wohin seine Neugier ihn trieb, lauerten auch noch in diesem wiedererwachenden Europa Leute, die keine Skrupel dabei hatten, Hexen und Ketzer auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Deswegen war Vieles nicht wirklich für die Augen seiner Zeitgenossen bestimmt.

Wer seinen Kindern zeigen will, wie faszinierend Neugier sein kann, dem kann man diese Ausstellung nur empfehlen.

“Leonardo da Vinci. Mensch – Erfinder – Genie”, 3. November 2012 bis 31. März 2013 im Kosmoshaus, Gottschedstraße 1. Geöffnet täglich 10 bis 18 Uhr.

www.explore-da-vinci.com
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